Salate, Gemüse und Kräuter, die direkt im Laden wachsen? Das deutsche Unternehmen Infarm stellt Kästen mit künstlicher Beleuchtung rund um die Welt in Supermarkt-Filialen. Die amerikanische Firma Aerofarms produziert Jungsalate in einer 6400-Quadratmeter Halle: auf mehreren Etagen wird alle 12 bis 16 Tage geerntet. Ähnliches gedeiht im Untergrund von London: in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg wachsen monatlich zwei Tonnen Kräuter und Keimlinge. Die kanadische Firma Aurora produziert jährlich 1000 Tonnen Hanf in 17 durchautomatisierten Hallen auf rund fünf Hektaren.
Salate und Fische aus dem Bunker
Die Schweizer Firma Combagroup entwickelt in Yverdon VD Salatanlagen, die mit Produktionszyklen von fünf bis sechs Wochen 90 Prozent weniger Wasser brauchen. In einer Industriehalle in Altstetten ZH kultiviert das Unternehmen Umami Salate und Fische für Gastronomie und Handel. In Höhlen bei Stansstad NW erntet der Familienbetrieb Gotthard-Bio-Pilze jährlich um die 130 Tonnen. Im Hagerbachstollen bei Flums SG werden unterirdisch Versuche für die Produktion von Beeren, Salaten und Gemüse gemacht.
Höhere Effizienz unter dem Boden
Ob Urban, Underground oder Vertical Farming, die modernen Ansätze der Lebensmittelproduktion unterscheiden sich nicht nur vom Standort her, sondern messen sich auch gezielt bei der Effizienz mit der traditionellen Landwirtschaft. Laut eigenen Angaben verbrauchen die neuartigen Anlagen im Vergleich zur Freilandkultur viel weniger Wasser, kommen ohne Pflanzenschutzmittel aus und erzielen einen bis zu 15-mal höheren Ertrag auf der gleichen Fläche. Der Automatisierungsgrad in den neuen Produktionssystemen ist enorm. Vor allem aber besteht keine Abhängigkeit vom launischen Klima – das ganze Jahr kann angebaut und geerntet werden. Die Vorteile scheinen zu überzeugen, laut Agfunder-Report vergaben Investoren letztes Jahr 589 Millionen Franken in Jungunternehmen auf der ganzen Welt.
Unternehmen statt Familienbetriebe
Statt Familienbetriebe sollen neu offenbar Unternehmen für die Produktion von Lebensmitteln sorgen. Sie rücken im urbanen Raum näher an die Konsumenten heran, während der Graben zwischen der landwirtschaftlichen und der städtischen Bevölkerung weiter aufgeht (siehe aktuelle Initiativen im Bereich Gewässerschutz und Tierwohl).
Die neuen Systeme sehen ihre Daseinsberechtigung darin, einer wachsenden Weltbevölkerung ökologische Lebensmittel zu bieten. Von dieser absoluten Kundenorientierung könnte sich die Landwirtschaft eine Scheibe abschneiden.
Zusammenspiel traditionelle und urbane Landwirtschaft
Müssen Landwirte jetzt nach Basel, Bern oder Zürich ziehen und Lagerhallen mieten? Eher nicht. Die grossflächige Produktion von Lagergemüse wie Kartoffeln und Karotten oder gar Getreide kann man mit einer Fabrikhalle noch nicht ersetzen. Früchte vom Acker und Fleisch vom Tier stärken den Körper seit Jahrtausenden. Und Beiträge zur Biodiversität und Landschaftspflege sind auch sehr wertvoll. Doch bevor wir hier weitere Keile einschlagen, muss man sich doch fragen, wie die beiden Systeme voneinander lernen können. Welches Zusammenspiel gibt es zwischen der alten Tante, der traditionellen Landwirtschaft, und den frechen Neffen, den urbanen Systemen? Welche Kulturen passen wo? Welche Wertschöpfung macht am jeweiligen Standort mehr Sinn? Welcher Landwirt will schon Sonne, Wind und Regen gegen einen dunklen Stollen eintauschen?
Nachfrage nach gesunden Lebensmitteln bleibt bestehen
Oder ist der Beruf tatsächlich bald nicht mehr die beste Wahl für diejenigen, die eine Arbeit mit enger Verbindung zur Natur suchen? Universitäten präsentieren bereits Konzepte, wie auf dem Mond angebaut werden kann und forschen an der zellulären Landwirtschaft, die Lebensmittel im Labor produziert. Auch wenn die Überhose mit dem Laborkittel und die Gummistiefel mit der Schutzhaube ausgetauscht werden, wird die Notwendigkeit und Nachfrage nach gesunden und hochwertigen Produkten bleiben. Die Landwirtschaft mit gesundem Boden hat heute die besten Voraussetzungen, diese Lebensmittel zu produzieren und selbstbewusst am Markt mitzumischen.