«Ich hatte nur noch Angst. Angst, dass ich mit dem Baby auf dem Arm umfalle. Angst, dass ich im Bett einen Herzinfarkt bekomme und meine Tochter neben mir schreit»: Wenn Annika Redlich an die Babyzeit ihrer Tochter zurückdenkt, sind das keine schönen Erinnerungen. Postpartale Depression, davon hatte sie im Geburtsvorbereitungskurs beim ersten Kind, ihrem Sohn, mal gehört. Nie hätte sie gedacht, dass es sie selbst einmal treffen könnte.
Fehlgeburt als Auslöser
Rund 15 Prozent der Frauen, die ein Kind bekommen – rund 13 000 pro Jahr in der Schweiz – stürzt dieses sogenannt freudige Ereignis in die Krise: Sie erleiden eine postpartale Depression (auch oft als postnatale Depression bezeichnet). Risikofaktoren kann es viele geben: frühere Depressionen, ein Geburtstrauma bei einer früheren Geburt, Beziehungsprobleme, mangelnde Unterstützung oder eine Fehlgeburt.
«Ich hatte in der 16. Woche eine Fehlgeburt», erzählt Annika Redlich. Sie habe sich überhaupt nicht begleitet gefühlt, die Gynäkologin war unsensibel. «Ich musste regelrecht um ein Arztzeugnis für die nächste Woche fragen.» Als sie dann wieder einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt, «habe ich mich eine Sekunde lange gefreut, danach kam die Angst.»
Es ging ihr immer schlechter
Vier Monate nach der Geburt ihrer Tochter kam ihre Periode zurück. Gleichzeitig ging es Annika Redlich immer schlechter. Schlafprobleme, Erschöpfung, starker Schwindel, Gleichgewichtsprobleme. «Ich habe nur noch funktioniert wie eine Maschine.» Dazu kam immer mehr Angst sowie Gewaltfantasien gegen sich selbst. «Die letzten Tage konnte ich nicht mehr mit den Kindern alleine sein.»
Sie suchte sich eine Therapeutin, diese behandelte eine Angststörung, aber die Diagnose postpartale Depression fiel nicht. Erst als Redlich über einen Bekannten eine Frau kennenlernte, die wegen einer postpartalen Depression einen Klinikaufenthalt hinter sich hatte, wurde alles klar. «Wir kannten uns fünf Minuten, da fiel dieses Wort das erste Mal.»
Klinik-Aufenthalt half
Annika Redlich ging mit ihrer Tochter für acht Wochen auf die Mutter-Kind-Station des Spitals Affoltern in Affoltern am Albis ZH. «Das war gleichzeitig meine schwerste und beste Entscheidung. Ich hatte das Gefühl, meinen fünfjährigen Sohn im Stich zu lassen, aber ich brauchte diesen Bruch.»
Auf der Mutter-Kind-Station wurde das Baby von 9 bis 15 Uhr in der Stationskrippe betreut. Annika Redlich konnte die verschiedenen Therapieangebote nutzen: Sport, Physiotherapie, Bewegung mit Musik, Basteln, Gruppengespräche mit anderen Müttern, medikamentöse Beratung und psychologische Betreuung. Sie lernte wieder essen und schlafen, schloss auf weiten Waldspaziergängen enge Freundschaften mit anderen Müttern. Wieder zu Hause, blieb sie noch ein halbes Jahr in Behandlung und nahm Medikamente. «Es gibt übrigens auch stillfreundliche Medikamente», hält sie fest.
Arbeit in der Prävention
Heute geht es Annika Redlich wieder gut. Ihre Tochter ist mittlerweile zweieinhalb. Redlich hat sich beruflich verändert. Sie ist heute Leiterin der Geschäftsstelle beim Verein Postpartale Depression. Dieser bietet kostenlos Flyer, Kontakte zu Fachpersonen, eine Hotline für Betroffene und Angehörige und ein Patinnen-System für betroffene Frauen an.
Sich Hilfe zu suchen, ist laut Annika Redlich das A und O. «Hätte ich mehr Entlastung gehabt, wäre ich nicht so tief in die postpartale Depression hineingerutscht.»
Mögliche Symptome
Eine postpartale Depression entwickelt sich oft schleichend. Mögliche Symptome können sein:
- Erschöpfung
- Antriebslosigkeit, Leere
- sexuelle Unlust
- Stimmungsschwankungen
- Traurigkeit
- mangelndes Selbstvertrauen
- Schuldgefühle
- Konzentrationsprobleme
- Appetitstörung
- Schlafstörung
- Ängste, Panikattacken
- Zwangsgedanken
- Reizbarkeit
- sozialer Rückzug
- zwiespältige Gefühle dem Kind gegenüber
- Selbstmordgedanken
- körperliche Beschwerden
Auf der Website des Vereins Postpartale Depression findet man einen Fragebogen, um herauszufinden, ob man selbst an einer postpartalen Depression leiden könnte: www.postpartale-depression.ch