Auf der rechten Seite der Strasse ragt die Felswand in die Höhe. Trotz der aktuell widrigen Wetterbedingungen versuchen sich einige ambitionierte Kletterer an der Wand. Hinter ihnen öffnet sich zwischen den wandernden Nebelschwaden eine fantastische Sicht über das Mittelland in Richtung Alpen. «Bettlerchuchi» heisst der Übergang in der ersten Jurakette östlich von Solothurn, der einem diesen atemberaubenden Ausblick bietet. Der Name des Aussichtspunkt auf rund 1070 m ü. M. habe seinen Ursprung in einer Sage. Hier, am Übergang zwischen den Kantonen Bern und Solothurn sollen einst Bettler an einem Feuer gelagert haben.
Fohlen auf den Juraweiden
Nur wenig weiter tut sich der Blick Richtung Hintere Schmiedenmatt auf. Links und rechts der Strasse weiden bereits zahlreiche Rinder des Nachbarbetriebs. Sie machen hinter den Weiderosten keine Anstalten, sich freiwillig von der Strasse weg zu begeben. «Der Berg gehört uns», könnten sie dabei sagen. Aber damit haben sie nur bedingt recht. Denn auf den Juraweiden, wo eine einzigartige Vegetation gedeiht, weiden auch Fohlen. Sie gehören zum Betrieb der Hinteren Schmiedenmatt. Und während das Sömmern der Pferde früher den Oberaargauer Pferdezüchtern vorbehalten war, kommen die Fohlen heute beinahe aus allen Teilen der Schweiz.
Die Pferdezucht im östlichsten Teil des Kantons Bern hat gelitten. Der 95-jährige Max Fankhauser aus der Region hat heuer zum letzten Mal zwei Sprösslinge aus seiner Zucht gebracht. Dann ist fertig, wie der Hirt Remo Schmid der BauernZeitung verrät. «Das sind Leute, die der Pferdezucht dereinst fehlen werden», sagt Schmid. Er betreut die Fohlen während der Sommermonate. In diesem Jahr konnten sie nicht, wie sonst üblich, am Samstag nach Christi Himmelfahrt auffahren. Es war zu kalt und die Wiesen noch nicht zum Weiden bereit.
Im kühlen Laufstall
Beim Besuch der BauernZeitung sind die 24 Fohlen nun aber auf der Weide. Ein Anblick, der einen innehalten lässt, und das nicht nur, wenn man eine «Rösselerin» ist. Tagsüber bleiben die Jungpferde gerne im kühlen Laufstall. Heute ist der Himmel aber so verhangen, dass das «Gschmöiss» sie nicht in den Stall treibt. Auf die Frage, ob es gut laufe, sagt Schmid: «Jo, Houz alänge», und fasst sich mit einem Schmunzeln an den Kopf.
Der umtriebige Landwirt kennt den Berg schon lange. Seine Schwiegereltern Margrit und Emil Heer haben ihn vorher bewirtschaftet. Schon von Kindesbeinen an ging Remo Schmid regelmässig helfen und lernte dadurch auch seine Frau Sibylle kennen. Er erinnert sich, dass er nach seiner RS zu Hause meinte: «Ich gehe mal schauen, was sie auf der Schmiedenmatt so bauern.» Dann nahm die Sache ihren Lauf und es verschlug den gelernten Zimmermann definitiv in die Höhe. Und hier bewirtschaftet er heute zusammen mit seiner Frau und den beiden Söhnen Ronny und Nils den Ganzjahresbetrieb Hintere Schmiedenmatt. Zehn von gesamthaft 100 Hektaren hat er in Pacht, der Rest gehört zum Sömmerungsbetrieb und zählt daher auch nicht zur landwirtschaftlichen Nutzfläche.
Milch wird vertränkt
Schmids halten ganzjährig rund sieben Kühe, deren Milch sie an Kälber vertränken. Ein System, das in dieser Region lange sehr stark verbreitet war. Zu abgelegen seien die Betriebe hier oben, dass ein Verarbeiter Interesse hätte, die Milch zu holen. Die Mastkälber machen auch für das betriebseigene Restaurant Sinn. Und hier ist Sibylle Schmid Chefin. Ist der Andrang gross, hilft ihr auch gerne Mutter Margrit Heer aus, die unter der Woche regelmässig ihre beiden Enkel verpflegt, da diese einen Schulweg von fast sieben Kilometer zu absolvieren haben. Am Mittag steht Sibylle in der Restaurantküche und kann daher nicht weg, um die beiden schulpflichtigen Jungs abzuholen.
Corona hat zugesetzt
Die Corona-Pandemie hat dem Restaurant, das eine entscheidende Einnahmequelle für die Familie darstellt, arg zugesetzt. Nun ist es wieder geöffnet, aber die beiden spüren, dass Covid-19 etwas verändert hat. Es werde Zeit brauchen, bis sich das Ganze wieder etwas erholt habe, sind sie sicher. Während des Lockdowns hat Sibylle in ihrem angestammten Beruf als Lehrerin in einer Sonderschule ein Teilzeitpensum angenommen. «Ich dachte, es fehlt mir nicht, als ich nicht mehr auswärts arbeiten ging, aber insbesondere in der Pandemie merkte ich, wie gut es mir tut», erklärt sie.
Das Führen des Restaurants, die Aufgaben als Mutter und Bäuerin und das zusätzliche Pensum auswärts gilt es zu organisieren. «Es braucht eine Frau, die das wirklich will», sagt Remo Schmid. Denn der Jura sei rau und die Familie lebt das ganze Jahr über hier, auch denn die heuer 152 Rinder und 24 Fohlen im September wieder den Heimweg antreten. «Man ist sehr angebunden», sagt Sibylle Schmid. Sie ist hier aufgewachsen und vor ihren Eltern haben bereits ihre Grosseltern Susanne und Adolf Simmen die Hintere Schmiedenmatt geführt. Und auch für sie war der Berg, auf dem Rinder und Jungpferde ihren Sommer verbringen, das Zuhause. Auch dann, wenn der kalte Wind ums Hauseck pfeift und die Schneeverwehungen alle Spuren verwischen.
Die Hintere Schmiedenmatt
Die Hintere Schmiedenmatt liegt in der Solothurner Gemeinde Herbetswil. Sie umfasst knapp 100 ha, davon 23 ha Wald. 10 ha sind zudem an Remo und Sibylle Schmid-Heer verpachtet, die das ganze Jahr auf dem Hof wohnen. Sie versorgen auch die Sömmerungstiere, die zwischen Mai und September gehalten werden. Der Betrieb gehört der Hinteren Schmiedenmatt AG mit Sitz in Herzogenbuchsee. Lange Zeit war die Pferdezuchtgenossenschaft Oberaargau für sie zuständig. In jener Zeit durften auch nur Fohlen aus dieser Genossenschaft gesömmert werden, was mittlerweile aufgrund mangelnder Züchter abgeschafft wurde. Rinder kann aber nur sömmern, wer auch Aktien besitzt. Hier ist die Nachfrage ungebrochen gross.
Neben den modernen Rinder- und Pferdestallungen und dem kleinen Anbindestall für Kühe mit Platz für Kälber und Schweine ist das Bergrestaurant mit reicher Karte das Herzstück der Hinteren Schmiedenmatt und lädt nach dem Spaziergang, ob mit Wander- oder Schneeschuh zu einer Stärkung ein. Als besonderes Highlight bietet Familie Schmid jedes Jahr am Bettag-Wochenende sowie am 2. März- und am 2. November-Wochenende eine Metzgete an. Dafür brauchen sie die vier Schweine, die auf dem Hof gemästet werden.