Wer noch nie da war, hat von Afrika vermutlich das durch die „Spendenindustrie“ gepflegte Bild des hungernden Kontinents im Kopf. Ja, unter chronischem Hunger und Mangelernährung leiden immer noch viele Menschen in Afrika (und anderswo), so auch in Sambia. Diese Geissel der Menschheit hat vielfältige Ursachen. Wie wir im reichen Norden am Hunger im Weltsüden beteiligt sind, hat der unermüdliche Kämpfer für die Ausgebeuteten, Jean Ziegler, zu Genüge aufgezeigt und eindringlich angeklagt.
Hunger ist jedoch „nur“ die eine (wenn auch drastische) Seite der Ernährung auf dem afrikanischen Kontinent. Die andere Seite, um die es hier gehen soll, ist die Vielfalt und Kreativität der „Cuisine africaine“. Das Leben in seiner Fülle erhalten: dafür sind täglich Millionen afrikanischer KleinbäuerInnen, überwiegend Frauen, besorgt. Sie sammeln Brennholz, tragen Wasserbehälter auf dem Kopf, beinen tote Tiere aus, ernten Blattgemüse, sammeln Wurzeln und Pilze, fangen Insekten und bereiten Mais, Maniok, Süsskartoffeln, Sorghum, Hirse sowie Erdnüsse zu.
„Slow Food“ ist hier kein Label, sondern etwas Alltägliches, in der Natur der Sache Liegendes. Willkommen zum sambischen Kontrastprogramm zu Fertig-Rösti, Bratwurst und Fondue. (Emmi Fondue kann man im Supermarkt in Lusaka übrigens tatsächlich kaufen!)
„Nshima“, das ist für „den Sambier“ das, was für „den Italiener“ Spaghetti sind – die Mutter aller Grundnahrungsmittel. (Anmerkung: „den Sambier“ und „den Italiener“ gibt es eigentlich nicht, sie sind ideologische Konstrukte, oft mit fragwürdigen Absichten.) Der verfestigte Brei – meist aus Maismehl, je nach Region auch aus Maniok-, Sorghum- oder Hirsemehl zubereitet – muss dampfend heiss sein und wird mit der Hand gegessen. Der Autor verbrennt sich dabei regelmässig die Finger.
Mit der rechten Hand formt man ein Stück „Nshima“ zu einer Golfball-grossen Kugel, das ist die Normgrösse für Männer. (Über mich wurde schon gewitzelt, weil ich – angeblich wie eine Frau – kleine Bällchen forme, weil diese schneller auskühlen.) Dann drückt man mit dem Daumen eine Delle in die Maiskugel und füllt diese mit „Ndiwo“ (Beilage). Mit leichtem Daumendruck wird das „Ndiwo“ in der Delle gehalten und so die Portion zum Mund geführt.
Bemerkenswert ist, dass Sambias Hauptnahrungsmittel Mais, das die nationale Identität in kulinarischer Hinsicht stark prägt, in Afrika eine koloniale Geschichte hat. Im Zuge des Sklavenhandels, des merkantilen Imperialismus und später des Kolonialismus wurde die Maispflanze (wie auch Maniok, Erdnüsse, Süsskartoffeln, Kürbisse, Bohnen) aus Zentralamerika eingeführt. Missionare und Kolonisatoren brachten „Zea Mays“ von den afrikanischen Küsten ins Landesinnere, wo lokale KleinbäuerInnen den Mais vielerorts als komplementäre Frucht in ihre vielfältige Hortikultur integrierten. Den Schritt vom „Gemüse“ zum ackerbaulichen „Cash Crop“ in Monokultur erfolgte im südlichen Afrika erst im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts, im Zuge einer massiven sozio-ökonomischen Transformation. Die industrielle Ausbeutung von Rohstoffen durch die Weissen erforderte eine Heerschar von Minenarbeitern: ehemalige KleinbäuerInnen, HirtInnen, Jäger und Sammlerinnen, die fortan in sich herausbildenden Industriestädten lebten, kaum mehr Subsistenzlandwirtschaft betrieben und somit über „den Markt“ mit Nahrung versorgt werden mussten. Diese „Entwicklung“ fand insbesondere auch im rohstoffreichen Norden Sambias, dem „Copperbelt“ (Kupfergürtel), statt. Gefragt war ein billiges Lebensmittel mit hohem Energiewert: der Mais. (Die Maispflanze ist bezüglich Kalorienertrag pro Flächeneinheit und Arbeitsaufwand unschlagbar.)
Die traditionelle Verarbeitung der harten Maiskornsorten zu Mehl ist sehr aufwendig. Meist sind es die Frauen, die diese Arbeit ausführen. Wobei „ausführen“ in diesem Zusammenhang eigentlich ein falscher Begriff ist, denn er reduziert Arbeit auf einen industriellen, mechanischen Prozess. In Sambia hat Arbeit einen stark ausgeprägten sozialen Charakter, und so wird meist in Gruppen gearbeitet. Die Frau wird bei der Maisverarbeitung von den Töchtern, der Grossmutter, der Tante, Nachbarinnen und Freundinnen unterstützt. Es wird geschwatzt, gelacht und gesungen.
Die Arbeit beginnt damit, dass die Maiskörner von den getrockneten Kolben gelöst werden. Dann werden die leicht befeuchteten Körner im Mörtel mit einem hölzernen Stössel von den Hülsen getrennt und anschliessend für drei Tage in Wasser eingeweicht. Dabei findet eine Fermentation statt. (Die anfallende, saure Flüssigkeit wird später für die Zubereitung von Erdnussbrei verwendet.)
Der nächste Schritt besteht darin, den Mais zu waschen. Danach wird er auf speziellen Matten verteilt und an der Sonne getrocknet. Die Herausforderung hier: allfällige „Diebe“ wie Ziegen, Hühner, Schweine, Kühe, Vögel und Insekten auf Distanz zu halten. Für das Mahlen hat frau in der Regel zwei Optionen: Entweder sie zerstampft die durch die Fermentation im Wasser weicher gewordenen Maiskörner mit dem Stössel im Mörtel. Oder sie bringt den Mais zu Fuss oder per Fahrrad zu einer Hammermühle mit Dieselantrieb, wo sie für das Mahlen bezahlen muss.
Schliesslich wird das Maismehl nochmals auf Matten an der Sonne getrocknet. Nicht nur die Hammermühle, auch neu gezüchtete, hybride Maissorten mit weicheren Körnern sowie der Einsatz von „Dehullern“ (zum Enthüllen) haben zu „Abkürzungen“ bei der Herstellung von Maismehl geführt.
Zurück zur Esskultur. Die Beilagen zu „Nshima“ bestehen aus Gemüse oder Fleisch. In ärmeren Haushalten wird in der Regel eine Beilage aufgetischt, wobei Fleisch längst nicht alle Tage auf den Teller kommt. Tendenziell gilt: je urbaner und wohlhabender die Familie, desto üppiger nicht nur das Angebot von Gemüsebeilagen, sondern insbesondere von Fleisch.
Am Besten sowohl Rind, Huhn und Fisch – ein karnivorer Heisshunger prägt die sambischen Esskultur. Daran konnte auch der Gründervater der Nation und langjährige Präsident Kenneth Kaunda mit seinem Bekenntnis zum Vegetarismus nichts ändern. Fleisch gibt es nur „well done“, also gut durchgebraten. So werden die hygienischen Unzulänglichkeiten bei der Lagerung und Zubereitung wettgemacht. Eine weitere tierische Proteinquelle ist „Kapenta“: kleine, sonnengetrocknete und in Öl gebratene Sardinen. Aber auch gebratene Vögel und Ratten werden in ländlichen Gegenden nicht verachtet.
Was den einen oder die andere Kotelett-LiebhaberIn leicht irritieren dürfte, sind die Insekten auf dem sambischen Speisezettel. Die Weltlandwirtschaftsorganisation FAO nennt das Verzehren von Insekten „Entomophagie“ und gibt an, dass weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen Insekten essen. Über 1'900 bekannte Insektenarten sind essbar, wobei viele von ihnen in tropischen Ländern heimisch sind.
Ernährungsphysiologisch spricht einiges für das Essen von Insekten: sie haben einen hohen Nährwert (der Proteinanteil ist zum Teil höher als der von Rindfleisch und Fisch), eine niedrige CO2-Bilanz, einen geringen Bedarf an Land und eine hohe Effizienz bei der Umwandlung von Nahrung in Körpermasse. Je nach Region haben SambierInnen eine Vorliebe für Mopane-Raupen („Finkubala“, „Ifishimu“), Grashüpfer („Nthete“ und „Dzombe“), Grillen („Nyanselele“) oder Termiten („Inswa“ und „Fulufute“).
„Inswa“, die geflügelten Geschlechtstiere der Termiten, schwärmen zu Beginn der Regenzeit massenhaft aus kleinen Löchern im Boden aus, um sich zu paaren. Auf ihrem nächtlichen Hochzeitsflug werden die Termiten von Licht angezogen. Das macht man sich zunutze und stellt draussen mit Wasser gefüllte Becken unter eine Glühbirne. Die Termiten fallen ins Wasser und können mit nassen Flügeln nicht mehr wegfliegen.
Den toten Insekten werden am nächsten Morgen die Flügel entfernt, sie werden gewaschen und in einer Bratpfanne in ihrem eigenen Körperfett goldbraun geröstet. Etwas Salz beigeben, und fertig ist der proteinreiche Snack, der in Sambia wie Erdnüsse gegessen wird.
Auch im Gemüsebereich hat die sambische Küche für den Erbsli-und-Rüebli-Esser Ungewohntes im Angebot. Überwiegend sind es Blattgemüse, die hier auf den Teller kommen, darunter diverse Wildpflanzen und „Unkräuter“. So wird hier etwa aus den Blättern und jungen Blütenständen des wild wachsenden Amaranths („Bondwe“), den Schweizer Bauern im Ackerbau bekämpfen, eine Spinat-ähnliche Gemüsebeilage zubereitet. Übrigens ist „Bondwe“ nicht nur schmackhaft, sondern auch gehaltvoll: er übertrifft bezüglich Eiweiss sogar die Sojabohne. Ausserdem enthält „Bondwe“ viel Vitamin A und C und ist kalzium- sowie eisenreich.
Weitere geschätzte Grüngemüsearten sind Rapsblätter („Rape“), Kürbisblätter („Chibwabwa“), Süsskartoffelblätter („Kalembula“), Maniokblätter („Katapa“), afrikanischer Kohl („Wild cabbage“, „Lubanga“), behaarter Zweizahn („Blackjack“; „Kanunka“), Senfblätter („Mupilu“) und Augenbohnenblätter („Cow pea“; „Munkwani“). Zubereitet werden viele der Blattgemüsearten mit Zwiebeln, Tomaten und Öl oder mit gemahlenen Erdnüssen. Gekocht wird auf einem mit Holzkohle betriebenen „Brazier“ (Holzkohlekocher) oder über dem Feuer.
Das Raffinierte an der sambischen Küche ist nicht nur, dass einige Gemüsepflanzen in unterschiedlichen Wachstumsstadien genutzt werden. Spannend ist auch, dass beispielsweise vom Kürbis, von der Augenbohne und vom Gemüse-Eibisch („Okra“) sowohl die Blätter, als auch die Früchte und die Samen der kulinarischen Verwertung zugeführt werden.
„Okra“ ist eine der ältesten Gemüsepflanzen überhaupt. Sie wurde schon vor 3'000 Jahren an den Ufern des Nils kultiviert und nahm bei ihrer globalen Verbreitung den dem Mais entgegengesetzten Weg: Mit dem Sklavenhandel gelangte das auf Englisch „Ladyfinger“ genannte Gemüse nach Amerika. Von anderen Gemüsearten werden auch in Sambia nur die Früchte gegessen, zum Beispiel von der kleinen, weiss-gelblichen äthiopischen Aubergine („Impwa“).
Diverse Früchte, Beeren, Nüsse, Pilze, Wurzeln und Wurzelknollen runden das kulinarische Spektrum Sambias ab. Zu den Gerichten aus Wurzelknollen gehört zum Beispiel die vom Bemba-Stamm elaborierte „Chikanda“, auch „African polony“ und „Zambian sausage“ genannt. Entgegen der Suggestion der englischen Bezeichnung besteht „Chikanda“ nicht aus Fleisch, sondern ist rein pflanzlich. Die Grundzutaten bestehen aus den braunen oder manchmal weissen Wurzelknollen einer Wildorchidee und aus Erdnüssen.
Die Wurzelknollen werden in Stücke geschnitten, sonnengetrocknet und dann fein zerstossen. Die Erdnüsse werden ebenfalls zerstampft und mit Wasser, Salz, Chili und Soda gekocht. Das Wurzelknollenmehl wird hinzugefügt und die Masse dann gebacken. Et voilà, fertig ist die „Chikanda“, die in Stücke geschnitten als Snack oder als Beilage zu „Nshima“ gegessen wird und ein bisschen wie geräucherter Sesamtofu schmeckt, nur erdiger.
So. Ich wollte euch mit dieser die Kochkunst betreffende „Tour de Sambie“ weder zum Heugümperbräteln, noch zum Blackenkochen überreden, sondern der geneigten Leserin, dem geneigten Leser einen kulinarischen Blick über den helvetischen Tellerrand hinaus auf den afrikanischen Kontinent ermöglichen. Hoffentlich hat es zumindest einigen in der Vorstellungskraft gemundet.
Markus Schär
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