37 Tage nach dem klaren Volks-Ja zur Ernährungssicherheit präsentierte der Agrarminister am 1. November ein Papier, das voll auf mehr Grenzöffnung und verstärkten Strukturwandel setzt.
Mit diesem Frontalangriff stärkt der Bundesrat – tragische Ironie – genau diejenigen Kräfte in der Landwirtschaft, die sich am vehementesten gegen jeglichen Wandel stemmen und exakt das prognostiziert hatten, was jetzt eingetroffen ist: Die Zuschaltung des Freihandels-Turbos nach der Abstimmung. Das kann nicht im Ernst die Absicht der Regierung sein. Zu befürchten ist eher, dass die jüngste Berner Kapriole Ausdruck der zunehmenden Sprunghaftigkeit ist, der sich die Landwirtschaft auch von Seiten der Politik her ausgesetzt sieht.
Zwar, und das muss man auch einmal erwähnen, sind die vereinbarten gut drei Milliarden Bundesstützung auch heuer auf den bäuerlichen Postcheck- und Bankkonten eingetroffen. Aber das permanente Sägen am Ast der Bundesstützung beschränkt sich heute nicht mehr auf die Budget-Debatte, nein es wird auch in Sachen Anforderungen immer wieder mit angezogener Handbremse Vollgas gegeben. Das in weiten Teilen widersprüchliche Strategiepaket ist dafür ein gutes Beispiel. Damit stellen die Chefdenker beim Bund auch die eigene Politik der Extensivierung und Produktionsdämpfung infrage; gleichzeitig einer der wenigen Pluspunkte in der Gesamtschau.
Neben der Politik hat auch die Natur 2017 wieder einmal das ganze Programm durchgespielt. Das markanteste Ereignis war der Einfall von Väterchen Frost, als er längst im Sommerschlaf hätte sein müssen. Die Auswirkungen waren brutal, namentlich für die Stein- und Kernobstproduzenten. Dank unermüdlichen nächtelangen Feuerübungen und der Erholungsfähigkeit des modernen Pflanzguts konnte noch grösserer Schaden verhindert werden. Der Sommer machte dann vieles wieder gut. Die Trockenheit kam nicht zu früh und ermöglichte damit gute Ernten bei Getreide, Kartoffeln und Rüben. Solche Grossernten schlagen dann allerdings immer sofort deftig auf die Preise. Nicht nur hier spüren die Produzenten eins zu eins und rascher als alle Administratoren, Verarbeiter und Vermarkter die (Welt-)Marktnähe.
Wenn die vergangenen zwölf Monate ein Fazit erlauben, dann dasjenige, dass nichts so sicher ist wie die Unsicherheit. Diese Erkenntnis ist eine, die man besser gleich mitnimmt ins kommende Jahr und die darauf folgenden. Die Zeiten der Vollkasko-Mentalität sind definitiv vorbei. Klimatisch, markttechnisch und politisch warm anziehen ist bis auf Weiteres angesagt. Doch was hängt dafür in den Kleiderschränken der Beteiligten?
Was das Klima angeht, ist von höheren Policen für Versicherungen auszugehen. Die Anbieter wie die Hagelversicherung sind gefordert, ihr Angebot auszubauen. Mit der Einführung der Frostschadenversicherung als Reaktion auf die diesjährigen Ereignisse hat man hier bereits reagiert. Das ist aktive Hilfe zur Selbsthilfe für die Landwirtschaft. Während politischer Flur-schaden nicht versicherbar ist, kann man so wenigstens die Sprunghaftigkeit der Erträge aufgrund klimatischer Launen etwas reduzieren.
Auf den Märkten muss man damit rechnen, dass die Preisbänder noch stärker abhängig werden von denjenigen der Konkurrenz zwischen Brasilien und China, zwischen Neuseeland und Kanada. Viele suchen ihr Heil in vertikal integrierten Wertschöpfungsketten. Die meisten davon sind leider nur teilweise oder pro forma in bäuerlicher Hand. Hier gibt es noch viel Spielraum für Solidarität und intensivierte Zusammenarbeit zwischen den Betrieben. Die Genossenschaft ist altersschwach und entfremdet, es lebe die Genossenschaft!
Der Bund schliesslich ist gefordert, die Landwirtschaftspolitik in Partnerschaft mit den Bauern und nicht gefühlt gegen sie weiterzuentwickeln. Es werden nämlich in Bern durchaus interessante Ideen gewälzt. So etwa der Ersatz von Handlungsanweisungen durch Ziele im Direktzahlungssystem, kombiniert mit der Einführung eines Punktesystems, ähnlich wie es die IP-Suisse betreibt. Wenn man diese guten Ansätze allerdings zum Auftakt unter einer Lawine von Freihandels- und Strukturwandelsforderungen begräbt, ist das kein sonderlich weitsichtiges Vorgehen. Ohne Weitsicht aber lässt sich ein Bundesamt ebenso wenig führen wie ein Landwirtschaftsbetrieb. Deshalb wünschen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für die Festtage und das kommende Jahr nicht nur viel Glück und gute Gesundheit, sondern auch stets den weiten Blick und eine gute Hand bei allen Ihren Entscheidungen!
Adrian Krebs