Es ist kaum ein Zufall, dass das Bundeshaus in Bern genau dort hoch über der Aare steht, wo sie künstlich gebremst und in die Breite getrieben wird. Die Schweizer Politik erinnert an einen langen, trägen Fluss, der das politische und behördliche Personal ein Stück mitnimmt und es dann wieder aussteigen lässt, um genau gleich träge, aber mit hoher Ausdauer weiterzufliessen.
Warum kommt einem dieses altbewährte Gleichnis grad dieser Tage wieder in den Sinn? Natürlich gilt das Flussdiagramm auch für die Agrarpolitik. Hier stehen grössere personelle Rochaden bevor. Vor Wochenfrist hat Agrarminister Johann Schneider-Ammann seinen Rücktritt per 2019 bekanntgegeben. Und mit ihm wird wohl auch Doris Leuthard als seine Vorgängerin im Eidg. Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) ihre Regierungskarriere beenden.
Ein guter Moment für einen kleinen Rückblick: Was bleibt vom zwölfjährigen agrarpolitischen Wirken der beiden in Erinnerung? Im Fall von Doris Leuthard ist es vor allem ein folgenloser Stiefelwurf von bäuerlichen Aktivisten anlässlich eines öffentlichen Auftritts der Landwirtschaftsministerin. Im Falle von Johann Schneider-Ammann prägen die letzten Monate mit den unterdessen etwas abgekühlten Auseinandersetzungen um Gesamtschau und Mercosur-Freihandel das Bild.
Natürlich haben sowohl die heutige Verkehrsministerin wie auch der aktuelle Amtsinhaber daneben je kleine Reformschritte umgesetzt und im landwirtschaftspolitischen Fingerhakeln mit allen möglichen Lobbyisten Hunderte von Sitzungen abgehalten. Am Grundkurs der Politik haben sie aber wenig ändern wollen, ändern können. Schon Leuthards Vorgänger Joseph Deiss war es so gegangen und Pascal Couchepin war zwar ein Patron alter Schule aber auch nicht wirklich ein Landwirtschafts-Visionär.
Der letzte Bundesrat, der diesen Titel verdiente, war wohl Jean-Pascal Delamuraz. Er hatte mit Instinkt die Zeichen der Zeit erkannt. Lange vor irgendjemandem sonst hat er eine multifunktionale Agrarpolitik auf die Schienen gebracht. Dabei kümmerte er sich nicht um Kleinkram, sondern nahm Ideen aus dem eigenen Mitarbeiterstab auf und liess diesen die erste AP der neuen Generation gestalten. Diese hat bis heute in groben Zügen Bestand und sich bewährt. Delamuraz liess dem Amt den nötigen Freiraum und gab mit viel Nähe zum Landvolk politischen Flankenschutz.
Das bringt uns zur Verwaltung. Auch hier steht mit der Pensionierung von Bernard Lehmann ein personeller Wechsel an der Spitze bevor. Und auch hier kann man davon ausgehen, dass der politische Fluss sein Bett nicht verlassen wird. BLW-Direktoren haben ein ähnliches Schicksal wie Bundesräte, auch wenn sie in Nuancen durchaus Einfluss ausüben können. So scheint im Moment unverkennbar, dass Bauernsohn Lehmann zum Abschied noch eine ziemlich produktionsfreundliche Politikvariante hinterlassen möchte. Aber das Fundament steht, die starke Stützung mit zunehmendem Umwelt-Element dürfte bestehen bleiben.
Den Kurs des agrarpolitischen Boots hat das Amt ungeachtet der Führung seit der Wende Anfang der 1990er Jahre recht gut gehalten. Und dies, obwohl die seitlichen Böen aus Wirtschafts- und Umweltkreisen aus derselben Bundesverwaltung stark zugenommen haben und sich noch weiter verstärken dürften.
Was sind die Lehren aus dieser etwas längerfristigen Betrachtung für die übrigen Player? Zum Beispiel für die bäuerliche Fraktion des Parlaments, die jedes Jahr von Neuem um die nötigen Mittel für die bewährte Politik kämpfen muss. Oder für die Bauernfamilien. Oder für die Verbandskämpen? Die Agrarpolitik ist stabil und die grösste Bedrohung kommt weder vom Agrarminister noch von der landwirtschaftlichen Verwaltung, sei es auf Bundesebene oder bei Kantonen. Vielmehr müsste man den Blick etwas weiten und aufs Ganze richten.
Wie gerade die aktuellen Kämpfe um Gesamtschau, Freihandel und Pestizidinitiativen zeigen, müssen die anderen Departemente ins Auge gefasst werden. Und viel mehr noch die gesamte Gesellschaft. Was uns die staatlichen Wirtschafsförderer vom Seco und die Umweltanwälte beim Bafu einbrocken, kommt nicht primär aus den Amtsstuben, sondern auf Druck des nicht landwirtschaftlichen Teils der Bevölkerung zustande. Und dieser umfasst unterdessen ungefähr 97 Prozent der bald 8 Millionen Menschen, welche die Schweiz bevölkern.
Das heisst nicht, dass man sich den zum Teil gegensätzlichen Forderungen einfach widerstandslos ergeben soll. Aber je schneller und besser man sie kennt, analysiert und letztlich auch als gesellschaftliche Realität akzeptiert hat, desto eher wird es auch in Zukunft gelingen, das landwirtschaftliche Boot auf dem wilder werdenden Politfluss in gutem Zustand über die Schnellen zu bringen.
Adrian Krebs
Diese Analyse ist aus der Printausgabe der BauernZeitung vom 4. Mai 2018. Lernen Sie die BauernZeitung jetzt 4 Wochen kostenlos kennen und gewinnen Sie einen Reisegutschein im Wert von 3000 Franken