Vom Verkauf von Rahm liess es sich nur schlecht und recht leben. Manche Farmer suchten in den Wintermonaten Arbeit bei den Sägereien in der Gegend. Es war im dritten Winter in Cecil Lake, Ende Januar, da fand mein Vater eine Anstellung bei Lloyd West, etwa 25 Kilometer nördlich von unserer Farm. Es war eine grössere Sägerei mit einem Camp für die Arbeiter, die nicht nach Hause fuhren.

Dad, der Holzfäller

Dad fing als Holzfäller an. Ein Nachbar hatte ihm erzählt, wie viele Tannen man da fällen könne, es gebe guten Verdienst. Dad war im Emmental aufgewachsen, da hatten sie etwas Wald. So im Akkord hatte er aber noch nie gearbeitet.

Dad betitelte sich selbst immer als «Gstabi»; er konnte hart und lange arbeiten, aber war nicht gerade der Schnellste. Dazu kamen der einen halben Meter tiefe Schnee und die umgefallenen Bäume, die überall herumlagen. Das war Urwald, nie gepflegt, nicht wie hier in der Schweiz. Die anderen Männer fällten einiges mehr an Bäumen als er. Wenn mindestens seine Motorsäge richtig laufen würde! Die laufe nur, wenn es ihr gerade passe, erzählte Dad. «Wie manches Gebet und Seufzer stieg zum Himmel – und anderes auch noch.»

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Dafür konnte Frau West wirklich gut kochen. Sicher brauchte es Berge von Essen für diese ungefähr 15 hungrigen Männer, die den ganzen Wintermorgen über draussen schufteten. Lloyd West stellte Dad bald einmal hinten an die Säge, er musste das Gesägte abnehmen und aufstapeln.

Ach, da musste er auch schnell sein. Wie froh war er, wenn es drei Uhr nachmittags war. Da gab es Kaffeepause mit zuckersüssen Cookies von Mrs. West. Die Kalorien verbrannten die Männer bald wieder. Von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends musste Dad arbeiten. Vorher und nachher musste er die Kühe von Hand melken und den Stall ausmisten.

Die Episode mit dem Muni in der Stube

DossierDossierKanada einfachDonnerstag, 10. August 2023 Das Tränken des Viehs übernahm meine Mutter. Dad hatte in der Nähe des Hauses einen Wassertrog eingerichtet. So konnte Mom vom Haus aus mit dem Schlauch den Trog füllen. Wenn er zu Hause war, schlug er ein Loch ins Eis des Weihers beim Stall.

Mom musste im Stall die Kühe, Rinder und den Muni losbinden und an die Tränke führen. Einen Nachmittag vergesse ich nie, wir Kinder waren im Haus und schauten ihr vom Stubenfenster aus zu. Auf einmal sahen wir mit Schrecken, wie der Muni auf die Terrasse stieg. Er machte nicht Halt, sondern kam gerade auf uns zu. Wir schrien laut auf und rannten, so schnell wir konnten, nach hinten ins Schlafzimmer und versteckten uns unter dem Bett. Ich höre noch heute das Splittern des Fensterglases.

Der Muni erschrak sicher so sehr wie wir. Er hatte wahrscheinlich eine Spiegelung im Fensterglas gesehen, die ihn interessierte. Er zog seinen «Grind» schnell wieder heraus und Mom konnte ihn wieder in den Stall führen. Sie hatte sich gewiss auch erschrocken! Als wir Kinder uns wieder hervortrauten, zeugte nur das grosse Loch vom Geschehenen. Unsere Mutter klebte Plastik über das Fenster, um die schlimmste Kälte draussen zu halten, und bestellte ein neues Glas. Dad wäre ja viel lieber zu Hause geblieben, aber wir brauchten dringend das wenige Geld, das er in der Sägerei verdiente. An diesem Tag arbeitete er sicher vergebens.

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Wie eine Prinzessin gekleidet

Lang und kalt mag der Winter sein, aber wie viele Bäuerinnen in der Schweiz genoss Mom die Monate ohne die viele Arbeit draussen in Feld und Garten. Zeit, die Berge von Flickwäsche kleinzukriegen. Für Dad nähte sie Hemden, Barchente wie die Schweizer Edelweisshemden, Nachthemden und Hosen für uns Kinder. Einmal nähte sie uns allen aus luftigem, hellblauem, geblümtem Stoff Sonntagsröckchen. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin. Und prompt blieb ich an einem Nagel hängen. Ich war halt nie so ein artiges Mädchen.

Kanadas Volkssport Nummer eins

Sobald das Wetter kalt genug wurde, bauten die Erwachsenen der Gemeinde eine Eisbahn bei der Schule. Fast jede Pause waren wir auf dem Eis. Schneite es, mussten wir zuerst das Eis reinigen, die starken Jungs und Mädchen voraus mit den Schaufeln, wir anderen mit Besen. Wie der Fussball in der Schweiz ist in Kanada Eishockey ein Volkssport. Jemand schenkte uns Kindern alte braune Hockey-Schlittschuhe. Ich hätte doch so viel lieber schöne weisse Schlittschuhe gehabt wie die anderen Mädchen in der Schule. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, hatte es sicher noch andere Mädchen mit braunen Hockeyschuhen, aber das sah ich natürlich nicht.

Eishockeyschläger gab es bei uns lange nicht. Mein Vater war gar nicht böswillig, aber er hatte mehr Verständnis fürs Arbeiten als für Sport. Später, als das Geld nicht mehr so ein grosser Faktor war, kriegten meine jüngeren Geschwister eigene Schläger.

Wir Kinder schaufelten eine Eisbahn frei auf dem kleinen Weiher unten am Stall. Wir durften nie drauf, ehe Dad die Eisdicke überprüft hatte. Aus irgendeinem Grund fiel meine Schwester Barbara doch einmal durchs Eis. Das hätte böse ausgehen können. Zum Glück ist nichts passiert, ausser dass sie «suufnass» und eiskalt ins Haus rannte.