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Es waren ruppige Tage für Familie Stettler-Hübscher und ihre Angestellten. Etwas erschöpft und ein wenig erleichtert sitzen Fritz Stettler und Judith Hübscher am Stubentisch.

Erschöpft sind sie, weil sie in den vergangenen Wochen seit dem Beginn der tödlichen Attacke auf ihre Herde am 10. April praktisch rund um die Uhr beschäftigt waren. Ein schwerer Fall von Botulismus hat ihnen innert gut dreier Wochen 64 ihrer 130 Kühe geraubt. Am Dienstag, dem Tag unseres Besuchs musste die bisher letzte Kuh eingeschläfert werden. Erleichtert sind sie, weil der Medienansturm nach den ersten Berichten von «Landbote» und BauernZeitung vor Wochenfrist abgeebbt ist.


Geordneter Medienansturm


Die Besuchswelle sei geordnet abgelaufen, berichtet Fritz Stettler. Namentlich die Vertreter der TV-Stationen seien zahlreich aber praktisch zeitgleich am Freitagmorgen erschienen. «Das hat zwar etwas Zeit gebraucht, aber nach einigen Stunden war der Spuk vorbei», sagt er. Mit der Berichterstattung waren Stettler-Hübschers im Grossen und Ganzen zufrieden. Dank den ersten Artikeln, die von Judith Hübscher gegengelesen und korrigiert werden konnten, sei in den Folgeberichten und Fernsehbeiträgen relativ sachlich und praktisch fehlerlos informiert worden.  


Trotz dem langsam zurückkehrenden Alltag bleibt auch am Dienstag wenig Zeit für Musse. Das Telefon läutet immer wieder. Am Draht sind unter anderem Bekannte, die nachfragen wollen, wie es geht. Aber auch ein Viehhändler meldet sich. In den letzten Tagen mussten nicht nur zahlreiche tote Kühe den Hof im Weiler Strass bei Frauenfeld in Richtung Tiermehlfabrik Bazenheid verlassen, es kamen auch viele neue auf den Betrieb.

Gut 50 neue Kühe

Insgesamt seien wieder gut 50 neue Kühe dazugestossen, sagt Fritz Stettler. Etliche Tiere habe man von Nachbarn, Freunden, Berufskollegen, Geschwistern und ehemaligen Lehrlingen erhalten oder dank ihren Spenden erwerben können. Die zugekauften Kühe stammen von Bauern und einem Handelsbetrieb aus der Umgebung sowie aus einer Auktion in Burgdorf BE.

«Die vielen Zeichen der Unterstützung und Solidarität haben uns sehr berührt und gestärkt. Wir sind enorm dankbar darüber», sagt Judith Hübscher. Doch sei es gar nicht so einfach, die Solidaritätsgeschenke zu akzeptieren, «man wäre lieber bei denen, die geben».


Kurzlebiger Impfstoff


Viel geholfen hat in den hektischen und belastenden Tagen auch Tierarzt Walter Fürer von der Praxis Fürer und Spühler in Frauenfeld. «Ich bin seit 35 Jahren Tierarzt, aber so etwas habe ich noch nie erlebt», sagt er. Zwar habe es immer wieder einmal einen Fall mit einer oder zwei Kühen gegeben, aber dieses Ausmass sei einzigartig. Er war sehr häufig auf dem Betrieb, musste unter anderem Tiere euthanisieren, mit den Kollegen von der Vetsuisse-Klinik in Zürich koordinieren und den Impfstoff aus Südafrika beschaffen.


Fritz Stettler stellt eine gekühlte Ampulle des Impfstoffs auf den Tisch. Dieser hat eine gute Wirkung gegen Botulismus, ist allerdings einmal geöffnet nur zwölf Stunden haltbar. Eine Ampulle à 50 ml reicht für die einmalige Impfung von 25 Kühen. Da nun fast täglich neue Tiere auf den Hof kommen, muss der Einsatz gut geplant werden, so dass die bestellte Menge für zwei Impfungen (sie muss nach vier bis sieben Wochen wiederholt werden) für alle Kühe ausreicht. Der Impfstoff kann  zudem auch geschlossen nur ein dreiviertel Jahr gelagert werden. Dies ist mit ein Grund, weshalb es in der Schweiz nur geringe Lagerbestände gibt.

Hochgiftig, aber unauffindbar

Botulismus ist gemäss dem Zürcher Veterinärprofessor Ueli Braun nämlich eine eher seltene Krankheit, obwohl sie in den letzten Jahren gemäss den Bundesveterinärbehörden tendenziell zugenommen hat. Dies führen die Experten auf die Tatsache zurück, dass wegen grösserer Mechanisierung und Ausbau der Silofütterung vermehrt tote Tiere ins Futter gelangen, wo sie unter anaeroben Silobedingungen das tödliche Botulinum-Toxin entwickeln können. Dieses ist hochgiftig, hinterlässt aber im befallenen Tierkörper keinerlei Spuren. Deshalb hat es auch einige Tage gedauert, bis die Spezialisten der Vetsuisse-Klinik alle anderen möglichen Todesursachen ausgeschlossen hatten und einwandfrei Botulismus diagnostizieren konnten.


Der zweite grosse Fall 2016


Laut Ueli Braun ist der Fall in Gachnang heuer bereits der zweite  von grösserem Ausmass. Auf einem Betrieb im Kanton Zürich seien im Winter 20 von 25 Kühen der Krankheit erlegen.


Der Veterinär-Professor empfiehlt zur Vorbeugung:

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«beim Mähen wachsam sein und keine Tiere (Rehkitze usw.) einmähen,
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bei der Futteraufbereitung wachsam sein,
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bei der Fütterung wachsam sein,
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nicht zu tief mähen, um Erdbeimischungen zu verhindern,
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Silage ausreichend säuern,
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Kühe nicht aus Weihern mit wenig Zu- und Abfluss tränken (Vogelkadaver am Boden).»


Ermunterung zur Impfung


Ein Impfobligatorium kann laut Braun angesichts der zahlreichen Impfgegner nicht empfohlen werden, hingegen könne man die Landwirte ermuntern, die Kühe einmal jährlich freiwillig zu impfen. Das hat Familie Stettler Hübscher nun aus gutem Grund getan.

Es bleibt zu hoffen, dass dieser tragische Zwischenfall nun wenigstens in diesem Sinn eine positive Nachwirkung hinterlässt, denn es wird sich kaum ein Betrieb leisten können, aufgrund des Botulismus-Risikos zur Futterernte mit dem  Motormäher zurückzukehren.     

Adrian Krebs

Mehr zum Thema in der BauernZeitung vom 6. Mai