Lorena Ritter geht seit Kindsbeinen z Alp. Dieses Jahr ist die 20-jährige Studentin erstmals alleine als Hirtin unterwegs. Auf der Alp Schräa im Calfeisental ist sie verantwortlich für 125 Eringerkühe und -rinder. «Dies ist nicht mein erster Alpsommer, ich bin kein Neuling», stellt sie klar. Sie wisse, wie das Alpleben sei. Doch die Situation mit dem dortigen Wolfsrudel hat sich in den letzten Tagen derart zugespitzt, dass der St. Galler Bauernverband Politiker und Medienvertreter auf die Alp einlud, um die Dringlichkeit der Regulation des Rudels vor Augen zu führen.

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Rudel folgt ihr auf Schritt und Tritt

Lorena Ritter sieht müde und erschöpft aus, was kein Wunder ist. Schon im Frühjahr beim Zäunen im Mittelsäss habe ihr der Wolfsrüde bei der Arbeit zugesehen, berichtet sie. «Darum haben wir keine Ziegen auf die Alp genommen.» Als das Vieh auf die Alp kam, sei es ruhiger geworden – bis zum 29. Juli. Als Ritter an jenem Morgen vor die Hütte trat, spielten dort die Wolfswelpen. Sie liessen sich nicht vertreiben, weder durch Steine noch durch Schreien. Von da an sah sich Ritter täglich mit dem Wolfsrudel konfrontiert. «Sie sind um die Hütte und in der Herde.»  Die Hirtin begann, bei der Herde zu übernachten. Bei schlechtem Wetter schiebt sie Nachtwache.

«Ich will nicht, dass meinen Tieren etwas passiert. Ich will nicht, dass Tierschützer sagen, ich hätte nicht zu den Tieren geschaut, falls etwas passieren würde.»

Lorena Ritter ist auch nachts bei der Herde

Am 8. August gab es dann einen Angriff auf die Herde, bei dem Lorena Ritter einschreiten konnte. Ein Kalb war danach allerdings so geschwächt, dass es in der Hütte mit Zuckerwasser aufgepäppelt werden musste. «Es blieb so schwach, dass wir es mit dem Helikopter ins Tal fliegen mussten», erzählt sie.

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Kritk am Wildhüter

Von der Wildhut wurden Lorena Ritter Ratschläge per Telefon erteilt. Erst am 3. August kam jemand auf die Alp, vier Tage nach dem ersten Vorfall mit den Wolfswelpen vor der Hütte. SBV-Präsident Markus Ritter gibt das zu denken:

«Wenn der Wildhüter von einer solchen Situation erfährt, dann hat er zu erscheinen und zwar sofort.»

Markus Ritter, SBV-Präsident

Gemäss der neuen Jagdverordnung, die am 1. Juli 2023 in Kraft trat, sei jedes Zuwarten eine Fehleinschätzung. In Anbetracht der rechtlichen Grundlagen dürfte der Rüde geschossen werden, so Ritter.

AboWolfsrisseKanton St. Gallen stellt Antrag zur Regulation des Calfeisental-RudelsFreitag, 11. August 2023Beat Tinner, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartement des Kantons St. Gallen, ist der Dialog mit allen Akteuren wichtig. «Darum bin ich heute hier.» Er betont, dass der Kanton nicht tatenlos zuschaue. «Mit den erneuten Schafrissen auf der Alp Gafarra durch das Calfeisental-Rudel und der damit überschrittenen Mindestrisszahl hat der Kanton gestern Freitag beim Bund ein Abschussgesuch für drei Wolfswelpen eingereicht.» Tinner geht davon aus, dass das Gesuch übers Wochenende geprüft wird und anfangs Woche eine Antwort des Bundes vorliegt.

Ganzes Rudel ist verhaltensauffällig

Dem St. Galler Bauernverband (SGBV) geht das zu wenig weit. Der SGBV stellt die Forderung an den Kanton, dass das ganze Rudel und nicht nur die vom Kanton beantragten drei Welpen geschossen werden. Es reiche auch nicht, wenn nur der Wolfsrüde eliminiert werde. «Das ganze verhaltensauffällige Rudel muss weg», bringt es Präsident Peter Nüesch auf den Punkt und weiter: «Die Älpler, Bauernfamilien und Alpbesitzer haben in den letzten zehn Jahren enorm viel geleistet, damit ein Zusammenleben mit dem Wolf gelingt, aber jetzt ist genug!»

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Diesem Votum schliesst sich die St. Galler Ständerätin Esther Friedli an: «Ich habe grossen Respekt vor der Arbeit von Lorena Ritter. Das hier ist kein Zustand.» Die Kantone hätten jetzt die Handhabe, einzugreifen und die Wölfe abzuschiessen. «Es braucht auch präventive Abschüsse, sonst haben wir in kurzer Zeit kein Alpwirtschaft mehr in der Schweiz.»

Die Hirtin ist ständig auf der Hut

AboDefinitive VersionJagdverordnung tritt in Kraft: Das gilt ab Juli 2023 beim WolfFreitag, 2. Juni 2023 Markus Ritter, Peter Nüesch und Esther Friedli fordern, die Wildhut müsse in Fällen wie jenem von Lorena Ritter vor Ort sein und die Älpler(innen) unterstützen. Während diesen Ausführungen und Voten schweift Lorena Ritters Blick immer wieder übers Gelände. Plötzlich ist Wolfsgeheule zu hören. Die Hirtin sieht sich nach ihrem Hund um und rennt los – zum Glück ist es ein Fehlalarm, Asco liegt hinter der Hütte und ruht sich aus. Das Wolfsgeheule dauert an, blicken lassen sich die Wölfe aber nicht. Die Frage, ob sie nächstes Jahr wieder auf die Alp geht, lässt sie unbeantwortet: «Das muss ich mir gut überlegen.»