Das Grosse Moos im Schweizer Seeland büsst an Boden ein. Das ehemals versumpfte Gebiet verliert aufgrund eines Oxidationsprozesses (siehe Kasten) stetig an Niveau – ein bis zwei Zentimeter pro Jahr. Weil so die Distanz zur Boden-oberfläche abnimmt, verlieren Drainageleitungen ihre Entwäs
serungswirkung. Und da die Terrainveränderungen nicht gleichmässig auf der ganzen Fläche auftreten, entstehen zunehmend Vertiefungen und Bodensenken. Bei lang anhaltenden Schlechtwetterphasen füllen sich diese mit Regenwasser, was die Kulturen zu ersticken droht. In dieser Situation helfen sich die Bewirtschafter vielfach selbst – mit eigentlich gesetzwidrigen Aufschüttungen.
Mit LKW auf das Kulturland
Lastwagen auf Lastwagen fahren auf die Felder im Grossen Moos. Geladen haben sie Unterboden von nahegelegenen Baustellen. Anstatt dieses Material, wie vom Gesetzgeber verlangt, in einer Deponie zu entsorgen, führen die tonnenschweren Baustellenfahrzeuge ihre Fracht direkt auf Kulturland-Parzellen. Tiefe Bodensenken können so aufgeschüttet werden, eine Nivellierung des Terrains findet statt.
Auf diese Weise gelangt so genannt «toter Boden» – bisweilen mit Steinen angereichert – aufs Feld. Obwohl dies laut Peter Thomet, Präsident der Interessengemeinschaft Pro Agricultura Seeland, für die Bewirtschafter kein Problem darstelle, gelte es bei den kantonalen Behörden als Bodenverschlechterung. Dieser qualitativ als «schlecht» eingestufte
Boden – ein Grossteil davon ist C-Bodenmaterial unterschiedlicher Zusammensetzung und nicht etwa Humus – wird eingearbeitet und wie üblich bepflanzt. An besagten Stellen lässt sich gegenüber dem Rest der Parzellen kein Unterschied im Aussehen der Gemüsekulturen erkennen.
Zur grossen Überraschung
«Ich bin selber überrascht, dass diese Überschüttungen in Moosböden erfolgreich ausfallen», sagt Peter Thomet inmitten einer entsprechenden Lauchkultur. Mit hunderten Fotos kann Thomet diese Praxis der Terrainanhebung – aber auch viele andere Bodenverbesserungsmassnahmen – von der anfänglichen Aufschüttung bis zum aktuellen Resultat, dem gewachsenen Gemüse, aufzeigen.
Unmissverständlich streicht er dabei heraus, dass ein solches Vorgehen ohne Baubewilligung und Bodenkundliche Baubegleitung geltendem Recht widerspricht. Eine entsprechende Genehmigung wird nämlich schon ab einer aufzufüllenden Materialmenge von 100 Kubikmetern benötigt. Eine Bodenkundliche Baubegleitung ist ab einer Fläche von 1000 Quadratmetern vorgeschrieben.
Anzeige in Kauf genommen
Wie bedeutungsvoll die Situation im Grossen Moos ist, zeige sich schon alleine im Umstand, dass zahlreiche Landwirte die von Mutter Natur gestellten Aufgaben selber anpacken. «Nicht wenige unter ihnen lösen die Probleme mit Wasserlachen und schwierig befahrbaren Parzellenabschnitten in Eigenregie und lassen diese aufschütten», betont Peter Thomet, pensionierter Pflanzenbauprofessor der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL). Dabei gibt er zu bedenken, dass die betroffenen Bauern oftmals eine strafrechtliche Anzeige in Kauf nehmen würden. Ansonsten wäre eine Bodenverbesserung laut Thomet gar nicht machbar: viel zu teuer und bürokratisch zu aufwendig. «Bei vielen Landwirten geht es auch um das in der Verfassung garantierte Eigentumsrecht und die Eigenverantwortung. Die erlebte Entmündigung ist mit der Würde als Landwirt nicht vereinbar.»
Vor allem in Moorgebieten
Laut Peter Thomet ist ein baldiges Handeln in allen entwässerten, ackerbaulich genutzten Schweizer Moorgebieten dringend von Nöten. Neben den rund 7000 Hektaren im Grossen Moos seien hier beispielsweise auch 3000 Hektaren im St. Galler Rheintal und deren 2000 in der Plaine d'Orbe VD betroffen. Mit dem wahrnehmbaren Klimawandel, der mit zunehmenden Extremwetterereignissen einhergeht, spitze sich die Situation immer weiter zu.
Staatliche Begleitung
Und dass deshalb viele Terrainveränderungen notgedrungen bloss im kleinen lokalen Rahmen ohne gehörige Planung und darüber hinaus in bäuerlicher Eigenverantwortung angegangen werden, kann gemäss Peter Thomet nicht im Interesse der Schweiz sein. «Es braucht eine grossflächige Stabilisierung und eine kulturtechnische Anpassung dieser ertragreichen organischen Böden – mit staatlicher Begleitung und Unterstützung. Entsprechende Massnahmen sollen langfristig produktive Folgeböden schaffen. Denn ein Zurück zum Moor ist nicht möglich.» Nun kommt gerade auch dem Seeland mit Blick auf die nationale Ernährungssicherung eine herausragende Bedeutung zu. «Wo guter Boden effizient verbessert werden kann, soll das möglich gemacht werden.»
Mehr Wissen generieren
Demgemäss fordert der ehemalige HAFL-Dozent weniger bürokratische Hindernisse bei geplanten Terrainverbesserungen und, bevor die gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden können, grosszügige Ausnahmebe
willigungen. Da gesichertes Wissen noch weitestgehend fehle, müsse jetzt in Forschung und Entwicklung investiert werden. «Landwirte sollen ihre eigenen Böden selber fruchtbar halten können, unter professioneller staatlicher Anleitung.»
Schliesslich betont der Vize-Gemeindepräsident von Ins, dass die im revidierten Raumplanungsgesetz eingeleiteten Ansätze – Kompensationspflicht von Fruchtfolgeflächen und Wiederverwertungspflicht von Boden – jetzt erfolgreiche Bodenverbesserungen ermöglichen würden. Die Landwirtschaft müsse aber aufpassen, die Kompensationspflicht nicht zu starr auszulegen. Vielmehr gelte es, das landwirtschaftliche Produktionspotenzial der Ackerflächen insgesamt zu sichern und zu stärken: «Das könnte etwa auch durch die Gewährleistung des Wasserzugangs für die Bewässerung erfolgen. Es braucht mehr Flexibilität in der raumplanerischen Umsetzung», sagt Peter
Thomet.
Curdin à Porta