Da liegt sie vor mir auf dem Bügelbrett: Die Tischdecke meiner Grossmutter, aus Leinen gefertigt, kunstvoll mit Hohlsäumen bestickt. Sie ist über 100 Jahre alt und trägt die Initialen «E. M.». M. für den Ledigname meiner Grossmutter. Sie nähte und bestickte ihre Aussteuer selber. Die ungewöhnlichen, asymmetrischen und farbigen Ornamente zeugen von ihrer Eigenständigkeit und sind gar nicht typisch für diese Zeit. Da steckt viel Arbeit und grosses Knowhow drin. Wer kann denn heute noch Hohlsäume nähen?
Während ich mit dem Bügeleisen über die Tischdecke gleite, streifen meine Gedanken zurück: Welche Freuden, Sorgen und Ängste stickte wohl meine Grossmutter 1915 hinein, so mitten im ersten Weltkrieg? Sie kannte ihren Mann noch nicht. Ob sie überhaupt einen finden würde im Krieg? Sie heiratete erst 1921 mit 28 Jahren. Die Aussteuer war damals der Stolz jeder Frau und gehörte zum Eigengut. Dutzende von Leintüchern, Anzügen, Chuchitüechli und Tischwäsche gehörten dazu, bestickt mit dem Monogramm. Oft wurden sie in einer grossen Truhe oder einem Schrank aufbewahrt bis zum Hochzeitstag. Je wohlhabender die Familie war, desto umfangreicher und qualitätsmässig besser war die Aussteuer.
Claudia Künzi-Schnider
Den ganzen Artikel lesen Sie in der Printausgabe der BauernZeitung vom 14. Dezember.