Alvaro, von dem ich in einem früheren Blog berichtete, mag es nicht, nutzlos daheim zu sitzen. Bereits bevor er uns die gesamte Milch abkaufte, reiste er regelmässig nach Matagalpa, um Waren zu verkaufen und einzukaufen. Die Reise in die Stadt gestaltet sich für Alvaro äusserst beschwerlich, obwohl er kein Busbillet kaufen muss, und auch seine Ware gratis mitfahren kann.
Um den 1km langen, steinigen Weg zur Bushaltestelle zurückzulegen, ist einiger Aufwand und Hilfe Dritter notwendig. Sein Vater und einer seiner Neffen bringen die Milchprodukte und den zusammengelegten Rollstuhl mit dem Pferd zur Bushaltestelle. Der Vater bleibt dann bei der Ware, der Junge bringt das Pferd zurück. Dort hievt sich Alvaro eigenhändig auf das Pferd. Wie er das fertig bringt, habe ich noch nicht beobachten können. Dann reitet er ebenfalls zur Bushaltestelle. Sein Vater und ein Busgehilfe heben ihn dann in den Bus.
In Matagalpa hat er sich bereits einen Kundenstamm aufgebaut. Diese Kunden geben eine festgelegte Menge Milchprodukte in Auftrag. Alvaros Mutter verarbeitet die Milch je nach diesen Kundenaufträgen. Sie stellt zum Beispiel den typischen Frischkäse Nicaraguas, die „cuajada“ her. Dabei wird die rohe Milch eingedickt, die Schotte von Hand ausgepresst, Salz beigefügt, gemahlen und von Hand einpfündige (420g) unförmige Kugeln geformt. Diese lassen sich auch gut in der Nachbarschaft verkaufen. Einen Teil der eingedickten Milch kann Alvaro auch in unverarbeitetem Zustand, d.h. vor dem Mahlen und dem Formen der Kugeln, verkaufen. Zudem bietet er rohe und gekochte Milch, sowie Sauermilch an. Letztere wird einfach in rohem Zustand stehen gelassen bis sie dick und sauer wird. Sie wird gerne zum Bohnen-Reis-Gericht gegessen.
Die Verdienstmöglichkeiten mit der Milchverarbeitung sind sehr klein. Ein Liter Milch ist etwa gleich viel wert, wie der daraus verarbeitete Frischkäse. Nur die Schotte bringt zusätzliche Einnahmen. Mit dieser mästen die Eltern nämlich zwei Schweine, um sie dann selbst zu schlachten, das Fleisch direkt zu vermarkten oder sie verarbeiten das Fleisch zu einem speziellen Gericht, um es dann zu verkaufen. So erreichen sie eine noch höhere Wertschöpfung.
Um die Reise nach Matagalpa vollständig zu nutzen, nimmt er noch weitere in der Region produzierte Ware, wie Bohnen und Mais, mit. Im Gegenzug kauft er in der Stadt Produkte, die er wiederum zu Hause anbietet. In seiner Stube hat er ein regelrechtes „Lädeli“ eingerichtet. Einen Stundenlohn zu berechnen, kommt ihm sicher nicht in den Sinn, aber zumindest bestreitet er damit seinen Lebensunterhalt. Die Alternative wäre betteln, denn IV (wie auch AHV) gibt es in Nicaragua nicht.
Mirka Lötscher