Unweit ihres Wohnhauses steht Dagmar Feierabend auf einer Weide. Rote Hosen, schwarzes T-Shirt, Stiefel, Brille, Lachfalten - und eine lockige Frisur, die schon entfernt an ihre Lieblingstiere erinnert, von denen sie umringt ist: Alpakas.  Die 53-jährige wendet sich einem der jüngeren Tiere zu, fängt es mit einem sicheren Griff und hebt es hoch.  «Es sind die Augen der Alpakas», lächelt sie. «Blickst du einmal rein, kannst du dich nie mehr davon lösen!»  Interesse an der Landwirtschaft verspürte Feierabend schon früh. «Als Kind habe ich mit meinen Eltern zwei oder drei Urlaube auf dem Bauernhof verbracht. Wenn immer sie mich nicht gefunden haben, war ich im Kuhstall!», lacht sie. 

Die Überschweizerin

Aufgewachsen in Darmstadt (D), arbeitete die Bäuerin nach dem Mathematik-Studium als Software-Entwicklerin bei einer Bank in Frankfurt am Main. Daneben träumte sie von einem Selbstversorgungsprojekt, welches aber scheiterte. «Mein damaliger Mann zog nicht richtig mit, ausserdem hatte ich zwei kleine Kinder. Der Wunsch ist aber geblieben.» Und er verstärkte sich. Nach dem Ende ihrer ersten Ehe kam Feierabend die Idee, den Traum in die Partnerwahl einzubinden: Zuoberst auf der Wunschliste standen nun Bergbauern. Auf den Gedanken, sich auch in der Schweiz umzusehen, brachte sie ein Freund. «In Deutschland gelte ich als überkorrekt, hierzulande ist das hingegen normal. Daher meinte er, ich wäre dort gut aufgehoben», lacht sie. Nach kurzer Suche fand die 53-Jährige wieder Arbeit in einer Bank und ein WG Zimmer in Zürich. An das Land gewöhnte sie sich schnell – ihr WG-Kumpel nannte sie nach kurzer Zeit «überschweizerisch». Unterschiede in gewissen Gepflogenheiten bemerkte sich dennoch. «Anfangs kam ich häufig zu spät, da Schweizer, wenn sie beispielsweise von 20 Uhr reden, auch dann an vereinbarten Orten eintreffen – Deutsche machen sich um diese Zeit erst auf den Weg! In Hessen gehört es zum guten Ton, fünf Minuten später anzukommen.» Um den Schweizer Dialekt verstehen zu lernen,  hörte Feierabend von Tag eins an Radio. Dabei vernahm sie, dass der Sender «Buureradio» ein Format namens «Bauer sucht Frau» plante. «Ab diesem Zeitpunkt versuchte ich, die Sendung so oft wie möglich zu hören. Sogar heimlich auf der Arbeit!», schmunzelt sie.

Kuppler-Radio

Eines Tages war ein vielversprechender Bericht dabei. Es gab nur ein Problem: «Die Sprache war mega Mundart!» Feierabend nahm all ihren Mut zusammen und fragte beim Sender nach, ob der Bericht auch auf Hochdeutsch erhältlich wäre. «Auf meine Frage hin kontaktierte mich die Moderatorin. Auf Hochdeutsch sei der Bericht nicht erhältlich, aber dafür schriftlich.» So hatte die Bäuerin mehr Zeit, sich damit zu befassen. «Als ich ihn vollständig gelesen hatte, dachte ich: oh, schön!» Währenddessen, einige Kilometer südöstlicher: Bei Köbi Rüdisüli aus Amden SG verstärkte sich der Wunsch nach einer eigenen Familie. Ein Freund erzählte ihm von der geplanten «Bauer sucht Frau»-Rubrik. Nach der Anmeldung musste der Bauer nicht lange warten: Kurz nach der Ausstrahlung erhielt er E-Mails von drei Frauen. Als er darunter den Namen «Feierabend» las, hielt er ihn für gefälscht. «Um sicherzugehen, dass Frau Feierabend auch wirklich existierte, rief ich sie an, statt ihr per E-Mail zu antworten», so der Amdener.

Geburt einmal anders

Und wie sie existierte. Bald nach dem ersten Telefonat folgte ein Treffen auf dem Rapperswiler Seedamm. Feierabend kam auch hier zu spät, hatte dafür für alle Eventualitäten Stallklamotten eingepackt. Das erste Mal in Amden war sie jedoch erst im Mai. «Die Leute haben mich angestarrt, als wäre ich ein bunter Hund», so die Hessin lachend. Alles Weitere entwickelte sich schnell. Ein Jahr später wurde sie schwanger. Kurz vor der Geburt folgte die Hochzeit. Töchterchen Nora kam im Mai 2008 auf die Welt – zu spät, aber auf aussergewöhnliche Art. Das mittlerweile 9-jährige Mädchen besteht darauf, die Geschichte ihres Lebensbeginns selbst zu erzählen. «Es war mitten in der Nacht, als die Wehen einsetzten. Papi rief im Glarner Spital an, damit sie die Absperrung offenhielten. Es reichte gerade bis ins dorthin – Mami gebar mich auf dem Weg im Auto!»

Ein neuer Betriebszweig

Feierabend träumte davon, den Hof um einen tierischen Betriebszweig zu erweitern. «Schuld an den Alpakas ist ein verregneter Sonntag», meint Feierabend lächelnd. Und ein Zeitungsinserat eines Alpakafestes. Die Familie sah, las – und fuhr spontan hin. Was anfänglich noch mit Scherzen wie «Komm, wir nehmen eines mit!» begann, wurde rasch zu einer Faszination, die das Paar nicht mehr losliess. «Die Idee kam einfach immer wieder hoch.» Nach Infoanlässen und Hofbesichtigungen investierte die Familie schliesslich in einen Anfangs- bestand. Heute ist der Hof Heimat von 25 Alpakas. Wichtig bei der Haltung sind ein respektvoller Umgang sowie die richtige Distanz.  Konsequenz bei Nichteinhaltung:  treten oder spucken. «Zunächst gibt es ein Warnspucken. Beim zweiten Mal lassen sie aber alles raus – das ist Nora einmal passiert, echt unschön!» Doch wie bringen Alpakas eigentlich Geld ein? «Wir verkaufen Zuchttiere, verdienen aber fast noch mehr durch den Verkauf von Wolle», so die Hessin. Diese wird an einen Mann im Dorf verkauft, der sie zu Bio-Bettwaren weiter verarbeitet.

Volles Programm

Nebst der Hofversorgung arbeitet die Bäuerin teilzeit in der Agridea als Softwareentwicklerin. Parallel dazu besuchte sie die Bäuerinnenschule. «Es waren schöne Kurse und ich habe tolle Frauen kennengelernt. Allein deswegen hat es sich schon gelohnt.» Einziges Problem: «Ich probiere das Gelernte im eigenen Haushalt aus und werde so angefressen, dass ich am liebsten alles andere stehen lassen würde!» Nach den Sommerferien meldet sie sich für die Prüfungen an. Ihre Heimat besucht sie noch zwei bis dreimal pro Jahr. «Zu selten! Manchmal vermisse ich die angeblich so verstockten Hessen, den unkomplizierten Ausgang und die schönen Konzerte.» Doch all das ist vergessen, wenn sie in ein paar schöne Alpaka-Augen sieht.

Lara Aebi

Mehr Infos zu Dagmar Feierabend und ihren Alpakas.