Was raten Sie als psychologische Beraterin von Bauernfamilien, um Generationenkonflikte auf dem Betrieb vermeiden zu können?
Sonja Imoberdorf: In der Begleitung von Bauernfamilien sind Generationenkonflikte ein Thema neben vielen anderen Herausforderungen, wie z.B. finanzielle Engpässe, Arbeitsüberlastung, Krankheit oder Trennungen. Es ist wichtig, eine offene und vor allem ehrliche Gesprächskultur zu leben. Ob eine Familie einen bäuerlichen Bezug hat oder nicht. Wenn alles ausgesprochen werden darf, ohne dass dabei jemand Angst vor Streit hat, können unterschiedliche Ansichten frühzeitig geklärt werden und nicht erst, wenn einem der Kragen platzt, weil zu lange die Faust im Sack gemacht wurde.
Im Falle eines Konflikts beraten Sie die Familie oder einzelne Mitglieder akut oder über eine längere Zeit?
Die Klärung von unterschiedlichen Ansichten ist meistens ein Prozess, der Einzelgespräche und Gespräche mit allen Beteiligten am runden Tisch beinhaltet. Doch es kommt auch vor, dass sich Fachpersonen oder direkt Betroffene telefonisch oder per E-Mail bei mir melden. Dann geht es darum herauszufinden, welche Informationen dienlich sind für den nächsten Schritt. Es ist eher selten, dass akut eine Lösung gefunden werden muss, weil zum Beispiel häusliche Gewalt im Spiel ist.
In einem Familienunternehmen ist es aus meiner Sicht typisch, dass sich Probleme chronifizieren, weil die Familie zu Gunsten des Betriebes vieles kompensiert. Doch irgendwann bringt der berühmte Tropfen das Fass dann zum Überlaufen.
Sprechen Sie bei einem Treffen mit der gesamten Familie?
Konflikte entstehen, wenn unterschiedliche Erwartungen aufeinandertreffen. Deshalb ist es mir in der Beratung wichtig, Einzel- und gemeinsame Gespräche anzubieten. Jede Person nimmt einen Konflikt anders wahr. Ich erlebe es immer wieder, dass die Aussagen zu einem Streitpunkt sehr unterschiedlichsein können. Meine Aufgabe ist es dann, mich als Fachperson nicht von einzelnen Meinungen «einfärben» zu lassen, sondern den Lösungsprozess aus einer neutralen Perspektive zu moderieren.
Verzeichnen Sie dabei Erfolge?
Es gibt verschiedene Stufen in einem Konflikt. Die Chance, tragfähige Lösungen zu finden, ist naturgemäss in der Anfangsphase am erfolgversprechendsten. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Beteiligten bereit sind, den eigenen Anteil an einer Auseinandersetzung ehrlich zu hinterfragen und einen Schritt aufeinander zuzumachen. Wenn die Fronten über lange Zeit stark verhärtet sind, ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Konses zwischen den Beteiligten gefunden werden kann.
Was ist aus Ihrer Sicht der häufigste Grund, dass Familienmitglieder nicht mehr miteinander auskommen?
Unausgesprochene Erwartungen. Dies ist die Falle in jeder Beziehungsform. Wenn ich beispielsweise erwarte, dass mein Mann von selbst merkt, dass ich mir mehr Mithilfe im Haushalt wünsche, warte ich womöglich ewig. Mit einfachen Kommunikationstechniken kann die Beziehungsqualität massgeblich verbessertwerden.
Warum fällt uns das so schwer?
Viele von uns haben in der Familie oder später in der Schule nicht gelernt, offen über Schwierigkeiten zu sprechen. Die eigenen Gefühle zu zeigen, ist in der Gesellschaft selten erwünscht. Ehrlich auszusprechen, was einen Menschen im innersten bewegt, ist deshalb etwas, das geübt werden muss. Und zwar in kleinen Alltagssituationen, damit man es bei grösseren Konflikten bereits kann, falls diese dann überhaupt noch entstehen.
Was raten Sie einer Person, die nicht gut mit ihren Familienmitgliedern auskommt und die Familienmitglieder nicht gut mit der/dem Betroffenen?
Sich frühzeitig über Hilfsangebote informieren, zum Beispiel auf der Website der landfrauen.ch (Rubrik «Hilfe & Unterstützung) und mit einer Beratungsstelle oder einer Fachperson Kontakt aufnehmen. Es ist immer hilfreich, in einer anspruchsvollen Situation mit einem ehrlichen Gegenüber Lösungswege zu suchen. Je früher dieser Hilfsprozess in Gang kommt, desto einfacher ist es Probleme zu lösen.
Gibt es viele Landwirte(innen), die wegen seelischem Schmerz (Todesfall in der Familie, Herzschmerz, Kummer) auf Sie zukommen?
Sorgen und Ängste sind in vielen Familien – egal ob in der Stadt oder auf dem Land - verbreitet: «Unter jedem Dach ein Ach». Viele Menschen besprechen Probleme zunächst mit guten Freunden oder mit Bezugspersonen aus dem Verwandtenkreis. Das ist auch bei Mitgliedern von Bauermfamilien nicht anders. Tendenziell melden sich mehr Bäuerinnen bei mir. Doch auch Landwirte nutzen die Chance in einem sicheren Gesprächsrahmen zu teilen, was ihnen wirklich unter den Nägeln brennt.
Es ist bekannt, dass der Beruf Landwirtin oder Landwirt körperlich, sowie mental belastend sein kann, weil sich das Private schlecht vom Beruflichen trennen lässt. Wie begegnen Sie überlasteten oder ausgelaugten Landwirtinnen und Landwirten?
Bei Überlastungserscheinungen ist es wichtig, dass sich Betroffene oder das Umfeld so früh wie möglich melden. Dann gilt es in kurzer Zeit Entlastungsmöglichkeiten wie die Betriebshilfe oder eine psychologische Begleitung zu erschliessen. In Bauernfamilien ist man es gewohnt, sich selbst zu helfen und oft werden Schwierigkeiten «totgeschwiegen», aus welchen Gründen auch immer. Ich wünsche mir deshalb, dass immer mehr Bäuerinnen und Landwirte den Mut haben, für das eigene Seelenwohl zu sorgen und wenn nötig eine Fachperson beizuziehen. Denn wenn es «mir selbst» gut geht, steigt auch die Lebensqualität in der ganzen Familie.
Mehr Informationen zu Sonja Imoberdorf und ihrem psychologischen Angebot finden Sie hier.
Zur Person
Sonja Imoberdorf ist Agronomin und Sozialarbeiterin und leitet die Fachstelle «Ländliche Familienberatung» beim Regionalen Sozialdienst in Frutigen und begleitet Bauernfamilien in schwierigen Situationen. In ihrem neuen Buch «Brücken-BauerIn in anspruchsvollen Zeiten» gibt sie Tipps, wie die Beziehung zu sich und zu anderen wertschätzend gestaltet werden kann.