Sie versorgt Tiere, hilft auf dem Feld, schreibt, liest, musiziert – und will Bäuerin werden. Die Rede ist von Debora Rossi. Kommt Ihnen der Name bekannt vor? Genau: Die 19-Jährige hat für die BauernZeitung fast ein Jahr lang alle zwei Wochen ihren Alltag auf dem Bauernhof im Lernenden-Tagebuch festgehalten.
Auf den ersten Blick sieht man der Lernenden ihren Beruf nicht an. Mit ihrer schlanken Statur und dem ebenen Gesicht wirkt sie für den Hofalltag einen Tick zu zierlich. Doch dann schlüpft Rossi für einen Hofrundgang in ihre Gummistiefel. Fünf Minuten steht sie lachend im Stall, umringt von einem halben Dutzend Kühen. «Die Arbeit mit ihnen macht mir viel Spass.» Und schon merkt man: Die Auszubildende ist genau dort, wo sie sein sollte.
Am Anfang war die Kunst
Rossi wuchs in Rehetobel AR auf – ohne landwirtschaftlichen Hintergrund. Nach dem Ende der obligatorischen Schulzeit absolvierte sie ein zehntes Schuljahr im Bereich Kunst an der SBW in Herisau AR, anschliessend besuchte sie eine Fachmittelschule (FMS). Nach zwei Jahren merkte sie jedoch, dass die Schule ihr langfristig zu kopflastig wurde. «Irgendwie passte es nicht mehr so.» Der Wunsch, eine handwerkliche Lehre zu beginnen, verstärkte sich. Sie brach die FMS ab.
Doch warum ausgerechnet Landwirtin? «Als Schreiner hast du mit Holz, als Steinmetz mit Stein zu tun. Da ich vielseitig interessiert bin, ist mir das etwas zu spezifisch. Letztlich war es meine Mutter, die mir vorschlug, die Ausbildung zur Landwirtin genauer anzuschauen.» Rossi nahm den Rat an. Las sich in das Thema ein. Schnupperte. Obwohl sich die Suche anfangs wegen der nicht vorhandenen Kenntnisse betreffend Traktorfahren als nicht ganz einfach erwies, hatte sie zwei Monate nach dem Abbruch der FMS die Lehrstelle auf dem Heiterhof in Eichberg SG in der Tasche.
Vielseitiger Heiterhof
Vielseitigkeit war für Rossi ein wichtiges Kriterium. Dieses erfüllt der Heiterhof mit einem Milch-
betrieb, einem Schlaf-im-Stroh-Angebot, einer Mutterkuhhaltung, einem Hofladen, einer Mosterei sowie regelmässigen Verkaufsständen auf Märkten und Auftritten an Messen wie der Olma bestens. Diese Betriebszweige ergeben zusammen mit der Pflege von Ziegen, Enten und 120 Freilandhühnern ein breites Spektrum an Tätigkeiten. «Es gibt jeden Tag Neues zu lernen. Am Schluss kann
ich von ganz unterschiedlichen Bereichen sagen: Das kann ich auch noch!», lacht Rossi. Ihre Tage gestalten sich entsprechend abwechslungsreich. Mit Arbeiten wie Schnaps-Etiketten gestalten und Graffitis für den Heiterhof zeichnen wird sie sogar ihrer künstlerischen Vergangenheit gerecht.
«Ich kann mich ausleben»
Schule oder Arbeit? Rossi diplomatisch: «Beides – für mich geht das eine nicht ohne das andere!» Während des ersten Lehrjahres besuchte sie jeweils einen Tag die Woche die Berufsschule in Salez SG. Sie ist Teil einer 17-köpfigen Klasse, gehört durch die abgebrochene Ausbildung an der FMS zu den Älteren. Nebst einem anderen Schüler ist sie als einzige ohne landwirtschaftlichen Hintergrund aufgewachsen.
Im ersten Lehrjahr wurden vor allem Pflanzenbau, Wissen rund um Tiere und Mechanik durchgenommen. Daraus zieht Rossi das nötige Wissen, um die Arbeiten auf dem Hof besser zu bewältigen. «Für mich ist immer noch alles so neu. Mitschüler von mir haben vielleicht dieses oder jenes schon einmal von ihrem Vater gehört – ich nicht. Deshalb muss ich nach wie vor immer gut aufpassen.» Sie lacht: «So ging mir das Interesse aber auch nie verloren». Die Auszubildende ist überzeugt, dass sie schon vom ersten Lehrjahr extrem viel profitieren konnte. «Ich glaube, ich habe eine Ausbildung gefunden, welche mir Spass macht und in der ich mich ausleben kann. Es ist eine Schule fürs Leben!»
Vorfreude aufs Winzern
Am nächsten Montag gehts weiter mit dem zweiten Lehrjahr. Schon nur wegen des Betriebswechsels eine nicht unbedeutende Veränderung: Rossi zieht auf der Landkarte einige Zentimeter südlicher in einen Betrieb nach Pfäfers GR. Milchkühe, Kälberaufzucht, Rebbau. Auf Letzteres freut sich die Lernende besonders: «Winzern hat mich schon immer interessiert.» Sie hofft, dass sie sich in ihrem künftigen Zuhause ebenso schnell eingewöhnen kann wie auf dem Heiterhof. «Die Herzlichkeit hier werde ich sicher vermissen.»
Wie die Betriebszweige des neuen Arbeitsorts wird auch die Schule nach Rossis Einschätzung spezifischer. «Die Themen werden sicher tiefer und detaillierter behandelt.» Dazu kommen noch die Vorbereitungen auf die ersten Prüfungen. Sorgen macht sie sich deshalb nicht: «Lernen fiel mir schon immer leicht».
Erholung in Rehetobel
Was Rossi während der ganzen Woche an Arbeit leistet, merkt sie meistens erst jedes zweite Wochenende, wenn sie drei Tage zuhause in Rehetobel AR verbringt. Der Beginn der Lehre bedeutete auch automatisch den Auszug von Zuhause – ein Schritt, der anfangs nicht ganz einfach war. «Die Trennung von meinem sechs Jahre jüngeren Bruder fiel mir schon ein bisschen schwer.»
Früher ausgeübte Sportarten wie Boxen oder Biken musste Rossi zu Lasten der Lehre aufgeben. Halb so schlimm: «Durch die Arbeit binich körperlich jetzt genauso fit.» Daneben spielt sie Klavier, singt und liest viel. «Nach der ganzen körperlichen Arbeit am Tag brauche ich auch etwas für den Geist».
Heiter weiter
Rossi kann sich gut vorstellen, weiterhin auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mit Gummistiefeln im Stall zu stehen. Aber auch
verschiedene Studienrichtungen wie Veterinärmedizin oder Internationale Agrarwissenschaften schliesst die Auszubildende nicht aus. «So genau weiss ich es noch nicht.»
Aber schliesslich hat sie ja noch Zeit – erst einmal die Lehre beenden. Vielleicht steht danach ein Zwischenjahr an – Alpsommer, Reisen nach Südamerika oder Kanada, Zukunftspläne schmieden. Ihr grösster Wunsch ist so gewöhnlich wie vernünftig: gesund und glücklich bleiben.
Lara Aebi