Viel zu dieser Wahrnehmung beigetragen haben eine Reihe von Publikumsmedien, die aus einer Mischung von Langeweile und Ärger über die einseitige Ausgangslage das Haar in der Suppe suchten.

Dass nun der Souverän dieser etwas miesepetrigen Haltung den Wind aus den Segeln genommen hat, ist ein gutes Zeichen. Offensichtlich steht immer noch eine grosse Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Primärsektor und will, dass dieser massgeblich zur heimischen Versorgung beiträgt. Am stärksten zugestimmt hat mit teilweise schon überwältigenden Ja-Anteilen von über 90 Prozent die Westschweiz. Das bestätigt die These, wonach die Beliebtheit hiesiger Produkte viel zum positiven Ausgang des Urnengangs beigetragen haben, ist doch in der Westschweiz der AOC-Gedanke mit starker Förderung regionalen Schaffens deutlich besser verankert, als in der Deutschschweiz.

Nun sind mit dem positiven Ergebnis zugunsten des Gegenvorschlags natürlich nicht alle Probleme gelöst, um genauer zu sein, kein einziges. Es schafft einfach eine gute Ausgangslage für die bevorstehenden ernährungs- und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. An diesen wird es auch weiterhin nicht mangeln. Unmittelbar bevor steht als erstes der alljährliche Budgetzirkus. Mit dem Rückenwind aus der Abstimmung dürfte es den Agrariern und ihren Verbündeten im Parlament erneut gelingen, 
die alljährlichen Sparbemühungen des Bundesrates zu entschärfen.  

Doch dies ist nur ein Vorgeschmack auf grössere Unwetter, die sich am Horizont aufstauen. Zu erwähnen sind hier etwa die Raumplanung, der Pflanzenschutz, die Ressourceneffizienz sowie Kraftfutter- und Antibiotikaeinsatz. All das sind Themenkreise, in denen der Landwirtschaft viel Druck und Unbill droht, man denke nur an die Pestizidverbotsinitiativen, für die gegenwärtig erfolgreich Unterschriften gesammelt werden. Dazu kommen die harten Realitäten des Marktes: volatilere Preise in Kombination mit ebensolchen Klimaereignissen sowie ein Druck des Wirtschafts-Establishments in Richtung offenere Grenzen. 

Alleine wird die Landwirtschaft in diesen Auseinandersetzungen nicht bestehen können. Auf der Suche nach Verbündeten kommen wir zurück zum Abstimmungsergebnis. Dabei gilt es zu differenzieren. Hinter dem kraftvollen Ja steht nicht einfach eine homogene Einheitsfront, welche die Bauernsame auf Händen trägt. Wie bereits vielfach beschrieben, ist es vielmehr eine heterogene Allianz, welche die triumphale Mehrheit erringen half. Ein Teil der Ja-Stimmen gehört hier zweifellos den ökologisch motivierten Befürwortern von Ernährungssicherheit und landwirtschaftlicher Nachhaltigkeit in der Verfassung.

Wahrscheinlich macht es wenig Sinn, sich jetzt in Hahnenkämpfe um die Deutungshoheit zu stürzen. Vielmehr sollte sich die farbenfrohe Koalition im Ja-Lager zusammenraufen, denn man ist gegenseitig aufeinander angewiesen. Weder die traditionelle Lobby rund um den Bauernverband, noch die «Ökologen» aller Couleur (viele davon selber Bauern und Bäuerinnen), die Konsumenten und die Amtsstellen werden ihre Ansinnen künftig ohne Unterstützung der Ernährungssicherheits-Partner durchziehen können. 

Wenn die Schweizer Bauern aber die geringsten Chancen haben wollen, der Übermacht der rein Profit-getriebenen und finanziell exzellent gepolsterten Kräfte im Land etwas entgegenzustellen, muss es gelingen, über die Abstimmungkampagne hinaus diese Zusammenarbeit wenigstens punktuell zu wiederholen. Dank dem neuen Verfassungsartikel hat dieses Ansinnen jetzt auch eine internationale Komponente erhalten. Das eben Geschriebene gilt nämlich nicht nur für die Schweizer Landwirtschaft, sondern für die gesamte rund halbe Milliarde von bäuerlichen Familienbetrieben rund um den Globus.

Wenn sich die Koalition fallweise weiter bewährt, hat die Ernährungssicherheits-Debatte eine erstaunliche Karriere gemacht: Aus einem zähen bäuerlichen Verbandszwist entstanden kann sie sich zum Ausgangspunkt für eine breit abgestützte Ernährungspolitik entwickeln, für die sich weitere Kreise verantwortlich fühlen, als nur die bedrängte Landwirtschaft.

akr