Es waren drei quälend lange Tage. Drei Tage, in denen  sich Sarah Marquis mit einem auf Schulterhöhe gebrochen Arm durch den unwegsamen Regenwald im Westen Tasmaniens kämpfte. Allein, mit einem 30-Kilo-Rucksack am Rücken und starken Schmerzen.

«Ich war am Rande einer Schlucht, als plötzlich der Boden unter mir weg brach. Ich stürzte in die Tiefe», erzählt die Schweizerin von ihrem Unfall. «Ich  bin sehr erfahren darin, die Landschaft um mich herum mit allen Sinnen zu scannen und die Situation einzuschätzen. Das half diesmal nicht. Doch ich hatte Glück.»

Keine Notverbindung

In der Schlucht konnte Sarah ihr Satelliten-Notfallsystem nicht aktivieren, es gab keine Verbindung. Trotz des höllisch schmerzenden Armes arbeitete sie sich samt Ausrüstung aus dem Abgrund heraus und alarmierte oben ihr Helferteam.

Dann schleppte sie sich drei Tage durch den Dschungel, bis zu einem Platz, an dem ein Helikopter landen und sie in die nächste Notaufnahme fliegen konnte.

Mit dem Unfall war Sarah Marquis Abenteuer in Tasmanien keineswegs zu Ende. Nach zwei Wochen Zwangspause setzte die 46-jährige ihre Wanderung fort. Da der Arm noch in einer Schlinge ruhig gestellt bleiben musste, lud sie ihren Rucksack auf einen dreirädrigen Karren. «Ich hatte nur noch drei Wochen bis zum Zielort meiner Wanderung. Aufgeben war keine Alternative.»

Allein rund um die Welt

Sarah Marquis ist Abenteurerin, Extrem-Wandererin, Forscherin. Sie wanderte unter anderem in drei Jahren allein von Sibirien nach Australien und durchquerte drei Monate lang zu Fuss die Kimberleys, die abgelegenste und gefährlichste Region Australiens.

Nimmt man all ihre Expeditionen zusammen, umrundete sie in 25 Jahren einmal zu Fuss den Erdball. Sie erlebte auf ihren Solo-Wanderungen extremen Hunger und Durst. Sie lernte, selbst in der Wüste Wasser zu finden, sich von dem zu ernähren, was sie in der Natur fand.

Brenzlige Situationen

Mehr als einmal kam sie in brenzlige Situationen. Im Dschungel von Laos erkrankte sie am Dengue-Fieber. In der Mongolei sprangen Reiter Abend für Abend mit Pferden über ihr Zelt, um sie einzuschüchtern. Im «Goldenen Dreieck» war ihr Schlafplatz eines Nachts plötzlich von drogen-
benebelten Schmugglern umringt.

Raus aus der Komfortzone

Es sei weder Todessehnsucht noch der Adrenalin-Kick, der sie antreibe, erklärt Sarah Marquis. «Ich verlasse meine Komfortzone um herauszufinden, was in mir steckt, aus welchem Holz ich geschnitzt bin. Ich wiss herausfinden, ich mutig genug bin, ich zu sein.»

«Das Leben ist voller Magie, und um das unmittelbar und unverstellt in mir zu spüren, wandere ich», schreibt sie in ihrem Buch «Instinkt» über ihren Antrieb.

«Mein Herz braucht das, und meine Beine sind zum Wandern geschaffen.» Auf ihren Solo-Wanderungen streife sie Schicht für Schicht alle
Regeln und Zwänge der Zivilisation ab, werde zu einem Tier, das sich fürs Überleben auf seinen Instinkt verlässt. 

Naturverbunden seit Kindesbeinen

Aufgewachsen ist Sarah im jurassischen Dorf Montsevelier, als mittleres von drei Kindern. Sie stromerte schon damals viel durch die Natur, kümmert sich um die Tiere der Familie und gab jeden Franken, den sie mit Schnecken sammeln im elterlichen Garten verdiente, für Outdoor-Magazine aus. Sie wollte Biologin oder Tierärztin werden.

Wenn andere Mädchen von Familie gründen und Kinder kriegen schwärmten, sprach sie das nicht an. Bereits mit 17 durchquerte sie Zentralanatolien auf einem Pferd. Sie machte eine Ausbildung zur Export Sales Managerin, arbeitete einige Jahre als SBB-Zugbegleiterin und lebte in Lausanne  in einer winzigen Wohnung, um Geld für ihre Reisen zu sparen.

Auf einer ersten Tour  nach Australien und Neuseeland entdeckte sie das  Zu-Fuss-Gehen für sich. Sie wanderte in Patagonien und Französisch-Polynesien und fuhr Kanu in Kanada.

Im Jahr 2000 brach sie schliesslich zu ihrem ersten grossen Abenteuer auf: Sie durchquerte die USA von Nord nach Süd zu Fuss. Die 4260-Kilometer-Strecke bewältigte sie in vier Monaten. Damals hielten sie viele für verrückt, die Sponsorensuche hatte keinen Erfolg. Das änderte sich erst, als sie einen Mann damit beauftragte, den Firmen ihr Vorhaben zu erklären.

Ein Nest in den Alpen

Heute stehen ihre Wildnis-Touren im Zentrum ihres privaten und beruflichen Lebens. Sarah Marquis hat aus ihrer Passion ein erfolgreiches Unternehmen gemacht, Beruf und Berufung zugleich. «Was ich mache, ist weder ein Job noch eine Leidenschaft: Es ist mein ganzes Leben.»

Trotz allen Fernwehs hatte sie im letzten Jahr das Bedürfnis nach einem «Nest», einem Rückzugsort für sich ganz allein. Es sei nicht so, dass sie Männer nicht möge.

Nicht für jeden das Richtige

Doch das Modell, das ganze Leben mit einem einzigen Menschen zu verbringen, sei nicht für jeden das richtige. «Zu lieben bedeutet für mich, den anderen zu respektieren und sich die notwendigen Freiheiten zu gewähren.»

Sie baute sich in den Walliser Alpen ein 38-Quadratmeter-Holzhaus. An einem Ort, der im Winter nur nach einem 15-minütigen Fussmarsch zu erreichen ist. Wo genau, will sie nicht preisgeben.

«Ich habe  das Haus in sechs Monaten selbst gebaut, mit viel Unterstützung durch meinen jüngeren Bruder Joel», erzählt die Abenteurern im Interview. «Wir haben täglich bis zu zwölf Stunden geschuftet. Ich bin stolz darauf.»

www.sarahmarquis.ch

Das FrauenLand-Interview mit Sarah Marquis lesen sie Hier