Bern, Bahnhofplatz. Lärm. Leute, Gedränge. Mittendrin eine blonde Frau mit silbrig glänzenden Boots, Lederhosen, olivgrünem Parka und sportlichem Rucksack, die sich sehnsüchtig umsieht. «Hier in Bern möchte ich gerne leben», seufzt Barbara Klossner. Irgendwo mittendrin, so wie hier». Und der Lärm? «Der macht mir nichts – im Gegenteil.»

Barbara Klossner entspricht nur bedingt dem Klischeebild einer Jodlerin. In der Stadt ist sie mindestens so daheim wie auf dem Land. Auf der Bühne zieht sie alle Register: Sie jodelt, tanzt, singt, spielt Schwyzerörgeli und Theater.

Vor Stilbrüchen hat «Miss Helvetia», wie sich die Berner Oberländerin nennt, keine Scheu: So kombiniert sie munter die behäbige Berner Tracht mit Spitzenschuhen aus dem Klassischen Ballett, mischt Volksmusik und Pop oder animiert ihr Publikum dazu, mit ganzem Körpereinsatz erste Jodelversuche zu wagen.

Ein Geschenk der Mutter

«Ich wollte gar nie Jodlerin werden», sagt die 39-Jährige. «Ich habe das nicht gesucht. Es ist zu mir gekommen.» Die Grundlagen seien ihr von ihrer Mutter mitgegeben worden, die vor vier Jahren verstorben ist: Die Stimme und vor allem die Freude am Theaterspielen, das sei die grosse Leidenschaft ihrer Mutter gewesen. «Doch sie hat für die Familie zurückgesteckt.»

Aufgewachsen ist Barbara Klossner als Tochter eines Bauunternehmers mit zwei Brüdern im Diemtigtal. Zur Familie gehörten auch die drei Söhne ihrer verstorbenen Tante, die hier ein neues Zuhause gefunden hatten.

Nach einer KV-Lehre in Thun zog es die junge Frau in die USA und nach Genf, wo sie eine Stelle als Marketingassistentin annahm. Nebenbei spielte sie am Lac Léman weiter Schwyzerörgeli, gründete einen Frauenjodelchor und dirigierte einen Jodelklub. Sie machte die Ausbildung als Jodelkursleiterin, besuchte die Schule für darstellende Kunst in Luzern und nahm klassischen Gesangsunterricht.

Mehr als ein Hobby

Bis dahin hatte Jodeln und Singen nur in ihrem Herzen und in der Freizeit viel Platz eingenommen. Doch nun sollte es mehr sein. «Da in Genf ein richtiger Jodelboom ausgebrochen war, kündigte ich meine Arbeitsstelle und setzte ganz auf meine Leidenschaft.»

Unter anderem begann sie, Jodeln zu unterrichten, und entwickelte dabei einen eigenen Stil: Körperbewegungen helfen ihren Schülerinnen und Schülern, ein Gespür für den Jodel zu bekommen. «Singen ohne Körper geht nicht. Der Körper ist das Instrument.» Bekannt wurde sie auch durch ihre Crash-Kurse, in denen sie Schweiz-Touristen aus aller Welt mit ihrer Methode die Jodel-Grundlagen beibrachte.

Inzwischen gibt Barbara Klossner rund 100 Konzerte im Jahr. Sie sang in Senegal die Schweizer Hymne, trat in Korea, Japan, Albanien und in Thailand auf. «Dort sangen wir für eine Prinzessin», erinnert sie sich. «So aufgeregt war ich selten. Wir übten vor dem Auftritt eine Stunde lang den Hofknicks und lernten, dass man einer thailändischen Prinzessin nicht in die Augen schauen darf.»

Sie mache moderne Volksmusik, sagt die Sängerin, zu deren Vorbildern die französische Chansonnière Edith Piaf und die Sopranistin Anna Netrebko gehören. Es sei eine neue Nische, die noch in keine Schublade passe. Von den traditionellen Jodlern wird sie anerkannt. «Ich bleibe beim Naturjodel und beim Kehlkopfschlag. Und ich trete in Tracht auf, nicht in einem Fantasiedirndl. Das macht viel aus.»

Jodel trifft ins Herz

Mit ihren Auftritten erreicht sie Menschen, die im Alltag wenig mit Volksmusik am Hut haben, wie die Manager am Swiss Economic Forum in Thun. «Der Naturjodel hat etwas Mystisches, Würdiges, eine intime Präsenz», versucht sie zu erklären. «Es ist eine Melodie ohne Text, bei der ich Gefühlen ausdrücken kann, wie Melancholie oder Freude.»

Jodeln berühre die Menschen, weil es eine Art Urklang ist. Eine Sprache, die jeder versteht, auch im Ausland. «Im Kongo gibt es zum Beispiel auch etwas wie Jodel. Der klingt halt mehr wie ‹Jeje› statt ‹Joho›.» Für sie selbst stehe beim Singen die eher tiefe Bruststimme für ihre innere Stimme und damit für Heimat. Überhaupt sei Jodeln gut für jedermanns Seele, «weil man dabei die Stimme rauslassen kann, es befreit.» Daher gibt sie dieses Jahr an den Silsee Chorwochen einen Kurs: «Jodeln mit Miss Helvetia»

Auf der Bühne singt Barbara Klossner heute vor allem eigene Lieder. «Songs selber schreiben? Ich? Früher dachte ich, das kann ich niemals. Doch dann war ich an einem Workshop mit anderen Musikern und seither sprudeln die Lieder nur so aus mir heraus.»

Als erste Schweizer Volksmusikerin ist Barbara Klossner beim bekannten Musiklabel Sony Entertainment unter Vertrag. Diese Tage erscheint ihr erstes Album: «E Guete». Sie esse gern und liebe es, mit anderen gemütlich an einem Tisch zu sitzen, erklärt sie zum Titel. Ihre verstorbene Mutter habe viel für die ganze Familie gekocht. Ihre Arbeit betrachtet sie auch als eine Hommage an sie. «Ich möchte in ihrem Geist weitermachen. Gerade wenn ich Lieder schreibe, fühle ich mich sehr mit ihr verbunden.»

Ihre in Berndeutsch gesungenen Lieder nehmen Themen aus dem Alltag auf. Einen Song widmete sie aber den «Schnuderwibli.» Das seien «Frauen, die Ja meinen, wenn sie Ja sagen. Und Nein meinen, wenn sie Nein sagen. Die wissen, was sie wollen. Die sich nicht verbiegen, weil das nichts bringt, und die bleiben, wie sie sind.» Nur über ein Thema schreibe sie nicht: über die Liebe. «Das machen schon alle anderen.»

Gefühl und Persönliches darf aber sein. Ein Lied, das Barbara Klossner oft am Ende ihrer Konzerte singe, ist «Heb der Sorg»:

«Wo i gross gsi bi, bi i use i d'Wäut
ha i dr Färni gsuecht
was mir het gfählt
Du hesch dir gwünscht blib doch da
Aber hesch mi la gah
Heb dr Sorg
Die Jahr verflüge, aues ändret sich
Abschied näh isch für niemer liecht
was du gseit hesch säg jetze i
u i bi da für di
Heb dr Sorg
Es chunnt mir vor
aus wäris geschter gsi
stahni uf dr Bühni, gspüre di
du blibsch mi Anker
mini erschti Stimm, mi Melodie
Heb dr Sorg»

Barbara Klossner singt von ihrer Verbundenheit mit ihrer Mutter. Das «Heb der Sorg» gelte auch für Menschen, die nicht mehr bei uns seien. «Denn sie haben in unseren Herzen Geschichte geschrieben.»

Weitere Informationen:
www.barbaraklossner.ch