Schon bald ist die Hälfte unserer Alpzeit vorbei. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Wir haben unseren Trott gefunden und unser Tagesablauf sieht immer ähnlich aus: Kühe einsammeln, melken, käsen, putzen, wirten, melken, misten. Man könnte meinen, das muss doch mit der Zeit langweilig werden? Immer das Gleiche?
Vor ein paar Tagen bin ich am Nachmittag mit dem Hund durch unsere Alpweiden gelaufen. Es war kein besonders schöner Tag und nicht viele Wanderer waren unterwegs. Plötzlich kamen drei Wanderer um die Ecke. Wir wechselten ein paar Worte und dann fragte mich einer von ihnen, ob ich diese Landschaft hier überhaupt noch geniessen könne? Ob es nicht irgendwann selbstverständlich wird und man gar nichts Neues mehr entdecke?
Ich musste kurz überlegen, denn so hatte ich das noch nie gesehen. Ich entdecke jeden Tag neue Dinge da draussen. Die Blumen, wie sie wachsen, blühen, verblühen, Platz für die nächsten machen. Die Murmeltiere und die Vögel, die Wolken und der Nebel, die Sonne, wenn sie kommt und geht, der Mond und der fantastische Sternenhimmel hier oben. Wenn ein Sonnenstrahl durch die Wolken dringt und in die vernebelte Landschaft leuchtet. Sogar der Schnee von letzter Woche – wunderbar sah das aus. Es gibt jeden Tag Situationen, in denen ich denke:
Ach, hätte ich nur die Kamera bei mir, dann könnte ich jetzt ein Foto machen.
Und darum konnte ich dem Wanderer ganz ehrlich antworten: «Ja, wir können das noch geniessen». Schliesslich wohnen und arbeiten wir da, wo andere nicht ohne Grund Urlaub machen.
Martina Genter