57 Eurocent erhält Karl Neuhofer für einen Liter Milch, die er auf seinem Bauernhof in Strasswalchen bei Salzburg produziert. Das sind über 20 Eurocent mehr als es zurzeit für "normale" Milch gibt. Neuhofer spricht bei letzterer aber lieber von Standard-Milch. Seine Kühe geben Heumilch in Bioqualität.
Das heisst, sie fressen keine vergorenen Futtermittel wie Silage, sondern nur Heu oder Gras sowie etwas Getreideschrot als Ergänzungsfutter. Die Heumilch lässt sich auf dem Markt zu einem deutlich besseren Preis vermarkten: Zusätzlich zum Standardpreis erhält Neuhofer 5 Cent für die Heumilch plus 12,5 Cent für Bio plus 3 Cent vom Abnehmer Rewe Group Österreich für besonders tierfreundliche Haltung.
"Heumilch ist das Juwel der Milchwirtschaft", sagt Neuhofer. Jetzt hat der Marketingfachmann gesprochen. Er ist in Österreich "Mister" Heumilch. Vor zehn Jahren hatte er zusammen mit anderen Milchbauern eine geniale aber eigentlich ganz simple Idee: "Wir ersetzten die unverständliche und eher negativ besetzte Bezeichnung silagefreie Milch durch Heumilch".
Der Gedanke an den Duft von frischem Heu wirke sich positiv auf das Verhalten der Konsumenten aus. Heumilch sei die ursprünglichste Form der Milchproduktion. Ein nächstes Ziel wird bald erreicht: Die Heumilch wird nächstens – als erstes Erzeugnis in Österreich überhaupt – die EU-Anerkennung als "geschützte traditionelle Spezialität g.t.S" erhalten. Ein Wettbewerbsvorteil mehr.
Potenzial noch nicht ausgeschöpft
Österreichische Heumilchbauern und -verarbeiter schlossen sich 2004 zur Arge Heumilch zusammen. "Damit wollten wir den Bauern vor allem eine höhere Wertschöpfung ermöglichen", sagt Obmann Neuhofer. Dieses Ziel hat er erreicht: Heute produzieren in Österreich 8'000 Bauern nach von zertifizierten Stellen kontrollierten Regeln der Arge Heumilch mit dem eigenen Label. Über 40'000 Tonnen Heumilch – 15 Prozent der gesamten Milch in Österreich – werden zu über 500 Heumilchprodukten verarbeitet. Und der damit erzielte Umsatz steigt in Österreich und im Export weiter, im Gegensatz zu Molkereiprodukten aus Standardmilch.
Mittlerweile gibt es eine Arge Heumilch in Deutschland, die nach der gleichen Philosophie arbeitet. Karl Neuhofer ist überzeugt, dass das Potenzial noch längstens nicht ausgeschöpft ist. "Selbst wenn wir die Heumilch-Produktion um 50 Prozent erhöhen, würden wir in Europa erst 4 Prozent der gesamten Milchmenge abdecken."
Bergbauern machen Heumilch
Karl Neuhofer führt uns zu einem typischen Heumilch-Bauernhof ins Zillertal. Johann Hauser bewirtschaftet dort in Stummerberg mit seiner Frau, dem Sohn und dessen Gattin einen Bergbauernhof. Die 100'000 Kilogramm Heumilch der 17 Kühe werden an die Heumilchsennerei in Fügen geliefert. Der Bauernhof ist typisch für das Tirol: Mit 8,5 Hektaren und zusätzlich 22 Hektaren Alm auf dem Berg gegenüber ist er relativ klein, das Gelände stotzig. Die Heumilchproduktion ist eine logische Folge. "90 Prozent der Heumilch kommt von solchen Bergbauern", sagt Obmann Neuhofer.
Neuhofer hält dem Journalisten einen Büschel frisches Bergheu unter die Nase. Er beginnt zu referieren: "Fütterungsversuche haben gezeigt, dass eine Heumilch-Kuh 1,5 Kilogramm mehr Trockenfutter aufnimmt." Der Anteil an wertvollen Omega-3 und -6 Fettsäuren in der Milch sei nachgewiesen höher als bei der Fütterung mit Maissilage. Bei vielen Heumilchbauern stehen Heubelüfter im Einsatz. Dank der Belüftung könnten die Konservierungsverluste minimiert werden. "Das belüftete Heu enthält 40 Prozent pansenstabiles Rohprotein", erklärt Neuhofer.
Schweizer Heuchmilch wäre kein Problem
Der Titel "Wer hat's erfunden?", geht im Fall von Heumilch also eindeutig nach Österreich. Obwohl die Schweiz eigentlich prädestiniert dafür gewesen wäre. Neuhofer schätzt, dass in der Schweiz bereits heute 100'000 Tonnen Milch die Kriterien für Heumilch erfüllen würden. Erstaunlich deshalb, dass sich in der Schweiz die Milchbauern erst in den letzten Monaten ernsthafte Gedanken dazu machten. Neuhofer bestätigt, dass Gespräche mit der Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP) stattgefunden haben. Trotzdem sei er überrascht gewesen, dass es bereits in den Schweizer Medien thematisiert worden sei. Denn es gäbe noch einiges zu regeln.
Schweizer Heumilchkäse für den Export
Tatsächlich arbeiten die ZMP, die Thurgauer Milchproduzenten (TMP) sowie die Aaremilch AG an einer gemeinsamen Organisationsstruktur für die Heumilch-Produktion nach den Grundlagen der ARGE Heumilch Österreich. "Bis Ende Jahr wollen wir wissen, wie es aussieht", sagt ZMP-Sprecherin Carol Aschwanden. Damit soll in einer ersten Phase der Export von Emmentaler AOP oder Sbrinz AOP angekurbelt werden. "Wir wissen, dass in Deutschland die Nachfrage nach Heumilchprodukten gross ist". Deshalb wollen die drei Verbände nun auf den bereits fahrenden Zug aufspringen.
Das macht Sinn, denn eigentlich ist ja alles schon da: Der Markt, die Organisationsstruktur und natürlich die Milch. Und da die deutschen Milchproduzenten nicht von heute auf Morgen auf silagefreie Produktion umsteigen könnten, sei das Potenzial gross, so Aschwanden. Denkbar sei es, in einem zweiten Schritt Heumilch-Produkte in der Schweiz zu lancieren. Dort würde sie dann in Konkurrenz zur "Wiesenmilch" von IP-Suisse treten. Dann wird herauskommen, was der Konsument besser versteht: duftendes Heu oder saftiges Gras.
David Eppenberger, lid