Eine haushälterische Nutzung des Bodens, das war das erklärte Hauptziel der zweiten Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG II). Die Beratungen dazu begannen 2018 und endeten letzte Woche. Damit sind die definitiven Formulierungen bekannt. Beat Röösli, der beim Schweizer Bauernverband (SBV) das Dossier seit Jahren begleitet und die Interessen der Landwirtschaft in die Debatten eingebracht hat, beantwortet die wichtigsten Fragen zumRPG II.
Gibt es jetzt ein Stabilisierungsziel sowohl für Bauten als auch versiegelte Fläche ausserhalb der Bauzone?
[IMG 2]Beat Röösli: Ja, für beides. Die Vorlage will die Gebäudezahl und ihre Fläche stabil halten. Im Gegensatz zur Landschafts-Initiative lässt das Stabilisierungsziel des Gegenvorschlags ein moderates Wachstum zu.
Sind landwirtschaftliche Gebäude und Nutzungen davon ausgenommen?
Nur was die versiegelte Fläche betrifft, nicht aber bei der Anzahl Gebäude. Das heisst, dass man zwar wie bisher einen bestehenden Stall oder Auslauf vergrössern oder einen Umschlagplatz bauen kann, ein neues Gebäude müsste aber auf Stufe Kanton durch den Abbruch eines anderen Gebäudes kompensiert werden.
Fallen landwirtschaftsnahe Tätigkeiten unter das Stabilisierungsziel?
Neue Gebäude für landwirtschaftsnahe Tätigkeiten wie Agrotourismus, Betreuungs- oder Bildungsangebote sind auch betroffen. Dafür werden aber mehrheitlich bestehende Bauten genutzt, z. B. eine alte Scheune.
Der Bundesrat wollte die Sektoren Energie und Verkehr aus dem Stabilisierungsziel ausklammern. Ist es dabei geblieben?
Ja, Energieanlagen sowie kantonale und nationale und Verkehrsinfrastruktur sind ausgenommen, landwirtschaftliche Erschliessungsstrassen ebenfalls. Wie es mit den Gemeindestrassen aussieht, wird in der Verordnung geklärt werden müssen.
Wie soll die Abbruchprämie für nicht mehr genutzte Gebäude ausserhalb der Bauzone bemessen werden?
Die Abbruchprämie fördert die freiwillige Beseitigung nicht mehr benötigter Bauten. Sie deckt die vollen Abbruchkosten und ist das zentrale Instrument für die Stabilisierung der Anzahl Bauten. Den Anreiz braucht es, um in der Bilanz Luft für Neubauten zu schaffen. Für die Landwirtschaft ist das Instrument doppelt positiv. Einerseits dürfen die Landwirte sie auch dann in Anspruch nehmen, wenn sie einen Ersatzneubau erstellen. Zum anderen verschwinden störende Gebäude aus der Landwirtschaftszone.
Drei Kernpunkte
Im neuen Raumplanungsgesetz sind folgende Punkte aus landwirtschaftlicher Sicht zentral:
Stabilisierungsziel: Anzahl Bauten und versiegelte Flächen sollen ausserhalb der Bauzone stabil bleiben. Eigentlicher Gegenvorschlag zur Landschafts-Initiative.
Planungs- und Kompensationsansatz: Ermöglicht «spezielle Zonen» ausserhalb der Bauzonen, in denen bisher Verbotenes möglich wird. Hat für die Landwirtschaft sowohl positive als auch negative Aspekte.
Landwirtschaftliches Bauen: Die Landwirtschaft bekommt Vorrang, Abbruchprämie für ungenutzte Bauten. Insgesamt positive neue Regeln aus Sicht des SBV.
Was ist zu altrechtlichen Wohnbauten geregelt worden?
Durch eine Titeländerung erhalten neu die zonenkonformen landwirtschaftlichen Wohnbauten die gleichen Erweiterungsmöglichkeiten wie nichtlandwirtschaftliche. Damit wird die heutige Schlechterstellung der zonenkonformen Landwirtschaft beseitigt. Gerne hätten wir darüber hinaus eine Verbesserung erreicht, fanden aber keine Mehrheiten.
Warum sollten «spezielle Zonen» (Planungsansatz) für nicht standortgebundene Nutzungen ausserhalb der Bauzone nach Meinung des SBV nur im Berggebiet zulässig sein?
Mit diesem Anliegen ist der SBV nicht durchgekommen. Es geht vor allem darum, dass alte Ställe und Scheunen als Wohnraum bzw. touristisch umgenutzt werden dürfen. Dafür müssen die Kantone einen entsprechenden Perimeter in der Richtplanung erfassen, was einige Zeit dauert. Im Berggebiet kann das sinnvoll sein, auch für Landwirte im Sinne einer neuen Einkommensmöglichkeit. Im Talgebiet dürfte das Instrument aber eher für den Bau von Freizeit- und Parkanlagen genutzt werden, weil es dort günstiger ist als in der Bauzone. Wie wir es von den Golfplätzen kennen, geht dies auf Kosten des schönsten Kulturlandes, weshalb der SBV den Planungsansatz aufs Berggebiet beschränken wollte. Entscheidend wird sein, wie grosszügig die Kantone in ihren Richtplänen solche Zonen einrichten und welche Art Kompensationen sie bevorzugen, ökologische oder landwirtschaftliche.
Was ist in diesem Zusammenhang mit «entsprechenden Kompensations- und Aufwertungsmassnahmen» gemeint?
Mit dem Planungsansatz wird etwas erlaubt, was eigentlich nicht zulässig wäre. Die Bedingung dafür sind Aufwertungs- und Kompensationsmassnahmen. Konkret könnte etwa bei der Umwandlung einer alten Walser-Siedlung im Berggebiet zu Tourismuszwecken die Wiederherstellung von Steinmauern in der Landschaft als Kompensation vorgeschrieben werden.
Welche weiteren Möglichkeiten gibt es?
Als Kompensation die Biodiversität zu fördern, wäre für den Kanton wohl am einfachsten und billigsten – man kann lediglich eine Fläche extensivieren oder z. B. Hecken pflanzen. Wir konnten aber durch unseren Widerstand erwirken, dass auch Aufwertungen des Kulturlandes als Kompensation gelten. Denkbar wären Bodenmeliorationen oder die Sanierung von Drainagen. Welche Möglichkeit am Ende gewählt wird, dürfte strittig werden.
Wie sorgt das neue RPG für einen Vorrang der Landwirtschaft in der Landwirtschaftszone?
Rückt das Siedlungsgebiet wegen Einzonungen näher an den Betrieb oder werden ehemalige Ställe zu Wohnungen umgenutzt, kann es wegen Geruchsemissionen zu Konflikten kommen. Das RPG sieht neu vor, dass die Kantone in solchen Fällen die Geruchsbestimmungen anpassen können. Das ist der erste Punkt. Zweitens muss der Kanton in der Interessenabwägung, wenn es um die Nutzung einer Fläche oder um eine Tätigkeit in der Landwirtschaftszone geht, der Landwirtschaft grundsätzlich Vorrang gegenüber den Interessen eines Privaten geben. Wie wirksam dieser Vorrang ist, wird sich in der Vollzugspraxis zeigen müssen.
Sind Biogas- und Kompostieranlagen neu konform in der Landwirtschaftszone?
Anlagen zur Gewinnung von Energie aus Biomasse «konnte» der Kanton bisher als zonenkonform bewilligen. Wegen der Kann-Formulierung wurden sie jedoch wie Ausnahmetatbestände behandelt. Neu gilt die Anlage immer als zonenkonform. Dies gilt neu auch für den Transport der Energie. Zudem fällt die aufwendige Planungspflicht weg. Auch musste bisher das Substrat mehrheitlich vom Standortbetrieb kommen. Neu kann es auch von Betrieben in der Umgebung stammen. Damit können z. B. mehrere Bauern Gülle oder Holz gemeinsam in einer grossen Anlage verwerten. Mit diesen neuen Freiheiten geht eine Begrenzung der Substratmenge auf 45 000 t einher. In der Praxis hat dies für bäuerliche Anlagen jedoch kaum Relevanz, denn dies entspricht etwa 150 % der aktuell grössten Anlagen.
Welche Verbesserungen bringt das RPG für die innere Aufstockung?
Bei der bodenunabhängigen Tierhaltung stellte das Bundesgericht einen Widerspruch zwischen Gesetz und Verordnung fest. So sei die Berechnung der maximalen Stalldimensionen nur noch per Deckungsbeitrag, jedoch nicht mehr per Trockensubstanzpotenzial zu berechnen. Folglich galten viele Ställe plötzlich als zonenwidrig. Zahlreiche Baugesuche wurden nach mehrjährigen aufwendigen Planungsverfahren unerwartet abgelehnt. Um dieses Gerichtsurteil zu neutralisieren, haben wir nun dafür gesorgt, dass die beiden Berechnungskriterien direkt im Gesetz festgeschrieben werden.
Verstärkt RPG II den Kantönligeist durch die Möglichkeit für kantonal eigene Regelungen?
Beim Planungs- und Kompensationsansatz wird den Kantonen tatsächlich mehr Freiheit gewährt. Das ist insofern sinnvoll, da nicht in allen Kantonen die gleichen Herausforderungen bestehen. Auch bei den Abständen wegen Geruchsemissionen erhalten sie den von uns geforderten Spielraum. Erfolgreich verhindern konnten wir auf der andern Seite, dass die Kantone nach eigenem Gutdünken einschränkende Bestimmungen bei landwirtschaftlichen Bauten einführen können. Das hätte angesichts der Fleischkritik in städtischen Kantonen problematisch werden können.
Wie geht es jetzt weiter?
Nun wird die Verordnung ausgearbeitet. Der SBV setzt sich dabei weiter für die Interessen der Landwirtschaft ein und wir sind zuversichtlich, dass wir als Hauptbetroffene auch gehört werden. Ausserdem haben wir mit Bundesrat Albert Rösti sicher einen guten Draht zum zuständigen Amt. Beim Planungsansatz erwarten wir eine Umsetzung mit Augenmass, so dass auch die Landwirtschaft davon profitieren kann. Im Idealfall könnte die Verordnung Ende 2024 vorliegen und 2025 in Kraft treten. Danach wird die Knacknuss sein, was die Kantone damit machen und wie schnell. Denn sollten sie das Stabilisierungsziel nicht innert fünf Jahren umsetzen, gibt es keine Baubewilligungen mehr, auch nicht für die Landwirtschaft.
Rückzug der Initiative?
Das RPG II soll als Gegenvorschlag zur Landschafts-Initiative auch deren Anliegen auf Gesetzesebene aufnehmen. Während den Beratungen begrüssten die Initianten das Stabilisierungsziel und zeigten sich bereit, abhängig von den weiteren Entwicklungen die Initiative zurückzuziehen. Auf Anfrage sagt Elena Strozzi, Geschäftsleiterin der Landschafts-Initiative, der Entscheid sei noch nicht gefallen. Vor allem die neuen Umnutzungsmöglichkeiten seien schwer zu verdauen. Man wolle das RPG II in Ruhe analysieren und mit den unterstützenden Organisationen besprechen. Die Beratung der Initiative im Nationalrat stehe schliesslich noch aus und damit bleibe für einen Rückzug Zeit bis Ende Dezember.