Das Einschläfern eines Pferdes ist für Tierarzt Christian Haas eine alltägliche Arbeit. Ihm ist bewusst, wie schwer es für die Besitzer ist und weiss, auf was er achten muss. Gute Vorinformation, eine würdevoll ruhige Atmosphäre sowie genug Zeit für den Abschied sind ihm für seine Kunden wichtig.


Ein Tier von seinen Schmerzen erlösen

Die letzten Nebelschwaden verziehen sich und machen der den winterlichen Sonnenstrahlen Platz. Hufgeklapper durchtrennt die Stille und verstummt, als sich das Schweizer Warmblut mit seiner Besitzerin zur Begrüssung des Tierarztes innehält. Die Stimmung ist bedrückt – aber trotzdem herrscht eine Ruhe.

Der Schmerz ist dem Pferd nicht auf Anhieb anzusehen. Doch haben alle Untersuchungen und Therapien nichts gebracht. «Sie hat täglich Schmerzen, und es werden immer mehr», sagt die Besitzerin, und der bevorstehende Schritt fällt ihr nicht leicht. Sie weiss sich aber in guten Händen und ist genau informiert, was auf sie zukommt.

Nach dem Setzen des Katheters ein letzter wacher Blick – ein liebes leises Wort der Besitzerin und alles geht ganz schnell. Christian Haas spritzt das Medikament. Die Stute knickt innert Kürze mit den Hinterbeinen ein und fällt auf die Wiese. Ein kurzer dumpfer Aufprall. Ein letzter Atemzug und sie ist von ihren qualvollen Schmerzen erlöst – erlöst für immer und ewig.

Gute Aufklärung ist wichtig


Euthanasie bedeutet auf griechisch «guter Tod». Das Einschläfern ist heute auch bei Grosstieren vermehrt verbreitet. «Mit der Euthanasie gewähren wir dem Pferd einen würdevollen Tod», sagt Christian Haas. Er ist Tierarzt in der Klinik Stockrüti in Berg TG. Die Begleitung bis zum letzten Atemzug gehört für ihn zum Arbeitsalltag. Er erlebt kaum eine Woche ohne Euthanasie. Im Jahr schläfern die vier Pferdespezialisten der Klinik Stockrüti zusammen über 100 Pferde ein – manchmal mehr und manchmal weniger.


Die Euthanasie werde jedoch immer wieder mit Mythen von unschönen Bildern, die mit einem qualvollen und unruhigen Tod einhergehen, belegt. Diese stammen aus Ansicht von Haas von seltenen unglücklichen Fällen. Er weiss, dass im Internet sowie unter ferner gesagt viele Horrorgeschichten kursieren. «Wenn ein Tierarzt die Vene nicht sauber erwischt, kann es schon unschön zu und her gehen», sagt Haas und betont, dass das nur ganz selten der Fall ist. Bereits in der Ausbildung nehmen die Tierärzte das Thema Euthanasie vertieft durch. Dabei wird grossen Wert auf die Begleitung der Besitzer gelegt.

«Es ist von zentraler Bedeutung, vorgängig die Pferdehalter genau über die Vorgehensweise aufzuklären», sagt Haas. Für ihn muss jeder Handgriff 100-prozentig sitzen und der ganze Ablauf in einer würdevollen ruhigen Atmosphäre von sich gehen. Daher ist es ihm wichtig, vorgängig den Ablauf zu besprechen und auch den Ort des Geschehens festzusetzen.

Beachtlich, wie schnell das Herz versagt

Es gebe zwei Arten, ein Pferd einzuschläfern. Der Tierarzt spritzt zuerst ein Narkosemittel. Dabei gleitet das Pferd zu Boden und das eigentliche Mittel zum Einschläfern, ein hochdosiertes Schlafmittel, erfolgt danach über einen Katheter. In den meisten Fällen setzt Christian Haas den Katheter und verabreicht das Barbiturat direkt. Aus einer Notlage bei einem verunfallten Pferd in Hanglage wendete er vor Jahren diese Methode das erste Mal an. «Es funktionierte absolut gut und erwies sich für mich als meist idealer Vorgang.»


Wenn ein Tier jedoch Unruhe zeigt, lege auch er dem Tier vorgängig eine Nadel mit etwas Sedierendem zum Beruhigen. Dies entscheidet er je nach Situation vor Ort. Er findet es beachtlich, wie schnell bei den meisten Pferden das Herz abstellt. Einige würden bereits wenige Sekunden nach dem Einspritzen des Medikaments zu Boden sinken. Doch beobachtet er immer wieder, wie Pferde mit starken Schmerzen das Leben schwerer loslassen können.

Tiere bis zum Schluss begleiten


Für Christian Haas ist das Setzen des Katheters der heikelste Moment. «Ist der permanente Venenzugang gesichert, verläuft der ganze Ablauf für mich entspannt», sagt der langjährige Pferdetierarzt. Er weiss genau, wie er die Tiere stellen muss, damit es für den Begleiter so human wie möglich abläuft. Viele Besitzer wollen ihr Tier bis zum Schluss begleiten. Dem Tierarzt ist bewusst, dass die meisten einen grossen Respekt vor diesem Schritt mitbringen. «Es sind ein paar Kilo, die auf den Boden gleiten, und das kann unter Umständen nicht geräuschlos ablaufen», sagt Haas.

Abtransport – der schlimmste Akt für den Besitzer

Den Ort des Geschehens sollte für den Abtransport optimal gewählt werden. Daher führt Christian Haas seine Arbeit mit Vorliebe auf einer Wiese mit guter Zufahrt aus. Erst nach dem Ableben nimmt die TMF Extraktionswerk AG in Bazenheid den Auftrag für den Abtransport entgegen. Damit sich die Besitzer in Ruhe verabschieden können, bietet Haas vorgängig an, den Anruf nach dem Sicherstellen des Todes zu übernehmen. Der ganze Vorgang kostet den Pferdebesitzer, mit der Euthanasie bis zum Abtransport, rund 500 Franken.


Für Haas ist erfahrungsgemäss der schlimmste Akt für die Pferdebesitzer, wenn der Lastwagen den toten Körper auflädt. Doch die Chauffeure müssen beim Abholen um eine Unterschrift bitten. Haas empfiehlt den Betroffenen, dies vorgängig an jemanden Aussenstehenden zu delegieren. Unter der Woche ist die TMF bestrebt, die toten Tiere innert 24 Stunden abzuholen. Der Betrieb führt zudem ein Notfallpikett für extreme Situationen, wie zum Beispiel bei Verkehrsunfällen oder Vorfällen an Springkonkurrenzen.

In Bazenheid werden im Jahr über 9800 Grosstiere aus 16 Kantonen in der Schweiz verarbeitet. Dabei handelt es sich zum Grossteil um Kühe. Aus den Schlachtabfällen verarbeitet der Betrieb Tiermehl und -fett. Die Zementindustrie verwendet das Tiermehl als Energieträger. Ebenso kommt das Tierfett zum Beispiel im Heizungsbereich effizient zum Einsatz. Ein Teil des gewonnenen Fetts gelangt als Grundstoff für die Biodieselherstellung in den Export.

Hufeisen müssen abgenommen werden


Die Besitzerin kniet auf der Wiese und nimmt von ihrer Stute Abschied. Es scheint ein Ort der Stille und Dankbarkeit für die guten gemeinsamen Stunden. Nach einer Weile steht sie auf, bedankt sich bei Haas und macht sich auf den Heimweg.

Der Tierarzt nimmt dem Tier die Hufeisen weg. Nur ohne nimmt die TMF die Tiere mit. Bis diese im Laufe des Tages das Tier abholt, deckt Haas das Pferd mit einer Plache zu und überlässt den regungslosen Körper ganz dem schönen winterlichen Morgenlicht.

Daniela Ebinger