Von wegen besinnlicher Jahresausklang: Hier in der südlichen Hemisphäre herrscht Hochbetrieb, es ist schliesslich Sommer und Erntezeit.

Heftige Gewitter

Kurz vor Weihnachten beginnt die Ernte verschiedener Getreidearten. Der Buchhalter drängt noch vor Jahresschluss auf alle Belege und Daten und zu guter Letzt sind die Argentinier in Ferien- und Feierlaune. Von überall flattern Einladungen herbei, die man leider nicht immer annehmen kann – aus zeitlichen Gründen, versteht sich. Da kommt nun wirklich keine besinnliche Weihnachtsstimmung auf.

Wenigstens regnet es nun nach einer fast sechsmonatigen Dürrephase – leider höchst unberechenbar in Form von heftigen Gewittern. Einmal sogar so massiv, dass die traurige Nachricht von mehreren Todesopfern in der nahe liegenden Hafenstadt Bahia Blanca in den Schweizer Medien Erwähnung findet.

Auch bei uns werden zahlreiche Bäume einfach flachgelegt, mitsamt Wurzeln. Einige dicke Eukalyptus-Äste fallen auf die 7- bis 9-fachen Drahtzäune, die sich normalerweise als sehr stabil erweisen und jeden Stier vom Ausbrechen abhalten. Aber abgesehen davon und einer leicht verbogenen Halterung der Photovoltaikanlage haben wir den Sturm Gott sei Dank gut überstanden.

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Bitte keinen Hagel

Aber eben, den Regen hätte man lieber im Frühling und nicht zur Erntezeit gehabt. Das nötigt mich dazu, die Ernte des Leindotters am Nachmittag des 24. Dezember durchzuführen. Kaum war das Erntegut unter Dach, ergoss sich donnernd ein Wolkenguss übers Feld – wenn es nun nur nicht zu hageln beginnt!

Der besorgte Blick schweift über den erntereifen Dinkel. 23 Hektaren warten auf den letzten Tick Reife. Es erweist sich als ungewöhnlich schwierig, schon fast an die Schweiz erinnernd, sich die trockenen Stunden zwischen den Gewittern zum Dreschen zunutze zu machen. Es kommt erschwerend hinzu, dass mein Mähdrescher-Unternehmer weit entfernt von unserem Feld einen Grossauftrag hat und ich mehrere Tage weiter bangen muss.[IMG 4]

Im Nachbardorf hagelte es in der Nacht golfballgrosse Hagelkörner. Mit einem flauen Gefühl fahre ich am nächsten Morgen zum 35 km entfernten Dinkelfeld – ah, was für ein Glück: kein Hagelschaden!

Als wir endlich mit dem Dreschen beginnen, halten die beiden jungen Agronomen, die das Projekt begleiten, den Drescher an. «Zu feucht» – wir müssen warten. Was? 12,9 % soll zu feucht sein? In der Schweiz dreschen wir ab 15 %. Ja, aber hier wird nicht getrocknet – aus Kostengründen. Wir brauchen 12,5 %, lieber unter 12 %. Sonst riskieren wir, dass der Dinkel im Silo heiss wird.

Ich gebe dennoch grünes Licht zum Dreschen, weil ich auf den Mondkalender vertraue und die Konstellation günstig ist. Am Nachmittag fällt die Feuchtigkeit auf 11,2 %. Doch die Stunden reichen nicht, um das ganze Feld abzuräumen. Wir brauchen insgesamt drei Tage, weil auch immer wieder Regen fällt, aber am Ende haben wir alles im Silo.

Es ist kein guter Ertrag, wenn man mit dem Durchschnitt vergleicht, aber ein guter, wenn man bedenkt, dass der Dinkel in seiner Wachstumsphase lediglich 80 mm Feuchtigkeit zu Gesicht bekam.

Erster Schnitt in Sichtweite

Inzwischen haben wir den auf einer Hektare von Hand gesäten und gedroschenen Leindotter von Hand gereinigt. Mit ausrangierten Moskitnetzen lässt sich der feine Samen perfekt heraus sieben. So erhalte ich genügend Saatgut für ca. 25 Hektaren. Innert einer Woche hat es knapp 200 mm geregnet. Dem Mais gefällt dies gut, auch dem gesäten Saflor und den Sonnenblumen. Der bislang nicht gewachsene Luzerne-Klee erwacht zum Leben. Ich dachte schon, er sei tot. Nun steht er drei Wochen nach dem Regen ca. 25 bis 30 cm hoch. Das wird in Kürze den ersten Heuschnitt geben. 55 Hektaren eigenes und weitere 20 Hektaren vom Nachbarn warten auf mein Mähwerk. Ich komme aus dem Stress nicht heraus.

Dabei müssen noch der Emmer und das Einkorn, wo ich Saatgut vermehrte, von Hand gereinigt werden. Im Moment liegt es zum Trocken auf dem Betonboden der Garage. Gegen Mitternacht falle ich in diesen Tagen fix und fertig ins Bett, um kurze Zeit später, zwischen 5 und 6 Uhr morgens, erneut zu beginnen.

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Locker bleiben

Eines muss man den Argentiniern lassen: Sie nehmen es meist locker und «tranqui», aber wenn es um die Wurst geht, dann bringen sie vollen Einsatz.

Grossen Dank an dieser Stelle an meinen Lohnarbeiter Tomi und seine ganze Familie, die mich tatkräftig unterstützten. Auch meiner Familie grossen Dank und der jungen Schweizer Agronomin, Melanie Fanger, die gerade in dieser stressigen Zeit zu Besuch war und tatkräftig mitwirkte.

Zur Person

Mit 40 Jahren wechselte Egon Tschol von seinem Beruf als Finanzanalyst in die Landwirtschaft und übernahm 2009 einen Betrieb von elf Hektaren im schaffhausischen Klettgau. Er stellte auf Demeter und Mischfruchtanbau um. Mit Ehefrau Bea und den zwei Töchtern Fiona und Zoé sowie sechs Pferden wanderte er 2020 nach Argentinien aus, um die erlernte regenerative Landwirtschaft auf einer 15-mal grösseren Fläche uneingeschränkt anzuwenden.