Dreimal haben sie ihre Pacht verloren, dreimal mussten sie wieder neu anfangen: Lydia und Peter Bieri aus Zauggenried haben in den 35 Jahren, in denen sie einen Landwirtschaftsbetrieb führten, mehr erlebt als manch andere Bauernfamilie. Trotzdem haben sie nie gehadert, nahmen jedes Mal die Herausforderung an. Angefangen hat alles im Emmental, sie führten im Solothurner Jura einen Bergbauernbetrieb mit Restaurant und am Schluss landeten sie im luzernischen Hüswil, wo sie 2002 ihre ganze Vieh- und Fahrhabe versteigerten.

Zuerst Melker

Heute wohnen Lydia und Peter Bieri in Zauggenried. In der gemütlichen Stube liegen die Fotoalben auf dem Tisch, Bieris erzählen von früher, erzählen, wie alles angefangen hat. Sie schwelgen in Erinnerungen und erklären, warum sie damals ihre Pachten verloren haben, erklären, wie die Viehzucht ihr Leben prägte. Wie sein Vater, so war auch Peter Bieri in den 60er-Jahren zuerst Melker auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Jegenstorf. Als Schulbub habe er siebenmal die Schule wechseln müssen, immer auch, wenn sein Vater eine andere Melkerstelle angenommen hat. Lydia Bieri, geborene Dürrenmatt, ist auf einem kleinen Bauernhof in Sangernboden mit neun Geschwistern aufgewachsen. Der Vater arbeitete auswärts, alle Kinder mussten schon früh mit anpacken.

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Ab ins Emmental

Das junge Paar träumte schon lange von einer eigenen Pacht. Dank guter Beziehungen ins Emmental war es 1967 soweit. «Ohne Geld, aber mit drei Kindern und viel Energie, zogen wir von Jegenstorf nach Trubschachen auf die Rotenfluh», erzählen Lydia und Peter Bieri ihre Anfänge. Die junge Pächterfamilie musste damals einen Kredit aufnehmen, hatte weder einen Besen noch eine Gabel, geschweige denn eine Kuh, die sie mitnehmen konnte. «Die Rotenfluh war ursprünglich ein Sömmerungsbetrieb. Ein schönes Heimet, 40 ha gross, dazu mit noch einmal so viel Wald», so Bieri. Übernommen haben sie damals fünf Kühe, drei Kälber und ein paar alte Maschinen. «Uns hat es dort sehr gut gefallen», nicken Lydia und Peter Bieri zufrieden. Man wuchs in die viele Arbeit hinein, konnte mit der Zeit diese und jene Maschine zukaufen. Auch im Stall standen plötzlich 16 Kühe auf zwei Lägern da. Bieris hatten das Züchterblut in ihren Genen. Als Ende der 60er-Jahre die Einkreuzung mit Red Holstein in der Schweiz begann, war Peter Bieri einer der Ersten, der Red-Holstein-Stiere aus Amerika einsetzte. «Ich hatte damals das erste Red-HolsteinKuhkalb in unserer Viehzuchtgenossenschaft Trubschachen», weiss der Züchter noch. Auch die erste 98-pünktige Kuh hatten sie mit ihrer reinen Simmentalerkuh Tschägg auf dem Schauplatz. «Das war eine besondere Kuh, eine Kuh mit starkem Euter und viel Format», erinnert er sich.

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Auf dem Grenchenberg

Peter Bieri engagierte sich auch im Red-Holstein-Komitee, war neben Edgar Bläsi aus Härkingen und Hans Bärtschi aus Lützelflüh eine treibende Kraft in der RH-Zucht. Die Familie Bieri machte sich weitherum einen Namen als erfolgreiche Züchter, konnte viele Nutzkühe verkaufen. «Ja, das war eine schöne Zeit und wir fühlten uns auf der Rotenfluh richtig wohl», erinnert sich das Rentenpaar zurück. Da war es schon ein Schock, als sie nach 15 Jahren ihre Pacht verloren, ihr Emmental verlassen mussten. «Die Rothenfluh gehörte einer Erbengemeinschaft und wegen Selbstbewirtschaftung erhielten wir die Kündigung», erzählt Lydia Bieri die Geschichte. Damals waren Pachtbetriebe rar, man musste froh sein, wenn man zu den Auserwählten gehörte, die den Zuschlag bekamen. Auch bei Bieris war das nicht anders: Sie bewarben sich auf den Untergrenchenberg, einen Betrieb im Kanton Solothurn mit Bergrestaurant. Der Untergrenchenberg liegt auf 1300 Meter über Meer auf der ersten Jurakette mit herrlicher Sicht über das Mittelland bis zu den Alpen. Aus mehr als 50 Bewerbern bekamen Bieris den Zuschlag. Bieris wurden von der Stadt Grenchen, der Eigentümerin, als Pächterfamilie auserkoren. Vor der Abreise von der Rothenfluh musste Lydia Bieri aber noch die Wirteprüfung absolvieren. Von Januar bis März musste sie damals in Kriegstetten die Schulbank drücken, bis sie das Wirtepatent in der Tasche hatte.

«Das Auto hat sich mehrfach überschlagen.»

Peter Bieri, Zauggenried.

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Ein Unfall mit dem Auto

Am 1. April 1981 zogen Bieris mit Sack und Pack von der Rothenfluh auf den Untergrenchenberg. Mit dabei ihre sechs Kinder, der ganze Viehbestand und ihre Maschinen. Ihr siebtes Kind kam 1982 dann auf dem Berg zur Welt. «Es war eine harte Zeit, quasi vom Regen in die Traufe», erinnern sie sich zurück. Sie hatten vom Wirten keine Ahnung, wussten nicht, wie rau das Klima im Jura war. Jeden Tag führte Peter Bieri seine Kinder ins zwölf Kilometer entfernte Grenchen zur Schule, jeden Tag mussten sie mit der Milch ins Tal. «Das ging in einem», lacht er heute noch. Doch einmal verging ihm das Lachen: «Wie immer im Winter fuhr ich frühmorgens mit den Kindern und sieben Kannen Milch talwärts. Es war glatt und es lag Schnee auf der steilen Strasse. Plötzlich rutschte mein Auto die Passstrasse hinunter, über die Böschung hinaus», weiss Bieri noch. Mehrfach überschlug sich das Auto, kam endlich bei einer dicken Tanne zum Stillstand. «Das Auto war abbruchreif, doch mir und den Kindern hat es nichts gemacht», bilanziert er rückblickend den Unfall.

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Brot und Züpfe

Während Peter Bieri sich auf dem Untergrenchenberg um die Landwirtschaft kümmerte, hielt seine Frau Lydia in der Gaststube das Zepter in der Hand. «Jeden Mittag hatten wir ein Menü, jeden Sonntag gab es einen Brunch», so die Gastwirtin. Ihre Rösti war der Hit, ihre Portionen legendär. Das Brot und die Züpfe habe man selber gebacken und eingekauft wurde immer am Montag, wenn das Restaurant geschlossen war. Lydia Bieri stand in der Küche, die älteren Töchter hinter dem Buffet. «Unterstützung bekamen wir von lieben Freunden oder durch gute Aushilfen», weiss sie noch.

Wurden überrannt

An Wochenenden oder an schönen Tagen kamen Hunderte Wanderer oder Spaziergänger den Berg hinauf, fast jeden Mittag wurden 50 Menüs zubereitet. Auch das Massenlager war auf dem Untergrenchenberg immer gut besetzt. «Vielleicht waren wir zu billig oder servierten zu grosse Portionen», lacht Lydia Bieri heute noch darüber. Doch ihr grosser Arbeitseinsatz ging nicht spurlos an ihr vorüber, der tägliche Stress wurde der Bäuerin mit der Zeit zum Verhängnis.

Derweil lief es im Stall bei Peter Bieri rund. Neben dem Heuen, den eigenen 16 Kühen und der Nachzucht gab es im Sommer noch 40 fremde Rinder zu betreuen. Bieri nahm erfolgreich an Ausstellungen teil, war mit seinem Viehbestand der Zeit voraus. Mehr als eine Viehzuchtgenossenschaft suchte damals den Weg auf den Untergrenchenberg, mehr als eine Genossenschaft wollte seinen Red Holstein-Bestand mit eigenen Augen sehen. Bieri setzte damals auf vielversprechende Red-Holstein-Stiere wie Topper, James, Cress, Haven, Firestar oder Leon.

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Eine gewaltige Kuh

Mehr als eine Schönheit stand in seinem Stall, mehr als eine RH-Kuh zog die Blicke auf sich: so auch die Cress-Tochter Lerche, geboren 1980. Als Rind leistete die Ausnahmekuh schon 7200 kg Milch, steigerte sich dann in der dritten Laktation auf 12 100 kg – dies vor 40 Jahren, dies in der Bergzone II. Punktiert wurde Lerche damals mit 34 55 94. «Das war schon eine gewaltige Kuh, trotz ihrer hohen Milchleistung kalbte sie jedes Jahr immer wie am Schnürchen im Januar ab», erinnert sich der Züchter zurück. Und warum nur die Note 3 im Typ? «Lerche war mit ihrer gewaltigen Grösse von 170 cm den Experten viel zu gross», weiss Peter Bieri zu erzählen. Er selber habe auch nie über Lerche hinübersehen können, so gross war sie. «Ja, wenn wir Viehschau hatten, war Lerche immer das Gesprächsthema, die Leute standen hinter ihr, die Leute diskutierten über sie», so Bieri. Doch der tragische Tod von Lerche beschäftigt den Züchter heute noch. «Als ich eines Abends vor dem Zubettgehen durch den Stall ging, sah ich eine grosse Blutlache hinter der Kuh. Ich sah, dass die Milchader am Bauch von Lerche ein grosses Loch hatte, wahrscheinlich durch die eigene Klaue verursacht», so Bieri. Der Tierarzt meinte zwar, es könnte auch eine Sabotage sein. Lerche verblutete, starb, als sie in Höchstform war.

War ein Fehler

Der Erfolg und die hohe Arbeitsbelastung zollte mit der Zeit doch ihren Tribut: Nach sieben Jahren auf dem Untergrenchenberg konnten Bieris nicht mehr. «Ich war am Anschlag, hatte keine Kraft mehr», weiss Lydia Bieri noch. Heute redet man von einem Burn-out, früher von einer Überanstrengung. «Ich war keine Frau, die etwas abgeben konnte, wollte immer alles selber machen, was rückblickend sicher ein Fehler war», sagt die heute 78-Jährige. Vor allem, wenn kurz vor dem Mittag ein Telefon kam, man werde zum Zmittag noch mit 30 Leuten aufkreuzen, zerrte das an den Nerven und wir mussten immer schauen, was die Kühltruhe noch schnell hergab. Für Bieris gab es keine andere Wahl, sie mussten den Untergrenchenberg verlassen, ihrer Gesundheit zuliebe mussten sie weiterziehen. Nun ging die Suche nach einem neuen Pachtbetrieb von Neuem los. «Eigentlich hätte ich damals tiefer in den Jura ziehen wollen», weiss Peter Bieri noch, doch seine Frau hatte dafür kein Musikgehör. Fündig wurden sie mit viel Glück im luzernischen Hüswil. 1988 ging es dann erneut mit Sack und Pack in einen anderen Kanton. In Hüswil hiess es wieder neu anfangen, wieder an einem anderen Ort, wieder mit neuen Nachbarn.

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Der Knecht im Stall

Bieris hatten in Hüswil 20 Kühe im Stall, betrieben Ackerbau- und Milchwirtschaft. Auch die Viehzucht kam am neuen Ort nicht zu kurz. Mehr als einmal erzielte Peter Bieri mit seinen Kühen an einer Schau einen ersten Rang, mehr als einmal konnte er dort eine schöne Kuh verkaufen. «Ich war eigentlich der Knecht im Stall», lacht Lydia Bieri heute noch. Sie habe jeden Morgen die Kühe geputzt, habe mehr als einmal den Stall besorgt. Ihre grosse Leidenschaft galt den Blumen. Im Sommer stand das Bauernhaus in einer grossen Blumenpracht und blühten ihre Geranien in den schönsten Farben. In Hüswil haben Bieris ihren Weg ebenfalls gefunden, doch auch hier kamen dunkle Wolken auf. Nach 15 Jahren bekamen sie die Kündigung, wegen Eigennutzung des Betriebs. Peter mit seinen 60 und Lydia Bieri mit ihren 57 Jahren mussten sich entscheiden: eine neue Pacht oder eine Versteigerung?

Die grosse Versteigerung

Am Freitag, 15. März, und am Samstag, 16. März 2002, war es soweit: Die grosse Versteigerung von Red-Holstein-Zuchtvieh und Fahrhabe wurde angesagt. «An einem Tag war das Vieh (60 Stück) und am nächsten Tag die Maschinen und alle Geräte an der Reihe», weiss Peter Bieri noch. Der Besucheraufmarsch war enorm, da Bieris mit ihren schönen Kühen weitherum bekannt waren. Die Versteigerung war wie eine Chilbi an einer Beerdigung: Einerseits schmerzte es, die eigenen Tiere verkaufen zu müssen, andererseits war die Gant für viele ein Volksfest. «An einem solchen Tag funktionierst du einfach, hoffst, dass die Versteigerung reibungslos über die Bühne geht», so der Landwirt. Und reibungslos ist ihre Gant verlaufen: Viele ihrer Kühe und Rinder lösten Spitzenpreise, auch ihre bekannte Pickel-Tochter Idol war eine davon. Die Kuh Idol stand damals in der gezielten Paarung, war in der zweiten Laktation mit dem Maximum von 44 44 94 punktiert und mit VG 89 beschrieben. Schliesslich wurde die Schönheit nach einem heftigen Bieterduell für 13 000 Franken versteigert, an einen bekannten Züchter in den Buechiberg verkauft. Aber nicht nur Idol, auch etliche ein- und zweijährige Rinder waren stark nachgefragt. Baccala, Loyd, Pickel oder Stadel hiessen ihre Väter – manches von ihnen konnte weit über 6000 Franken zugeschlagen werden.

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Als Klauenpfleger unterwegs

Nach der Pachtauflösung in Hüswil zügelten Bieris auf den Milch- und Ackerbaubetrieb zu ihrer Tochter Heidi und ihrem Schwiegersohn Bernhard Kunz nach Zauggenried. Da Peter Bieri erst 60 Jahre alt war, musste er weiterschauen und hat sich danach einen Namen als Klauenpfleger gemacht. «Diese Arbeit habe ich 15 Jahre ausgeübt», so der heute 81-Jährige. Auch seine Frau Lydia war hier und dort eine gefragte Kraft, noch heute steht sie jeden Herbst auf dem Kartoffelvollernter und strotzt nur so von Energie. Peter und Lydia Bieri haben also 35 Jahre lang gebauert, haben dabei Höhen und Tiefen erlebt. Mit ihrem Schicksal haben sie nie gehadert, schauten immer vorwärts, auch wenn ihnen die Pacht wieder gekündigt wurde. Wo es ihnen am besten gefallen hat, können sie nicht genau sagen, vielleicht doch dort, wo alles angefangen hat, im Emmental.