Es ist ein ungewohntes Bild: Ein Pferdegespann pflügt einen Acker, hinterher gehen zwei Männer, der eine mit den Zügeln in den Händen, der andere kontrolliert den Pflug. Auf diese Weise wird auf dem Blumenfeld von knapp 11 Aren, das nach vier Jahren erstmals wieder gepflügt wird, Furche um Furche mit dem «3-PS-Einscharpflug» gezogen. Für den Antrieb zuständig sind die beiden temperamentvollen Warmblutstuten Minka und Kira auf je einer Seite sowie der Freibergerwallach Golden in der Mitte des Gespanns.
Pferde mit «Pfupf»
Was für Aussenstehende nostalgisch anmuten mag, gehört auf dem landwirtschaftlichen Betrieb Müselacher in Bertschikon bei Gossau ZH seit 55 Jahren zum Alltag. Damals, als die Schweizer Landwirtschaft gerade erst begonnen hatte, sich mit Maschinen und Traktoren einzudecken, hatte sich Pferdliebhaber Willi Altorfer gegen den Strom gestellt und sich für Arbeitspferde entschieden.
Dabei setzte er auf Warmblüter, weil er Pferde mit etwas «Pfupf» wollte. Die Freiberger waren damals noch vom ruhigeren Typ als heute. So kaufte Altorfer als erstes Arbeitspferd eine Polnische Trakehnerstute. Mit ihr begründete er die eigene Zucht, welche er mit Schweizer Warmblut weiterentwickelte. Die Stuten Minka und Kira gehören nun bereits der vierten und fünften Generation an, ein Fohlen der sechsten Generation wird auf den Sommer hin erwartet.
Bürojob gekündigt, Betrieb übernommen
Vor fast zwanzig Jahren hat Willi Altorfers Sohn Urs mit seiner Familie den Betrieb in vierter Generation übernommen. Er hatte zuerst Hochbauzeichner gelernt, eine Laufbahn in der Landwirtschaft war zunächst nicht vorgesehen.
Mit Ende Zwanzig, als der Vater pensioniert wurde und niemand anders in der Familie bereit war dazu, entschied sich Urs Altorfer für den Wechsel in die Landwirtschaft. Er gab seinen Bürojob schrittweise auf und absolvierte eine Zweitausbildung am Strickhof. Obwohl er sich selbst nie als «Rösseler» gesehen hat, übernahm der Nachfolger auch die Tradition der Zugpferde. «Zum einen war es einfacher, auf die bestehende Infrastruktur zurückgreifen zu können, zum anderen brauchte ich als ehemaliger Spitzensportler ein neues Feld für meinen Ehrgeiz», meint Urs Altorfer rückblickend. Das sei bis heute so geblieben.
Pferdepflug: 5 bis 6 Aren pro Stunde
Die Pferde sind nicht nur beim Pflügen die antreibende Kraft, sondern auch bei einer Reihe weiterer Tätigkeiten, für die auf anderen Betrieben der Traktor zuständig ist: Eggen, Säen, Hacken, Striegeln, Güllen, Mist führen, Mähen, Grasen, Heu und Ernte einbringen und Sachen transportieren. Dazu ist meistens ein Einer- oder Zweiergespann im Einsatz. Das Pflügen ist die einzige Arbeit, bei der drei Pferde gleichzeitig eingespannt sind. Dies ist für den Landwirt besonders anspruchsvoll, da er nicht nur den Pflug kontrollieren muss, sondern auch gleichzeitig das Powerpaket vorne dran. «Für die ersten paar Furchen braucht es zwei Personen, danach ist das Pflügen mit dem Gespann auch alleine machbar», sagt Urs Altorfer, der dabei auf die Hilfe des Lehrlings oder der Familie zählen kann.
Pro Stunde sind erfahrungsgemäss 5 bis 6 Aren zu schaffen. Die Furchenbreite ist auf 30 cm eingestellt, die Tiefe auf 15 cm, das äusserste Pferd geht jeweils in der Linie der Furche. Am Ende jeder Furche löst der Landwirt den Pflug von der Waage, wendet das Gespann und hängt das Arbeitsgerät erneut ein. Er manövriert die Pferde mithilfe der Zügel und lautem Rufen in Richtung einer neuen, noch imaginären Furche und weiter gehts.
Geräte nicht mehr im Handel
Der für den Pferdezug angefertigte Einscharpflug wird seit Jahrzehnten verwendet, neue Geräte dieser Art sind nicht im Handel. Auch Zinkenegge, Gülle- und Ladewagen sind seit Jahren im Einsatz. «Es gibt zwar hierzulande eine Werkstatt, welche landwirtschaftliche Geräte für den Pferdezug repariert und in Einzelanfertigung herstellt», sagt Altorfer. «Weil das jedoch teuer ist, lohnt es sich, die Geräte so weit wie möglich instand zu halten und selber zu reparieren.» Das gelte auch für das Geschirr und dessen Zubehör.
Nach zwei Stunden pflügen wirken die 24-jährige Minka, die 12-jährige Kira und der 8-jährige Golden noch immer energiegeladen. «Nach einem Arbeitstag merkt man aber schon, dass die Pferde langsamer werden», so Urs Altorfer. Den 8-jährigen Golden hat er erst letztes Jahr gekauft, weil zuvor ein bewährtes Arbeitspferd ausgefallen war. Der Wallach ist der erste Freiberger auf dem Hof. Altorfer ist zufrieden mit ihm, er sei unkompliziert im Umgang mit den Stuten, die untereinander öfters zicken. Nachdem Golden eingefahren worden war, wurde er an seinen Job als Arbeitspferd herangeführt. Kim, der 7-jährige Vollbruder von Kira, ist ebenfalls eingefahren und soll auch bald eingesetzt werden. Die Pferde auf dem Hof werden nebst ihren Arbeitseinsätzen selten geritten, haben aber eine entsprechende Ausbildung hinter sich.
Hofladen und Online-Shop
Zum Hof Müselacher gehören 16 Hektaren Land, wovon 12 Hektaren für den Futterbau genutzt werden. Es werden auch Kartoffeln, Rüebli und Räben sowie Gerste, Dinkel und Emmer als Brot- und Futtergetreide angebaut. Zudem gibt es ein Feld mit verschiedenen Blumen zum Selbstpflücken und eine Obstanlage mit Hoch- und Niederstammbäumen.
Im Stall stehen 12 Milchkühe der Rasse Original Braunvieh sowie einige Mastkälber. Zudem hält der IP-Betrieb jeweils zwei bis vier Schweine zum Mästen, ein paar Schafe sowie Freilandhennen. Die Vermarktung läuft hauptsächlich direkt über den Hofladen sowie über den Onlineshop.
Weitere Informationen: www.direktvomhof.ch