«Blue Eyes» macht ihrem Namen alle Ehre: Sie hat wunderschöne blaue Blüten und die Knolle hat dunkle, augenförmige Streifen. Wenn man sie wie Gschwellti kocht und schält, bleiben diese Streifen weiterhin sichtbar. Das Fleisch selbst ist aber nicht blau, sondern sattgelb. Den Geschmack kann man als mandel- oder marronenartig bezeichnen.
Schneller Gar
Eine spezielle Eigenschaft ist die kurze Kochzeit: Blue Eyes ist deutlich schneller gar. Damit passt sie ideal in die heutige Zeit, da man die Gschwellti schon nach zehn bis 15 Minuten und nicht wie üblich erst nach 20 bis 25 Minuten auf den Tisch bringen kann. Dafür ist der Ertrag nicht ganz so hoch wie gewohnt.
Gezüchtet wurde Blue Eyes nicht etwa von einem grossen, weltweit tätigen Zuchtkonzern, sondern von Stefan Griesser aus Weiach. Griesser hat ursprünglich Elektroniker gelernt, danach Informatikprojekte bei einer Grossbank geleitet und später ein Studium der Umweltwissenschaften an der ETH begonnen.
Pflanzenzüchtung ist sein Hobby. Aber er betreibt es so intensiv, dass es sich wie ein dicker roter Faden durch sein Leben zieht. Auch in seiner Bachelorarbeit geht er speziellen Züchtungsfragen nach. «Ich bin vermutlich genetisch vorprogrammiert», sagt er lachend, «als Zwölfjähriger habe ich bereits erste Kreuzungen mit kurz- und langstieligen Primeln gemacht.»
Später versuchte er sich am Obst. «Aber da dauert es 25 Jahre, bis man ein Resultat hat.» Mit Kartoffeln kommt man schneller ans Ziel. Es braucht allerdings eine genügend grosse Auswahl, um selektieren zu können.
20 Hektaren stehen bereit
Daran mangelt es Griesser nicht. Er pflanzt jedes Jahr auf 20 Aren rund 1000 bis 3000 Einzelpflanzen an, die er aus Samen gewonnen hat – etwa 250 alte Kartoffelsorten. «Dazu kommen noch zahlreiche Sorten von Züchterkollegen aus aller Welt und Wildformen aus verschiedenen europäischen Sammlungen.»
Wegen des letzten Punktes wäre sein Traum von der Nischensorte beinahe geplatzt. Denn Blue Eyes gehört zur Kartoffelart «Solanum phureja». Demgegenüber gehören Kartoffeln, die normalerweise bei uns auf den Tisch kommen, der Art «Solanum tuberosum» an.
In der Schweizer Sortenverordnung ist «Solanum phureja» nicht vorgesehen. Das für die Sortenzulassung zuständige Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) war deshalb erst einmal unschlüssig, ob die von Griesser gezüchtete Kartoffel hierzulande überhaupt als Kartoffel durchgeht.
Am Ende fällte das BLW einen pragmatischen Entscheid. BLW-Mitarbeiter Paul Mewes teilt mit: «Alle knollenbildenden Solanum-Arten, die unter den gebräuchlichen Namen ‹Kartoffel› fallen, gehören aus unserer Sicht in den Geltungsbereich der Saat- und Pflanzgutverordnung.» Was wie eine Kartoffel aussieht, schmeckt, angebaut und verarbeitet wird, soll also auch zulassungstechnisch wie eine Kartoffel behandelt werden.
Bewilligung als Nischensorte
Trotzdem war die Bewilligung von Blue Eyes alles andere als «courant normal». Im Gegenteil: Es handelt sich um eine Premiere. Es ist nämlich das erste Mal, dass in der Schweiz eine neugezüchtete Kartoffelsorte als Nischensorte bewilligt wird.
Normalerweise braucht es für den Vertrieb einer Kartoffelsorte einen Eintrag im nationalen Sortenkatalog. Um den Sprung in ebendiesen zu schaffen, müssen zahlreiche Bedingungen erfüllt sein. Darüber hinaus muss eine Sorte auch noch zwei, drei Jahre lang unter Aufsicht vom Bund angebaut und auf Unterscheidbarkeit, Homogenität und Stabilität sowie Anbau- und Verwendungseignung getestet werden.
Das Zulassungsprozedere dauert im Minimum drei bis vier Jahre und ist mit 20 000 Franken nicht gerade günstig. Griesser schätzt den Kapitalbedarf insgesamt auf mindestens 150 000 Franken. Ohne diese Zulassung darf Saat- und Pflanzgut einer Sorte aber nicht in den Verkehr gebracht werden. Es sei denn, es handelt sich um eine Nischensorte.
Höchstmenge für Saat- und Pflanzgut
Als Nischensorte gilt eine Landsorte, eine alte Sorte oder eine sonstige Sorte, die die Anforderungen für die Aufnahme in den Sortenkatalog nicht erfüllt. Bei Kartoffeln sind das etwa die alten Sorten «Parli», «Blaue Schweden» oder «Weisse Lötschentaler». Die Bewilligung als Nischensorte ermöglicht es, diese Sorten wenigstens in kleinem Mass kommerziell anzubauen.
Sie gilt allerdings nur in der Schweiz und das BLW kann eine Höchstmenge für das Saat- respektive Pflanzgut festlegen. Bei Kartoffelsorten sind es 25 Tonnen Pflanzgut jährlich. Das ist für Griesser kein Problem. Bis jetzt besitzt er erst 15 Kilo Basissaatgut.
Dieses will er nun vermehren lassen, so dass er danach vielleicht 60 Kilo Pflanzgut hat. Es wird also noch mindestens zwei Jahre dauern, bis die Konsumenten Blue Eyes im Laden kaufen können. Aber der Anfang ist gemacht. Seit dem 15. Dezember 2016 ist Blue Eyes der Name einer Kartoffelsorte.
Eveline Dudda/lid