Vor zwei Wochen wurde bekannt, das Migros ihr Preismodell im Milcheinkauf anpasst. Wer den Anforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit gerecht wird, kann wie bisher mit einem «überdurchschnittlichen Milchpreis» rechnen. Wer die Anforderungen nicht erfüllt – man glaubt es kaum – der kriegt etwa zwei Rappen weniger für seine Milch.
Das neue Preismodell war eine Enttäuschung für die Direktlieferanten. Statt eines Bonus für besonders gute Praxis gibt es einen Malus für Landwirte, die nicht besser werden. Mit der Umstellung des Preismodells müssen sich die Produzenten bewegen. Dabei spielen die inneren Werte der Milch keine entscheidende Rolle: tiefe Zell- und Keimzahlen sowie gute Milchgehalte werden nämlich einfach vorausgesetzt. Zwar betont Migros, dass sie das Programm auf seine Umsetzbarkeit hin überprüft haben; und soweit das beurteilt werden kann, haben die Macher wie versprochen ein angemessenes Ambitionsniveau festgelegt.
Konstruktiv gesehen heisst das, dass die Migros dafür sorgt, dass ihre Milchlieferanten mit den Anforderungen der Abnehmer und der Kunden schrittweise mitkommen können. Unter der Voraussetzung, dass der Migros tatsächlich das Wohl der Milchproduzenten am Herzen liegt, ist das etwas Gutes. Nur kann die Entwicklung auch anders gedeutet werden: Angenommen, Migros will nur den eigenen Gewinn maximieren, dann sucht der Konzern nach Möglichkeiten, die Milchpreise zu drücken. Und zwar so weit, wie das für die Lieferanten gerade noch verkraftbar ist. So gesehen ist
das neue Preismodell nichts anderes als die Ausnützung von Marktmacht auf Kosten der Bauern.
Dass die Migros gerade jetzt das neue Preismodell präsentiert, ist kein Zufall. Nachdem der Detailhändler vor etwas mehr als einem Jahr entnervt aus der Branchenorganisation Milch austrat, hat er das mit der Ankündigung verbunden, vorwärts zu machen. Während die Migros die Nachhaltigkeitskriterien definierte, diskutierte man innerhalb der BO Milch noch um die Frage, was genau man unter einem Nachhaltigkeitsstandard verstehen soll. Im September dieses Jahres hat sich die BO Milch dann auch auf einen gemeinsamen Standard verständigt. Er soll im Sommer 2019 eingeführt werden. Und sieht einen Preisbonus von zwei Rappen je Kilo Molkereimilch vor.
Das Migros-Preismodell hat man dabei mit Spannung erwartet. Man hoffte auf ein Referenzmodell, das genutzt werden konnte. Und wurde nun enttäuscht; manche sprechen gar vom «Super-GAU» für die Milchproduzenten. Denn statt für Mehrleistungen mit mehr Geld belohnt zu werden, steht genau das im Raum, was Hanspeter Kern und seine Milchproduzenten in der BO Milch verhindern wollen: weniger Geld für das Nichterfüllen höherer Anforderungen.
Sofern die neue Regelung Schule macht, gibt es nichts zu lachen. Wer nämlich nicht mithalten kann, wird langsam aber sicher aus dem Markt gedrängt. Auch der Bund will in die gleiche Richtung: So soll die Siloverzichtszulage um drei Rappen erhöht, die Verkäsungszulage um zwei Rappen gesenkt werden. Für silofreie Milch soll es neu 6 Rappen Beiträge geben; für verkäste Milch noch 13 statt 15 Rappen. Die Umlagerung ist laut Bundesrat budgetneutral. Unter
dem Motto «Stärken stärken» sollen «die Ausrichtung auf die Qualitätsstrategie verstärkt und Fehlanreize korrigiert werden», heisst es im Bericht zur Ausrichtung der Agrarpolitik 2022+. Für die Produzenten von wertschöpfungsstärkerem Sortenkäse soll es höhere
Beiträge geben; wer Milch für Mozzarella oder Industrieprodukte liefert, muss mit weniger Unterstützung auskommen.
Der Bundesrat will ausserdem, dass Synergien zwischen Produktionssystembeiträgen und Märkten gestärkt werden. Die Landwirte und die Branchen sollen sich vermehrt auf naturnahe, umwelt- und tierfreundliche Produkte ausrichten. Es soll sogar möglich sein, dass der Bundesrat eine Leistung am Markt als Voraussetzung festlegen kann, damit überhaupt Produktionssystembeiträge ausbezahlt werden. «Das Ziel dieser Marktaus
richtung als Voraussetzung ist, dass Leistungen und Anstrengungen der Landwirtschaft nicht nur vom Staat gestützt werden, sondern auch auf dem Markt finanziell honoriert werden.»
Vor diesem Hintergrund ist es mindestens überraschend, dass Migros als viertgrösster und am besten positionierter Industriemilchverarbeiter nicht den Versuch unternimmt, für Mehrleistungen tatsächlich mehr zu bezahlen. Lieber erhöht man die Anforderungen, profitiert vom besseren Image bei den Konsumenten und lässt den Staat die Bauern für die Mehrleistung entschädigen. Wenigstens ist es den Landwirten freigestellt, ob sie das Spiel mitspielen wollen, oder nicht. Mehr Markt heisst nämlich auch, dass jeder seinen Melkstuhl dann an den Nagel hängen kann, wenn es ihm
zu bunt wird. Ein schwacher Trost, aber immerhin …
Hansjürg Jäger