Zwischen Weihnachten und Neujahr war ein arger Verkehr auf dem Lerchenhof in Zuben TG – die Haustür immer weit offen. Ein Zügelwagen stand auf dem Hof. Bettina Müller (30) und Benjamin Tschirky (28) platzierten ihre Möbel, packten Kisten aus und räumten Geschirr ein. Am Vortag war der Zügelwagen für Anita und Beat Leuch da. Leuchs räumten das Haus leer und machten Platz für das junge Paar mit dem acht Monate alten Lorenz.

Niemand in der Familie wollte

Auf den 1. Januar 2024 haben Leuchs ihren Hof übergeben –ausserfamiliär. Eigene Nachkommen gibt es nicht und auch aus der Verwandtschaft wollte niemand den Hof übernehmen. «Wir haben eine Unterkunft in Güttingen gefunden, bis unsere Wohnung in Hüttingen bezugsbereit ist», erzählt Beat Leuch. Er wird ab 1. März für eine Gartenbaufirma arbeiten.

Es ist ein Neuanfang, mit einem neuen Zuhause und einem anderen Lebensrhythmus. Ihre 21 Kühe melken jetzt Benjamin Tschirky und Bettina Müller. Sie haben Haus und Hof sowie die zehn Hektaren auf den 1. Januar 2024 übernommen. «Es ist wie ein Sechser im Lotto», sagt Bettina Müller. Sie suchten schon lange einen Hof und mit dem Lerchenhof von Anita und Beat Leuch ging ihr Lebenstraum in Erfüllung. Beide sind auf Milchwirtschaftsbetrieben aufgewachsen. Bettina Müller im Toggenburg, wo ihr Bruder den Hof übernimmt und Benjamin Tschirkys Schwester übernimmt seinen elterlichen Betrieb im Weisstannental.

«Der Betrieb soll weiter leben»
Anita Leuch sagt: «Einen Hof zu verkaufen, ist nicht das gleiche, wie einen Autoanhänger loszuwerden. Mein Mann Beat hat sich nie vorstellen können, den Betrieb zu verkaufen. Er ist hier aufgewachsen und wir verbrachten fast 35 Jahre auf dem Hof. Zuerst haben wir an Verpachtung gedacht. Aber was ist, wenn wir älter oder pflegebedürftig werden? Wir wollten, dass der Betrieb weiterlebt, und nicht im gleichen Tempo zerfällt, wie wir altern. Man würde zerstören, was man über lange Jahre aufgebaut hat. So entschieden wir uns für eine ausserfamiliäre Hofübergabe. Für uns ist es ein grosser Schritt, loszulassen und in einen neuen Lebensabschnitt zu starten. Weggehen ist mit Abschiedsschmerz verbunden. Wir haben im Rahmen der Betreuungsdienstleistungen Supervisionen besucht. Das hat uns geholfen, unsere Situation zu reflektieren. Auch luden wir Verwandte, Freunde und Bekannte zu Abschiedsessen ein. Dafür nahmen wir uns Zeit. Das Zusammensein und die Gespräche haben gutgetan. Wir sind uns bewusst, dass sich auch für Bettina und Benj viel ändert. Ich bin hier nicht wohlwollend empfangen worden, als wir heirateten. Der Ablöseprozess der Schwiegereltern von Haus und Hof gestaltete sich eher schwierig und brauchte seine Zeit. Umso mehr wollen wir, dass Bettina und Benj einen guten Start haben.» [IMG 3]

Entscheiden mit Herz und Verstand

Leuchs entschieden sich vor drei Jahren für den Hofverkauf nach einem Kurs «Ausserfamiliäre Hofübergabe» der Stiftung zur Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe. Sie informierten sich über rechtliche und finanzielle Fragen, die Altersvorsorge, das steuerliche Vorgehen und diskutierten mit Landwirten und Bäuerinnen, die wie sie unterwegs waren. Ihnen zur Seite stand Ueli Rindlisbacher. Rindlisbacher ist Landwirt und Berater für die oben genannte Stiftung und hat sich auf Hofübergaben spezialisiert. «Er wusste, wovon er sprach», so Beat Leuch.

Leuchs prüften elf Dossiers, die Hofsuchende via Hofnachfolge.ch bei der Stiftung hinterlegt hatten. Sie kontaktierten die Bewerber und luden sie für einen Hofbesuch ein. An den Besuchs-Samstagen war ein Kommen und Gehen auf dem Hof. Die einen Bewerber kamen am Vormittag, die anderen am Nachmittag und andere am Samstag darauf. Gezeigt wurde alles: Felder, Stall, Werkstatt und jedes Zimmer im Haus. Mit dabei war als quasi neutrale Person ein Kollege von Beat Leuch.

«Wichtig war und ist uns, dass der Hof biologisch bewirtschaftet wird», sagt Beat Leuch. Den Hof hat das Bauernpaar auf Mai 1989 von Beat Leuchs Eltern übernommen. Sie stellten auf Bio und Demeter um, setzten auf Milchwirtschaft und haben einen Hochstammobstgarten mit 200 Hochstammbäumen. Seit den 2000er-Jahren boten sie Time-outs für Jugendliche an und betreuten Menschen mit Beeinträchtigungen. 
Nach dem Besuch der Bewerber auf dem Lerchenhof empfahl Ueli Rindlisbacher Gegenbesuche. So starteten Anita und Beat Leuch eine Rundreise und besuchten alle in der engeren Wahl stehenden Bewerber in ihrem Lebens- und Arbeitsumfeld.

«Uns waren Bettina und Benj von Anfang an sympathisch. Schön ist, dass auch ihre Ursprungsfamilien hinter ihnen stehen und sie unterstützen», sagte Beat Leuch. Bettina Müller und Benjamin Tschirky überzeugten Leuchs auch durch ihren beruflichen Lebensweg. Müller startete ihre Laufbahn als Detailhandelsfachfrau, absolvierte ihr Vorstudienpraktikum auf einem Betrieb im Jura und bei der Stiftung Lebensart in Bärau, schloss die HAFL ab und wurde Betriebsberaterin am Inforama Bäregg. Tschirky absolvierte die Wirtschaftsmittelschule, schloss die Lehre als Landwirt EFZ ab und nach einem kurzen Gastspiel an der HAFL arbeitete er als Ausbildner in der Stiftung Lebensart, wo er sich im Bereich Arbeitsagogik weiterbildete. Seit September 2023 ist er am Strickhof als Klassenlehrer für Hofmitarbeiter tätig.

Auch kein Ad-hoc-Entscheid

Das junge Paar, so sehr es sich auch einen Hof wünschte, ging nicht übereilt vor. Bettina Müller rechnete drei Betvor-Varianten (Betriebsvoranschlag) und prüfte die Tragbarkeit. Sie besuchten Bio-Umsteigerkurse und einen Bio-Obstbaukurs. «Bio war immer eine Option für uns. Aber da wir auf konventionellen Betrieben aufgewachsen sind, fehlt uns die Erfahrung», führt Benjamin Tschirky aus. Dann aber griffen sie zum Telefon und gaben Leuchs ihre Zusage. Die junge Familie wird es finanziell zu stemmen wissen, zumal ihnen, wie Bettina Müller sagt, Sparen quasi in die Wiege gelegt wurde.

«Auf viel Wohlwollen gestossen»
[IMG 4] Bettina Müller erzählt: «Eigentlich war unser Lebensplan, zuerst Betrieb, heiraten und dann Kinder. Aber die Reihenfolge wurde auf den Kopf gestellt, als wir während drei Jahren keinen Betrieb fanden. Da ich als Betriebsberaterin am Inforama Bärau arbeitete, war mir bewusst, dass es nicht einfach ist. Aber nun haben wir es gut. Wir stiessen bei Anita und Beat Leuch auf viel Wohlwollen. Sie haben im Haus die Wände frisch gestrichen und noch Hochstammbäume bestellt und gepflanzt. Auch haben sie vom ersten Tag an mitgeholfen auf dem Betrieb. Dafür sind wir extrem dank-bar. Überhaupt sind beide Leuchs sehr modern in ihrem Denken. Sie haben auch ihre Verwandtschaft eingeladen, wo wir uns vorstellen durften. So viel Transparenz und ­Herzlichkeit trifft man ­selten.»

 


«Die Finanzierung ist eine grosse Herausforderung»

Was ist bei einer ausser­familiären Hofübergabe ­zu beachten?

[IMG 5] Jakob Vogler: Wir empfehlen eine frühe Auseinandersetzung mit der Situation. Der Generationenwechsel ist ein emotionales Thema, wird oft verdrängt und dann muss kurzfristig eine Lösung her. Das ist nicht ideal. Besser ist der Besuch einer unserer Kurse. Dort gibt es Tipps und die Teilnehmenden merken im Austausch mit Gleichgesinnten, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Wichtig ist es, die finanziellen und rechtlichen Konsequenzen zu klären. Zudem ist der Einbezug der ganzen Familie wichtig. Auch soll man sich überlegen, wie man im Alter leben will.

Wäre Verpachtung nicht eine bessere Lösung als Verkauf?

Jakob Vogler: Die Verpachtung ist in manchen Fällen finanziell nicht tragbar. Der Pachtzins generiert zu wenig, um die Altersvorsorge und den Liegenschaftsunterhalt zu gewährleisten. Zudem sollten sich Verpächter fragen, wer sich im hohen Alter z. B. um ein vom Sturm zerstörtes Scheunendach kümmert. Aber weil die Finanzierung für die Übernehmer eine grosse Herausforderung ist, bleibt die Pacht für sie oft die einzige Möglichkeit, selbstständig einen Betrieb zu führen.

Werden auch Wohnrechte vereinbart?

Jakob Vogler: Ja, das kommt vor. Statt eines Wohnrechts wird oft ein Mietrecht vereinbart. Die Auflösung ist einfacher, wenn das Zusammenleben nicht klappt. Grundsätzlich empfehlen wir aber den Wegzug ins Dorf oder in die Nähe der Familie eines Kindes.

Wie viel Erspartes muss ein junges Paar mitbringen, um einen Hof zu erwerben?

Dies ist je nach Betriebsausstattung, Region und Kaufpreis unterschiedlich. Das Ersparte eines jungen Paares reicht selten für einen Hofkauf. Neben den üblichen Fremdfinanzierungen sind junge Leute meistens auf grosszügige Privatdarlehen oder Schenkungen aus der Verwandtschaft und Bekanntschaft angewiesen. Auch unsere Stiftung zur Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe kann finanzielle Hilfe gewähren.

Wie gross ist das Risiko, dass junge Übernehmer in eine Verschuldungsspirale geraten könnten?

Der Kauf erfolgt zum Verkehrswert und um das Risiko zu verringern, braucht es eine Betriebsplanung mit Tragbarkeitsberechnung. Im Gegensatz zu den bisherigen Bewirtschaftern müssen die Übernehmer in der Regel durch einen neuen Betriebszweig oder eine ausserlandwirtschaftliche Tätigkeit zusätzliches Einkommen generieren. Aber wer einen Hof aus­serhalb der Familie kauft, wählt bewusst das bäuerliche Leben und ist zu einem besonders grossen Arbeitseinsatz bereit.