„Es hat sich einfach so ergeben“, sagt Ueli Leibundgut. Er untertreibt. Denn eine Hofübergabe an Nicht-Familienmitglieder ergibt sich nicht einfach so, sondern setzt viel Vertrauen voraus. Vertrauen in jene Nachfolger, die nicht auf derselben Scholle gross geworden sind. Es braucht noch mehr Vertrauen, wenn diese Nachfolger nicht in der Landwirtschaft aufgewachsen sind, sondern den Weg in die Gummistiefel erst im Erwachsenenalter gefunden haben. Und wenn die Nachfolger den Hof nicht allein, sondern als Gruppe übernehmen wollen, ist sogar eine Extraportion Vertrauen nötig. „Ein Glücksfall“, nennt Niculin Töndury deshalb zu Recht die Tatsache, dass er, seine Frau Ursina, seine Schwester Noemi und die beiden Gemüsegärtnerinnen Anna-Katharina Zbären und Marion Salzmann den Hof der Familie Leibundgut pachten konnten mit der Option, ihn später einmal ganz zu übernehmen. Und das nicht als klassischen Familienbetrieb, sondern als GmbH.

Seit dem ersten Januar dieses Jahres ist der Hof kein Familienbetrieb mehr. In der Praxis hat sich deswegen noch nicht viel verändert. Die GmbH ist nämlich nur eine logische Weiterführung der Aktivitäten des Vereins Radiesli, welcher vor fünf Jahren gegründet wurde. Seit 2012 bauen die beiden Gärtnerinnen auf 60 Aren des zehn Hektar grossen Hofes in Worb Gemüse an, welches direkt an rund 110 Gemüseabonnenten geliefert wird. Neu bewirtschaften die beiden Frauen zusammen mit den Töndurys nebst dem Gemüseblätz auch noch die Äcker, die zum Hof gehören und pflegen eine Herde Mutterkühe zur Fleischproduktion die zurzeit im Aufbau ist - und vorerst aus zwei Mutterkühen, drei Kälbern und zwei Rindlis besteht. Gemeinsam werden sie den gesamten Betrieb auf Bio umstellen. Die GmbH ist auf vier Schultern verteilt. Niculin vereint vorerst drei Viertel der Stimmen auf sich und ist somit der Ansprechpartner für Direktzahlungen. Seine Schwester Noemi ist zwar ebenfalls ausgebildete Landwirtin und Agronomin, arbeitet derzeit aber auch noch ausserhalb.

Produzieren, was gefragt ist

Niculin: „Es ist schon eine grosse Herausforderung. Aber die Grösse vom Hof ist überschaubar und er ist sehr gut gelegen.“ Damit meint er nicht nur nahe von Niculins Heimat Bern, sondern auch nahe an den Konsumenten, die das Radiesli ihren Wünschen entsprechend beliefern will. „Wir werden nicht mehr Hühner halten, als wir Eier-Abos haben und nicht mehr Mutterkühe, als wir Fleisch absetzen können“, erklärt Niculin den Plan. Die Lagerrüebli und Kartoffel, die das Radiesli bisher für die Abonnenten zugekauft hat, sollen künftig auf den eigenen Flächen produziert werden.  Nur beim Getreide sieht er es nicht so eng: „Das möchten wir an Mühlen und Bäckereien verkaufen.“ Noch fehlen einige Abonnenten für Fleisch, Kartoffeln und das Hühnerabo vom Zweinutzungshuhn, das aus Eiern, Suppenhuhn und einem Güggeli (dem Bruder der Legehenne) besteht.

Bis der Betrieb in diesem Sinne geführt werden kann, gibt es noch einiges zu tun. Der jetzige Gemüse-Verarbeitungsraum soll in einen Stall für Mutterkühe umgebaut und der leerstehende Rossstall als Gemüse-Verarbeitungsraum eingerichtet werden. Der 10-Hektar-Betrieb gibt zwar Arbeit für vier bis fünf Personen, er ist aber zu klein, um als landwirtschaftliches Gewerbe zu gelten. Deshalb kann Niculin keinen zinslosen Investitionskredit in Anspruch nehmen. Er rechnet mit Darlehen auf privater Basis und nimmt die Situation gelassen. Auch sonst wirkt er  ausgesprochen ruhig für einen 30-jährigen, der soeben eine neue Existenz aufbaut. Ruhig und bodenständig praktisch: „Statt mit Mutterkühen können wir auch mit Weiderindern anfangen, die wir nach der Sömmerung schlachten, damit wir im ersten Jahr nicht so viel finanziellen Leerlauf haben.“

 

 

Vom Biologiestudium zur Landwirtschaftslehre

 

 

Das landwirtschaftliche Denke ist für ihn nicht selbstverständlich. In der Kinderstube von Niculin und Noemi wehte kein Stallgeruch. Der Vater ist Kinderarzt, die Mutter arbeitet als Fachfrau in der Onkologie. Der Weg in die Landwirtschaft begann bei Niculin mit einem Biologiestudium. „Dabei hat mich immer das, was hier bei uns wächst oder lebt am meisten interessiert.“ Seinen Zivildienst absolvierte er auf dem Bergbauernhof der Familie Heinrich in Filisur. „Bis dahin hatte ich ein ziemlich romantisches Bild von der Berglandwirtschaft“, sagt er lachend, „ich dachte es sei so ähnlich wie im Buch Quatemberkinder.“ Er kannte kaum den Unterschied zwischen Heu und Emd.

Die Arbeit im Freien, mit den Händen, mit Kartoffeln und Vieh gefiel ihm. Niculin arbeitete so engagiert, dass Marcel Heinrich einmal im Spass sagte, ihn nähme er auch als Lehrling. Als Niculin ein Jahr später auf diesen Spruch zurückkam, hielt Heinrich Wort. „Die Ansprüche an mich als Stift waren deutlich höher als an einen Zivi“, stellte Niculin fest. Aber es gefiel ihm noch immer. Das zweite Lehrjahr machte er dann auf einem vielseitigen Betrieb im Kanton Bern. Doch bereits beim Besuch der Bioschule Schwand wurde ihm klar, dass ein Leben als Landwirtschaftlicher Mitarbeiter für ihn keine Zukunft hat. Er wusste, dass er eines Tages selbst einen Betrieb führen wollte, um davon leben zu können.

Wir sind da reingewachsen

Da er in Bern zusammen mit seiner Frau in einer WG mit Radiesli-Gemüseabos lebte, ergab es sich, dass er Leibundguts kennenlernte. Dass es soweit kam, ist der Gemüsegärtnerin Marion Salzmann zu verdanken. Sie hat Leibundguts stets vom Modell der Vertragslandwirtschaft vorgeschwärmt. Ueli und Elisabeth Leibundgut betrieben einst eines der ersten Erdbeer-Selbstpflückfelder in der Region. Als sie nach einem schweren Hagelschaden entschieden, das Erdbeerfeld nicht mehr zu bepflanzen, bot Ueli Marion den „Erdbeerbitz“ zur Gemüseproduktion an. Das war der Moment, auf den Marion gewartet hatte. Sie nahm das Angebot gerne an. „Dann sind wir da reingewachsen“, sagt Ueli Leibundgut im Rückblick. „Am Anfang haben wir befürchtet, dass ständig viele Leute auf dem Hof sind. Aber das ist nur an den Aktionstagen der Fall.“ Und die finden im Sommerhalbjahr etwa zwei bis dreimal im Monat statt.
Ueli und Elisabeth Leibundgut haben drei Kinder. Aber es hat sich halt so ergeben, dass diese in ihrem Leben eine andere Richtung einschlugen. Keines von ihnen wollte den Hof übernehmen. Natürlich hätten Leibundguts das Land parzellenweise verkaufen oder verpachten können. Ein Nachbar wäre durchaus interessiert gewesen. Doch das Paar gab dem Radiesli den Vorzug. Leibundguts leben weiterhin auf dem Hof, Niculin zieht mit Frau und Kind ins Stöckli. Und Ueli Leibundgut arbeitet nach Lust und Laune ein wenig mit. „Wenn ich nichts zu tun habe, ist mir langweilig“, sagt er lachend und dass viele Arbeiten zu zweit einfach doppelt Spass machen. Dass er dieses Mal nicht untertreibt, spürt man.

„Dein Gemüse kennt Dich“

 

 

Das Radiesli ist ein Projekt für regionale Vertragslandwirtschaft, auch solidarische Landwirtschaft genannt. Der Verein hat rund 200 Mitglieder, etwa die Hälfte davon hat ein Gemüseabos gelöst. Der Slogan des Vereins lautet: „Dein Gemüse kennt Dich” und das ist gar nicht so falsch. Immerhin kennen die Mitglieder mit den Gemüseabos ihr Gemüse schon lange, bevor es in ihrer Küche landet. Sie arbeiten nämlich an mindestens acht Halbtagen pro Jahr auf dem Feld oder bei der Verteilung mit. 
Weitere Infos zum Radiesliverein: www.radiesli.org

Eveline Dudda, lid