1993, da war die Welt noch in Ordnung. Adolf Ogi (SVP) war Bundespräsident, Bill Clinton wurde als 42. Präsident er Vereinigten Staaten vereidigt und der 1. August wurde offiziell zum arbeitsfreien Schweizer Nationalfeiertag. Daneben flimmerten über die Mattscheiben in den heimischen Stuben eine schwarz-weiss-gescheckte Kuh.
Sie tanzte mit einem Stepper um die Wette und brachte einen Sumoringer zu Fall. Ihr Auftrag: Den Milchabsatz in der Schweiz langfristig fördern. Ihr Name: Lovely. Ihr Stallmeister: Die Schweizer Milchproduzenten (SMP), die damals noch unter dem Namen Zentralverband schweizerischer Milchproduzenten (ZVSM) firmierten.
(K)ein bisschen Müde
24 Jahre später wird Donald Trump als 45. US-Präsident vereidigt, Doris Leuthard (CVP) wird zum zweiten Mal Bundespräsidentin und für die Ernährungssicherheitsinitiative vom Schweizer Bauernverband gibt es einen valablen Gegenvorschlag des Ständerates. Und Lovely? Die Werbekuh meistert im neusten Werbespot eine Downhill-Abfahrt auf dem Mountainbike und wirbt für Schweizer Milch. Offenbar hat das Rindvieh die letzten 24 Jahre ziemlich unbeschadet überstanden. Mehr noch: Lovely wird von der SMP-Marketingabteilung gehütet und geschützt. Angriffige Beiträge im «Blick», der «Schweiz am Sonntag» oder auch dem «Schweizer Bauer»
haben nur eines gezeigt: Lovely ist die heiligste Kuh der SMP.
Doch ganz so einfach ist es für die Werbekuh auch nicht mehr, Schweizer Konsumenten vom Vorteil Schweizer Milch zu überzeugen. Der Milchkonsum pro Kopf ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Doch damit nicht genug. Schweizer Milch verliert im geschützten Inlandmarkt Marktanteile. Jedes Jahr etwa ein Prozent. Es ist naheliegend, dass deshalb auch Lovely in die Kritik gerät.
Markus Zemp, Präsident der Branchenorganisation Milch, hat die SMP-Werbung mit Lovely deshalb mehr als einmal öffentlich angegriffen und als reformbedürftig eingestuft. Seiner Meinung nach müsse man in der Milchwerbung den Konsumenten Kühe auf der Weide zeigen. Es gehe darum, Gefühle zu vermitteln, emotionale Nähe zum Bauernhof, den Tieren und der Geschichte der Milchproduktion herzustellen. Eine wahlweise fahrradfahrende, tanzende, steppende oder fussballspielende Kuh vermöge die Konsumenten nicht genug von Schweizer Milch überzeugen. Die Absatzzahlen geben Zemp durchaus recht.
Lovely ist alternativlos
Allerdings gibt es noch eine andere Betrachtungsweise: nämlich die der Werber und Werbeexperten. Einer von ihnen ist Hans Lichtsteiner. Er sitzt im Marketing-Beirat der SMP und überwacht die strategische Entwicklung der SMP-Marketingmassnahmen. «Lovely ist für die Milchwerbung, was Globi für den Globus und Knorrli für Knorr ist», sagt er.
Auch die SMP betonen unter Berufung auf die internen Marketingauswertungen, dass Schweizer Milch und Milchprodukte ein sehr gutes Image hätten. «Unsere Werbung ist bei den Konsumenten seit
Jahren äusserst beliebt», sagt etwa SMP-Kommunikationschef Reto Burkhardt auf Anfrage.
Eine von 160 Massnahmen
Lovely ist dabei nur eine der rund 160 Marketingmassnahmen der SMP. So werden jährlich etwa 25 Millionen Franken für Werbekampagnen, Milchbars, Tage der Milch, «aufschlussreiche» Ernährungsinformationen für Konsumenten und Fachleute, die grösste Schweizer Rezeptdatenbank und weitere Massnahmen ausgegeben. Gut sieben Millionen Franken bezahlt davon der Bund im Rahmen der Absatzförderung. Die übrigen 18 Millionen werden über die Abzüge fürs Basismarketing (0.525 Rp/kg Verkehrsmilch) vom Milchgeld der Produzenten abgezogen.
Diese haben an den Delegiertenversammlungen dann auch jeweils das Recht, das Marketing in Zweifel zu ziehen. «Bevor eine Massnahme umgesetzt wird, muss die DV grünes Licht geben», sagt Reto Burkhardt. An der letzten DV wurden die Marketingmassnahmen erneut einstimmig gut geheissen.
Doch auch ohne das Veto der Produzenten verändert sich der Auftritt von Lovely. So erhielt Lovely Gesellschaft von braunen und rot-weiss-gefleckten Kühen, die viel mehr dem Schweizer Viehbestand entsprechen. Wie Hans Lichtsteiner sagt, habe man damit bereits auf interne Kritik
reagiert und die Kampagne leicht angepasst.
Mehrwerte verkaufen
Wie die SMP sagen, werden in Zukunft Schweizer Mehrwerte wie Tierwohl, Natürlichkeit und räumliche Nähe stärker kommuniziert werden. Die Vorteile der einheimischen Milchproduktion sollen damit aktiv ausgelobt werden. Anders gesagt: Schweizer Milch soll auch im Marketing noch stärker von ausländischer Milch differenziert werden. Damit die Mehrwerte «auch auf dem Hof zu einem Mehrerlös für die Produzenten führen».
Lovely wird dabei als Milchwerbeträgerin nicht in Pension geschickt. «Die Sympathiewerte sind sehr hoch», sagt etwa Hans Lichtsteiner. Sicher sei, dass der Auftritt von Lovely auch künftig den neuen Gegebenheiten und Trends angepasst werde. Lovely bleibt damit die wohl heiligste Kuh der SMP.
Hansjürg Jäger
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