Der letzte Winter war hart für die Bäuerin: Eine lange Krankheit des Kindes, die kein Durchschlafen zuliess. Über Weihnachten der Mann für drei Wochen im Spital und im Februar traf eine schwere Grippe die ganze Familie. Als das Fieber erlosch, war keine Kraft mehr da.
Ein Teufelskreis und Tabu
Solche Geschichten gibt es zuhauf. Die meisten möchten nicht darüber sprechen. Was würden die Anderen denken und sagen? «Es ist ein Teufelskreis», sagt dazu Cornel Rimle, Coach, Paar- und Generationenberater. «Sehr viele Bauern und Bäuerinnen definieren sich über ihre Leistung. Man will nicht zu den Faulen gehören.» Wer länger Ferien braucht, meint, sie sei keine gute Bäuerin mehr.
Doris Neidhart leitet die ländliche Familienhilfe im Kanton Schaffhausen. Diese bietet Hilfe im Alltag. Die Fachstelle wird meist nach einer Operation oder einer Geburt angerufen. Manchmal telefoniert auch ein Mann, seine Frau könne nicht mehr. Die Familienhilfe nimmt Druck ab, macht die Wäsche, putzt und kocht. Es können bis zu 120 Arbeitsstunden in Anspruch genommen werden, meistens verteilt über zwei bis drei Einsätze pro Woche. «So manche Frau ‹wurstelt› aber lieber weiter», sagt Neidhart. Hilfe holen sei vielfach noch tabu.
Loslassen lernen
Bei einer Überbelastung stellen sich zwei Fragen. Wer übernimmt meine Arbeit? Und: Wie gehe ich mit dem Schuldgefühl um, dass andere für mich arbeiten müssen, beispielsweise die Schwiegermutter?
Eine Frau erzählt, wie schwer es war, anderen bei der Erledigung «ihrer» Arbeiten zuzuschauen. Sie musste lernen, sich nicht zu grämen, sondern die Situation anzunehmen und die geliebten Arbeiten abzugeben. Erst als sie das konnte und offen darüber sprach, wurde die Situation für alle einfacher. Oft könnten Arbeiten, die so wichtig erscheinen, anders erledigt werden: eine Putzfrau anstellen, im Garten Rasen ansäen oder der Mann kocht für einmal selber. Frauen lernen durch ihre Krankheiten, für sich selbst zu kämpfen und bewusst Ruhezeiten einzubauen.
Positives braucht Zeit
«Für die betroffene Familie ist es oft einfacher, wenn ein Arzt oder Coach eine Auszeit empfiehlt», sagt Rimle. Oft entsteht eine Überbelastung aus Problemen im Umfeld. Beim Coaching kommt oft zum Vorschein, dass eine Beratung mit dem Partner oder beider Generationen auf dem Hof wichtig wäre. «Im System Bauernhof ist die Frau, die von aussen kommt, häufig das Ventil», erklärt Rimle. Die anderen sollten es als Chance betrachten, wenn sie etwas anspricht. Auch die Frau sollte die Wahrnehmung «Ich kann nicht mehr!» als Chance sehen, um etwas zu verändern. Das Gespräch mit anderen sei grundsätzlich etwas Gutes, meint Rimle. «Miteinander Klagen ist aber nicht hilfreich.» Zu viel Jammern mache handlungsunfähig «Alles was wir häufig denken, pflanzt sich in unser Gehirn – das Negative wie das Positive.» Der Wechsel zu positivem Denken brauche eine Veränderungsbereitschaft der betroffenen Person. Jeder sei für sich selbst verantwortlich.
Ausgleich schaffen
Um Überlastungen vorzubeugen, findet Doris Neidhart es wichtig, auch bei viel Arbeit einen Ausgleich zu schaffen. «Man ist immer dran, die Arbeit hört nie auf.» Kann nicht mehr abgeschaltet oder geschlafen werden, sei es Zeit, wieder Zeit für sich zu nehmen. Für Doris Neidhart ist Lesen das Ventil. Für andere ist es Turnen im Verein. So wird wieder Kraft getankt. «Das darf nicht vergessen gehen, auch wenn man das Gefühl hat, es gehe nicht.»
Merken Freunde oder Nachbarn, dass jemand in Schwierigkeiten ist, sollten sie auf professionelle Hilfe hinweisen, rät Rimle. Die Betroffene mag nicht sofort auf die Freundin hören, aber wenn es mehrere Personen sagen, reagiere sie vielleicht beim x-ten Mal. «Hilfreich kann ein Gutschein der Familienhilfe sein», empfiehlt Doris Neidhart. Diese übernimmt den Haushalt und die Kinder für einen Nachmittag, um der Bäuerin eine kürzere Auszeit zu gönnen.
Marianne Stamm
Die Autorin ist Mitglied der Redaktionskommission des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbandes