Vor dem ersten Schluck das Glas leicht schwenken, auf diese Weise vergrössert der Wein seine Oberfläche und entfaltet besser sein Aroma», erklärt der sehr sympathische Winzer Werner Morandell. 20 Besucher haben sich zur Weinprobe in seinem Weinkeller mit anschliessender Führung durch sein Rebenmuseum im Kalterer Ortsteil Kardatsch eingefunden. Der Lieselehof ist in den letzten Jahren zum Eldorado für Weinliebhaber, Experten und Forscher von überall her geworden, alleine im vergangenen Jahr waren es über 3000 Besucher.
Experimentierfreudig und offen für Neues
Neben den klassischen Südtiroler Weinen wie Weissburgunder, Cabernet, Gewürztraminer und dem für diese Gegend typischen Vernatsch hält er einige Überraschungen parat. Die Hälfte der Lieselehof-Weine werden aus den Rebsorten Bronner, Solaris, Johanniter, Souvignier gris und Chambourcin gepresst. Alles sogenannte pilzwiderstandsfähige Rebsorten (kurz: Piwi-Sorten). Werner Morandell war der Erste, der vor 20 Jahren in Südtirol dazu den Mut hatte, Piwi-Sorten in grösserem Masse zu pflanzen. Experimentierfreudig und offen für Neues arbeitet er seit Jahren unter anderem mit dem Staatlichen Weinbauinstitut in Freiburg und anderen namhaften europäischen Instituten und Professoren zusammen und stellt Versuchsflächen für Neuzüchtungen zur Verfügung. Ein bisschen beschwipst – schliesslich probierten wir acht verschiedene Weine – stolpern wir aus dem Weinkeller. Vorbei an zwei Saisonarbeitern, die auf der Wiese gerade frisch gepflückte Trauben in luftdurchlässigen Kisten auslegen. Aus 3000 Kilogramm frischen Trauben werden später nur an die 500 Liter Wein. Hier entsteht also eine wahre Kostbarkeit. Kein Wunder, dass zwischen Januar und Februar, wenn der Saft im Weinkeller gärt, Morandell des Öfteren sein Nachtlager neben dem Gär- kessel auf- schlägt. Denn dann geht es ihm um jeden Tropfen. «In diesem Stadium sind Weine wie Kinder, man kann sie nicht alleine lassen», sagt der passionierte Weinmacher. Die Weinwelt dankt es ihm, seine Trockenbeerenauslesen werden regelmässig prämiert. Erst 2012 wieder wählte die «Accademia della Muffa Nobile» in Bologna seine «Sweet Claire Quintessenz» von 2012 zum besten Süsswein Italiens und mit dem Sweet Claire 2013 erreichte er bei der Prämierung «Best of Piwi» in Freiburg/Breisgau den zweiten Platz auf europäischer Ebene.
Auf Reisen brachte er immer Rebpflänzchen nach Hause
Werner Morandell ist ein Winzer mit Herz und Seele, das Weinmachen steckt ihm sozusagen im Blut: «Sehr oft, besonders im Frühling, wenn die Natur wieder erwacht, sage ich mir: Gott sei Dank wurde ich in einer Weingegend geboren.» Er bezeichnet «die Rebe als grösstes Geschenk in seinem Leben». Bereits in sehr jungen Jahren begann er Rebensorten zu sammeln. Später war Morandell dann auch viel auf Reisen, und anstatt Reiseandenken brachte er immer Rebpflänzchen mit nach Hause. Auf dem einladenden Westhang neben dem Wohnhaus, mit erlesener Aussicht auf das Tal mit dem Kalterer See, der Altenburg und einer grandiosen Berglandschaft, hat er sein Museum angelegt. Über 340 Rebsorten aus allen Herren Ländern verteilen sich dort auf vier Rebzeilen. Ein Spaziergang durch seinen Sortengarten ist wie eine Reise durch die Welt. Hier die USA, wenige Schritte dahinter Portugal, plötzlich Usbekistan, Kurdistan, es folgt Georgien, dann Südafrika und viele mehr. Jeder seiner Rebe könnte ihre Geschichte erzählen. Eine nordamerikanische etwa, die er in den Windeln seiner Kinder eingepackt hatte, um ihr ein ideales Mikroklima zu gewährleisten. Die Sorten André, Alibernet, Devin und Dunay aus der Slowakei, die er aus einer Rebschule, die eher «einer düsteren kommunistischen Fabrik glich», trotz oder gerade aufgrund absoluter Verständigungsschwierigkeiten aus der Hohen Tatra nach Kaltern brachte. Auch auf dem Hof der ungarischen Rebschülerin Palinka verstand Morandell kein einziges Wort, dennoch bekam er nach einer wahnwitzigen Rundfahrt – dabei sass er auf einem mit Paketbändern festgebundenen Gartenstuhl anstatt eines Beifahrer- sitzes – mehrere originelle ungarische Sorten für sein Museum. Es ist sicher sein sehr gemütliches und aufgeschlossenes Naturell, mit dem Morandell es versteht, Menschen für sich und seine Ideen zu gewinnen.
Verfechter von Piwi-Sorten
Und Ideen hat er viele. Er ist ein Verfechter des biologischen Weinanbaus und von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten. Diese sogenannten Piwi-Sorten sind gegen die Rebenkrankheiten Peronospora (Falscher Mehltau) und Oidium (Echter Mehltau) resistent oder wenigstens teilresistent. Beide Pilzkrankheiten wurden vor über 150 Jahren aus Nordamerika eingeschleppt und haben dem europäischen Weinbau sehr viel Schaden bereitet. Selbst im zertifizierten biologischen Weinanbau ist es erlaubt, zum Beispiel bei Falschem Mehltau, mit Kupfer zu behan deln. Für Morandell kann das nicht der biologische Weinbau der Zukunft sein: «Drei Kilo Reinkupfer pro Hektare im Jahr ist kein Dienst an der Natur.» Er vertritt die Ansicht: Anstatt traditionelle Rebsorten mit natürlichen Pflanzen- schutzmitteln pilzfrei zu halten, sollten mehr Piwi-Sorten eingesetzt werden. Pilzresistente Rebsorten wie etwa die in Italien bereits zugelassenen Regent, Cabernet Cortis, Prior, Bronner, Johanniter und Solaris würden den richtigen Weg in die Zukunft weisen. Der Grossteil der Piwi-Sorten, die auf Morandells Versuchsflächen wachsen, sind bereits in anderen Ländern zugelassen, aber noch nicht in Italien. Als einer der Pioniere der Arbeitsgemeinschaft Piwi-Südtirol arbeitet er emsig an der Zulassung und Verbreitung weiterer Piwi-Sorten: «Unsere Weingesetze sind alt und zu einer Zeit gemacht worden, in der es noch wenig ökologisches Gedankengut gab und der ungleiche Kampf mit dem globalen Markt noch nicht vorhanden war.» Überhaupt werde im Weinbau viel zu viel mit Chemikalien und Spritzmitteln gearbeitet, auch wenn es ohne ginge. Eher angebracht wäre es, sich mehr mit der Thematik zu befassen oder früher aufzustehen, um aufs Wetter zu schauen. «Es ist wichtiger, den richtigen Standort und den damit zusammenhängenden Reifezeitpunkt der verschiedenen Rebsorten auszuwählen. Letztlich sollte doch die Krankheitsanfälligkeit einer Sorte entscheiden, ob und wie viel Pflanzenschutz über die Jahre hinweg nötig ist», erklärt Morandell.
Schöner Urlaub in einzigartiger Kulisse
Weinanbau im Nebenerwerb wie bei den Morandells ist üblich in Südtirol. Zurzeit gibt es 5240 Winzer, die auf ganzen 5300 ha Weinbau betreiben. Über Wasser hält sich die vierköpfige Familie Morandell (mit zwei Söhnen) zusätzlich mit fünf Ferienwohnungen. Zugegeben, es ist schon eine sehr schöne Gegend, in der der Lieselehof steht. Mit 300 Sonnentagen gehört Südtirol zu den verwöhnten Klimazonen Europas. Die Winzerhöfe zwischen den Weinbergterrassen wirken mit ihren mächtigen Mauern und verzierten Erkern wie kleine Burgen. Vor jedem Haus wuchern üppige Bauern- und Obstgärten, jeder Zentimeter fruchtbarer Boden wird hier sinnvoll genutzt. Um den Lieselehof wachsen Zypressen, Oliven, Feigen, Mispeln, Quitten, Kirschen und Kumquat. Auf dem Weg zur Ferienwohnung spaziert der Urlauber unter einer Pergola, die mit honigsüssen Fragolino-Trauben schwer behangen ist. Die Gegend hier war einst für seine Traubenfastenkuren berühmt, erzählt die sportliche Hausherrin Claire* Morandell. Ihr Mann würde gerne mehr Weintouristen auf seinem Hof begrüssen. Wünschen wir es Werner Morandell, denn sein Engagement für den alternativen Weinbau sucht seinesgleichen.
Petra Jacob