Aktuelle Volksinitiativen wie die Trinkwasser-Initiative oder die Pestizid-Initiative fordern unter anderem ein Verbot von Pestiziden. «Eine Annahme dieser würde schweizweit in sehr kurzer Zeit grosse Veränderungen in der Anbautechnik im Obst-, Reb-, Acker- sowie Gemüsebau verursachen», sagt SGP-Präsident und Syngenta-Versuchstechniker Joel Meyer. Man rechnet mit einer Abnahme der Produktionserträge und der -qualität. Auch wenn eine oder beide Initiativen abgelehnt werden, wird der politische Druck wohl anhalten und kontinuierliche Anpassungen der aktuellen pflanzenbaulichen Praxis von Nöten sein, ist sich Meyer sicher.
Im Finden von Lösungen ist die Forschung nicht ganz untätig, bewiesen die Referenten aus verschiedenen Forschungsbereichen des Pflanzenschutzes und der Pflanzenschutzmittel-Industrie. Den etwa 120 Teilnehmenden aus der selbigen Branche wurden aktuelle Versuche vorgestellt, welche sich mit alternativen Pflanzenschutzmöglichkeiten beschäftigen und somit dem Trend und der Forderung auf Verzicht von chemischen Pflanzenschutzmitteln nachkommen.
Biologische Landwirtschaft in 25 bis 30 Jahren realisierbar
In den letzten 30 Jahren erlangte der biologische Pflanzenschutz zunehmend an Bedeutung, vor allem auch in der konventionellen Landwirtschaft. «Lösungen wie die Verwirrungstechnik, insektenpathogene Viren- und Bakterienprodukte und Nützlinge sind heute feste Bestandteile im konventionellen Anbau», sagt Martin Günter von Andermatt Biocontrol. Vor allem der Wein-, Obst- oder Gewächshausgemüsebau in der Schweiz käme heute über weite Teile ohne den Einsatz von chemischen Insektiziden aus. Bis aber biologischer Pflanzenschutz den Chemischen ersetzen kann, müssen noch viele Lücken geschlossen werden, erzählt Günter. Dazu sei viel Forschung und Entwicklung nötig, welche von verschiedenen Seiten vorangetrieben werden müssten.
Wenn die Hürden der Pflanzenschutzmittelregistrierungen für biologische Pflanzenschutzmittel sinnvoll gesenkt werden würden, dann könne der biologische Pflanzenschutzmarkt laut Martin Günter den chemischen Pflanzenschutz in 25 bis 30 Jahren überholen.
Wegfall von 307 Pflanzenschutzmitteln bei Verbot
Auch Lucius Tamm vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau sieht ein Szenario mit 100 Prozent biologischer Landwirtschaft für machbar. Die Anzahl der Pflanzenschutzmittelwirkstoffe würde dann von heute 394 auf 87 (22 Prozent) reduziert werden. Von den 87 Wirkstoffen sind 65 lebende Organismen und 22 Substanzen wie Pflanzenextrakte, Schwefel, Kupfer und Pheromone. Herbizide dürften nicht mehr eingesetzt werden, was den grössten Anteil der chemischen Pflanzenschutzmittel ausmache. Die Anzahl der Fungizide ändere sich nicht erheblich, so Tamm.
Im Ackerbau (23.6% der LN) würden 98.5 Prozent der Pflanzenschutzmittel eingespart werden. In den Spezialkulturen Obst-, Wein- und Gemüsebau und Kartoffeln (3% der LN) würden 20 Prozent Pflanzenschutzmittel eingespart und chemische Pestizide ersetzt werden. Im Grünland (rund 70% der LN) dürften keine chemischen Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden. «Doch, vermutlich zur Überraschung der Initianten der genannten Volksinitiativen, reduziere sich die Gesamtmenge an Pflanzenschutzmitteln vorerst nur um 50 Prozent», so Tamm.
Der 100 Prozent Biolandbau würde einige Vorteile mit sich bringen: starker Rückgang der Kontamination von Fliessgewässern, Grundwasser und Nahrungsmitteln. Veränderte Anbaumethoden würden zu besseren Ökosystemleistungen wie Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit beitragen. Dennoch: geringere Flächenerträge wären wahrscheinlich, fügt Tamm an.
Forschung und Industrie suchen nach Lösungen
Fungizide geraten durch ihr erhöhtes Risikopotenzial auf Lebewesen und Umwelt zunehmend in Verruf, weshalb die Forschung nach alternativen Bekämpfungsstrategien sucht. Die Forschungsanstalt Agroscope entdeckte beispielsweise ein Bakterium (Pseudomonas orientalis F9), welches eine hemmende Wirkung auf bodenbürtige Schaderreger hat oder testete verschiedene Behandlungen, welche die Entwicklung des gefürchtete Ährenfusarium am Weizen hemmt.
Syngenta untersuchte in diesem Jahr, wie man den Anwendungszeitpunkt von Pflanzenschutzmitteln optimieren könnte, um die Septoria-Blattfleckenkrankheiten auf Weizen zu reduzieren. Trotz nicht optimalen Witterungsbedingungen in diesem Jahr, sind die Forschenden zum Ergebnis gekommen, dass Anwendungsprogramme, welche an den Epidemie- und Wetterverlauf angepasst sind, den optimalen Erfolg in Bezug auf die Krankheitskontrolle, den Ertrag und Aufwand liefern. Das Resultat zeige aber auch, dass frühere, aber nicht zu frühe Anwendungen wahrscheinlich notwendig sind, um die Pilzkrankheit eindämmen zu können.
Allgemein müsste aber noch viel Forschung und Arbeit in Lösungskonzepte (betrifft Entwicklung von resistenten Sorten, Kulturmassnahmen, Monitoring- und betriebsübergreifende/flächendeckende Konzepte) gesteckt werden, um Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz zu entwickeln. Auch sei das Engagement der Industrie notwendig, um diese auf den Markt zu bringen.
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