LID: Herr Gelpke, dass die Schweiz mit manchen invasiven Arten Probleme hat, ist unbestritten. Vor sechs Jahren hat der Bund deshalb eine Verordnung erlassen. Aber nach wie vor gibt es keine bundesweite Strategie, wie das Problem anzugehen ist. Wie kommt das?

Günther Gelpke: Lange Zeit hat sich der Bund auf den Standpunkt gestellt, die Umsetzung der Freisetzungsverordnung sei Sache der Kantone. Das hat dann dazu geführt, dass die Kantone unterschiedliche Lösung erarbeitet haben. Inzwischen arbeitet das Bundesamt für Umwelt aber mit Hochdruck an einer nationalen Strategie.

Aber es ist noch immer so, dass zum Beispiel ein Kanton eine Pflanzenart bekämpft, während der Nachbarkanton nichts tut und dieselbe Art weiterhin versamen lässt?

Inzwischen gibt es Bemühungen das Vorgehen zu vereinheitlichen.

Was schwierig sein dürfte, weil ja nicht jede Gegend gleich stark betroffen ist.


Das ist richtig. Im Kanton Zürich findet man zum Beispiel im Oberen Glatttal fast kein Springkraut entlang der Gewässer, während im Einzugsgebiet der Töss die Ufer voll davon sind. Deshalb braucht es nebst einer übergeordneten nationalen Strategie regionale Konzepte in der Umsetzung.

Würde es nicht reichen, wenn man einfach alle Naturschutzgebiete frei hält?

Nein, denn wenn die ganze Gegend voller Neophyten ist, wird auch der Aufwand für die Freihaltung der Schutzgebiete grösser. Unter Umständen ist es effizienter, eine Art in einer ganzen Region auf tiefem Bestandesniveau zu halten. Zudem reichen die Schutzgebiete nicht aus, unsere Biodiversität zu erhalten.

Auf der Schwarzen Liste der invasiven Neophyten stehen auch so häufige Pflanzen wie Kirschlorbeer. Kaum jemand nimmt diese beliebte Heckenpflanze als Bedrohung für die Umwelt wahr. Zumal Kirschlorbeer auch in vielen öffentlichen Grünanlagen steht.


Das ist ein Problem. Den Leuten fehlt bisher die direkte Erfahrung, wie weit solche Invasionen gehen können. Deshalb muss man mit Informationen arbeiten. In siedlungsnahen Wäldern breitet sich der Kirschlorbeer bereits stark aus. Auch wenn er noch nicht gerade ein dichtes Unterholz bildet, kann er die heimische Flora bedrängen, wie dies im Tessin vielerorts bereits der Fall ist.

Pflanzen kann man vielleicht noch bekämpfen, aber Tiere sind mobil. Wäre es nicht besser, sich mit diesen Arten zu arrangieren?

Das Ziel sollte zumindest sein, die Einwanderung von neuen Problemarten zu verhindern. Beim Asiatischen Laubholzbockkäfer macht eine Bekämpfung durchaus Sinn, wenn man damit verhindern kann, dass sich der Käfer überhaupt bei uns etabliert. Beim Asiatischen Marienkäfer wird das hingegen wohl nicht mehr möglich sein.

Der Kampf betrifft auch belastetes Erdreich. Wenn es Wurzeln oder Samen von Neophyten im Boden hat, gilt diese Erde als Altlast und müsste theoretisch als Sondermüll entsorgt werden. Ist das überhaupt realistisch?


Man kann mit verunreinigter Erde sehr schnell ein Problem schaffen. Zum Beispiel wenn man von einer springkrautüberwucherten Deponie Erde nimmt, um damit Wege auszubessern. Aber auch hier muss man differenzieren. Beim Knöterich ist das Erdmaterial auf jeden Fall ein Problem, weil selbst kleinste Wurzelstückchen wieder ausschlagen. Auch bei der Ambrosia sind zahlreiche Fälle belegt, in denen die Art durch Erdtransporte verschleppt wurde. Bei der Goldrute sieht es dagegen anders aus, Goldrutensamen hat es sowieso überall.

Apropos Goldrute: Diese dekorative Pflanze wird häufig auch an offiziellen Anlässen in Gestecken verwendet. Und neulich habe ich in einem Wildkräuter-Kochbuch ein Rezept mit Japanischem Knöterich entdeckt. Beides wäre laut Freisetzungsverordnung doch verboten?


Überspitzt formuliert macht sich tatsächlich jeder strafbar, der eine Goldrute im Garten hegt und pflegt oder Staudenknöterich zum Kochen sammelt. Auf der anderen Seite geht die SBB straffrei aus, obwohl manche Bahndämme voller Goldruten sind, weil sie nicht vorsätzlich handelt.

Das ist doch Verhältnisblödsinn.

Nun ja. Die Freisetzungsverordnung wurde ursprünglich erlassen, um den Umgang mit Risikoorganismen oder gentechnisch veränderten Organismen zu regeln, damit diese nicht in der Umwelt freigesetzt werden. Aber dann hat man die Verordnung zusätzlich über die Neobioten gestülpt. Das Problem ist, dass viele dieser Organismen schon längst  freigesetzt sind, wofür das Gesetz eigentlich nicht vorgesehen ist.

Eveline Dudda, LID