Die Politik beschäftigt sich immer wieder damit, ob Fleischwerbung sinnvoll ist. Greenpeace stört sich neben dem Fakt, dass dafür geworben wird auch am Wie. In einem über 60 Seiten langen Bericht hat die international tätige Umweltorganisation «sieben Mythen der Fleischindustrie» identifiziert und sozialwissenschaftlich analysiert:
- Fleisch ist grün
- Fleisch ist gut für dich.
- Echte Männer essen Fleisch.
- Der Mythos der guten Hausfrau.
- Fleisch schafft Gemeinschaft.
- Fleisch macht frei.
Unter den 51 untersuchten europäischen Fleischmarken waren auch deren acht aus der Schweiz (Schweizer Fleisch, Micarna, Optigal, Bell, Malbuner, Citterio, Coop und Rapelli). Die Werbung versuche, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen – «alle Menschen werden tagtäglich Opfer von Werbebotschaften», heisst es wörtlich im Bericht.
«Viel realitätsnaher geht es nicht»
Eine Seite des Greenpeace-Berichts ist der Kritik an Proviande gewidmet. Die Organisation romantisiere in ihren Werbespots die Tierhaltung in der Schweiz, während die Realität ganz anders aussehe. Diesen Vorwurf lässt Proviande nicht gelten: Für die Spots aus der TV-Werbung sei ein Dokumentarfilmer ohne Skript oder Beisein eines Proviande-Vertreters auf den Bauernhöfen vorbeigegangen, erklärt Regula Kennel, Leiterin Unternehmensentwicklung bei der Branchenorganisation auf Anfrage. Viel realitätsnaher gehe es wohl nicht.
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Themen aufgegriffen und Claim angepasst
Die PR-Beiträge print und online würden ausserdem kaum mehr Fleisch zeigen, sondern sich vielmehr um jene Themen drehen, die die Gesellschaft beschäftigen: Tierhaltung, Ökologie und Ernährung, fährt Kennel fort. Greenpeace kritisiert derartige Botschaften als Mythos «Fleisch ist grün» oder «Fleisch ist gut für dich». Eine beschönigende Welt könne man Proviande kaum vorwerfen, findet die Leiterin Unternehmensentwicklung, «aber natürlich hebt jede Werbung das Positive des Produkts hervor». Um Fleisch aus Schweizer Produktion klarer zu positionieren, sei auch der Claim angepasst worden: Statt «alles andere ist Beilage» heisst es nun «der feine Unterschied».
Die am häufigsten verwendeten «Werbemythen» in der Schweiz sind laut Greenpeace neben Ökologie Nationalstolz und Geselligkeit. Die Botschaften: Fleisch gehöre zur Schweiz und verbinde die Menschen.
Analogie zur Tabakindustrie
Für Greenpeace steht ausser Frage, dass ein übermässiger Fleischkonsum – wie ihn gezielte Werbung fördere – der Umwelt und der menschlichen Gesundheit schadet. Der Bund handle mit der finanziellen Unterstützung der Absatzförderung für Fleisch inkonsequent, wo man sich doch für den hohen Einsatz zum Wohle von Biodiversität und Klima selbst lobe. Unter anderem mit dieser Begründung war im September die Petition «Keine Steuergelder für Werbemärchen» eingereicht worden.
Die Autoren des Berichts vergleichen die Fleischbranche mit der Tabakindustrie, die jahrelang für ihre schädlichen Produkte geworben habe, bis dem per Verbot ein Riegel geschoben wurde. Das brauche es auch beim Fleisch. Tatsächlich hätten die PR-Agenturen von der Bewerbung von Tabak zu Fleisch gewechselt und nutzten dieselben Strategien nun dort, schreibt Greenpeace.
Pauschal könne man das nicht beurteilen, sagt Proviande dazu. Die Marketingstrategien seien dieselben, egal, ob man sie für Fleisch, Tabakprodukte oder Waschmittel anwende.
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«Schweizer Fleisch» nutze keinen der sieben Mythen
Schweizer Fleisch wird im In- und Ausland unter der gleichnamigen Marke unter der Führung von Proviande vermarktet (siehe Kasten unten). «›Schweizer Fleisch‹ bedient sich nicht der von Greenpeace identifizierten Mythen», versichert Regula Kennel. Der Bericht nehme es mit den Fakten nicht so genau, so ihr Fazit. Beispielsweise würden Produktnamen und Herkunftsbezeichnungen verglichen. Weiter sei die Aussage, Schweizer Fleisch sei hierzulande die umsatzstärkste Fleischmarke, sei schlichtweg falsch: «Die (Kommunikations-)Marke ›Schweizer Fleisch‹ ist leider praktisch nicht sichtbar an der Verkaufsfront und kann so gar keinen Umsatz generieren», erklärt sie. Kennel hätte ausserdem neben der «durchaus interessanten sozialwissenschaftlichen Sicht auf die Wirkung von Marken» auch eine naturwissenschaftliche Beurteilung auf die Behauptungen zu Gesundheit und Ernährung im Zusammenhang mit Fleisch angebracht gefunden. «Den Greenpeace-Bericht haben nämlich sieben Sozialwissenschaftler, ein Marktstratege und ein nicht näher definierter ›Forscher‹ ausgearbeitet», gibt sie zu bedenken.
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Wie entsteht bei Proviande eine Werbekampagne?
Laut Regula Kennel von Proviande gibt es eine klare strategische Ausrichtung von «Schweizer Fleisch», die regelmässig überarbeitet und wenn nötig angepasst werde. Jährlich erarbeite Proviande für die Bereiche Gastronomie, PR und Basiskampagne die Botschaften, die in den jeweiligen Kampagnen vermittelt werden sollen. Je nach Zielgruppe nutze man dafür andere Kanäle, z. B. Inserate oder Fernsehen. «Da die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Fleisch konsumiert, ist die grösste Herausforderung, die Zielgruppen für die einzelnen Massnahmen zu definieren», erläutert Kennel.
Ein massvoller Konsum sei angebracht
Für Regula Kennel ist klar, dass tierische Produkte zu den Nahrungs- und nicht den Suchtmitteln gehören und die Forderung nach einem Werbeverbot sei daher nicht haltbar. Das heisst ihrer Meinung nach aber nicht, dass ein massvoller Konsum nicht angebracht wäre – «auch aus Wertschätzung und Anerkennung für ein natürliches, in der Schweiz nach bestmöglichem Standard produziertes Lebensmittel».
Auf den Bericht von Greenpeace reagiert Proviande nicht. «Wir haben unsererseits bereits im Frühjahr 2021 mit Greenpeace das Gespräch gesucht», gibt Regula Kennel Auskunft. Als Reaktion auf den Vorwurf, es würden Fakten beschönigt, habe man die als Faktenbasis genutzten Unterlagen zur Durchsicht und «Korrektur» an die Umweltorganisation übergeben. «Wir haben nie Anpassungen erhalten. Entsprechend können wir sagen, dass wir für die Schweiz keine beschönigenden Fakten und Zahlen verwenden», schlussfolgert Kennel.
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Was ist «Schweizer Fleisch»?
«Schweizer Fleisch» ist der Geschäftsbereich Marketingkommunikation der Branchenorganisation Proviande. Im Interesse aller Mitglieder – Produzenten, Verarbeiter und Endverkauf – fördere man in diesem Rahmen das Vertrauen in die Schweizer Fleischproduktion sowie das Image von Schweizer Fleisch im In- und Ausland. Seit mehreren Jahren liegt der Schwerpunkt mit «der feine Unterschied» darauf, sich von ausländischer Produktion abzuheben – und nicht darauf, konsumtreibend zu wirken, so Proviande.
Zum Marketing von Proviande gehören TV-Spots, Auftritte auf Social Media und an Messen, die Website schweizerfleisch.ch, Medienpartnerschaften und Präsenz auch in Gastrofachmedien oder der Kochwettbewerb «La Cuisine des Jeunes». Weiter ist «Schweizer Fleisch» an Tagungen für Ernährungsfachleute präsent, arbeitet mit der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) zusammen und hat Unterrichtsmaterialen für Schulen erstellt. An Musikfestivals spricht das «Schweizer Fleisch»-Campfire eine jugendliche Zielgruppe an. Finanziert werden die Massnahmen durch die Kommunikationsbeiträge von Produzenten und Verarbeitern sowie den Förderungsbeiträgen des Bundesamts für Landwirtschaft.
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Die «7 Mythen der Fleischindustrie» nach Greenpeace
Für den Bericht «Aufgedeckt» hat Greenpeace Werbespots von 51 europäischen Fleischmarken von Semiotik-Experten analysieren lassen. Die Semiotik ist eine Sozialwissenschaft, die sich mit Bedeutungen sowie deren gesellschaftlichen und kulturellen Entstehung befasst. Im Bericht werden alle sieben identifizierten Mythen anhand von Beispielen erklärt:
«Fleisch ist grün»: Farbe allein kann Botschafter genug sein
Greenpeace stellt zwar die nachhaltigere Produktion gewisser Labels nicht in Frage, in der Werbung werde die Farbe Grün aber schnell überinterpretiert. Die am einfachsten umzusetzende PR-Lösung sei eine angepasste Verpackung: Recyceltes Material mache den Inhalt nicht umweltfreundlicher, die ganze Aufmachung erwecke aber den Anschein von «besserem Fleisch». Dank von der Fleischbranche selbst geschaffener Begriffe bleibt laut Greenpeace kein «schlechtes» Fleisch mehr übrig. Manche Konzerne wie Danish Crown würden sich so sehr auf die Kommunikation von Nachhaltigkeit konzentrieren, dass sie eher wie eine Umwelt-NGO auftreten.
«Fleisch ist gut für dich»: Von der Angst eines Eiweissmangels
Der Trend, bei Lebensmitteln eher anzugeben, was nicht drin ist (z. B. Konservierungsstoffe, Gluten oder viel Fett) macht gemäss Greenpeace auch vor Fleischpackungen nicht Halt. Hingegen werde gerne ein hoher Eiweissgehalt betont – obwohl im Westen eher zu viel als zu wenig dieses Nährstoffs aufgenommen werde. Junge, kräftige Männer oder Gemüse als Dekoration verstärken den Eindruck eines gesunden Lebensmittels. In Polen und Deutschland gibt es Linien mit Mini-Würstchen, die speziell für Kinder im Wachstum sein sollen, um sie mit genügend Eiweiss zu versorgen. Hier kommen auch Strategien wie verspielte Illustrationen, Puzzles oder Ähnliches auf der Verpackung und eine Platzierung im Laden in Sichtweite der Kinder hinzu.
«Echte Männer essen Fleisch»: Starke Mannsbilder
Männliche Geschlechtsstereotypen bemüht man gerne, um Fleisch attraktiv zu machen. Greenpeace gibt Beispiele aus Deutschland, Polen und Dänemark, wo die Produkte mit den Farben schwarz/grau und rot/orange sowie Motiven von starken und muskulösen Männern vermarktet werden. Nostalgie und Einfachheit, aber auch Anerkennung und Gemeinschaftsgefühl gehören zu den Versprechen – und auch eine gewisse Rebellion gegen die Haltung, der Fleischkonsum sei zu reduzieren.
«Der Mythos der guten Hausfrau»: Fleisch für die Familie
Was Frauen angeht, macht Greenpeace ein veraltetes Rollenbild in der Welt der Fleischwerbung aus: Sie würden als Versorgerinnen bzw. Hausfrauen dargestellt, die ihre Familien mit Fleisch bekochen. Und während «echte Männer» rotes Fleisch essen sollen, sollten «gute Frauen» weisses bevorzugen, suggerieren polnische Werbespots. In Frankreich werde sogar mit einem tanzenden Embryo im Mutterleib geworben, der von der «Urkraft» des Fleisches profitieren könne. Generell dominieren bei diesem Mythos helle Farben und eine luftig-leichte Atmosphäre, schreibt Greenpeace.
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«Fleisch ist Heimatliebe»: Der Nation zuliebe konsumieren
Auf praktisch allen untersuchten Absatzmärken sei der Mythos Heimatliebe sehr präsent. Fleisch werde als Zeichen von Freiheit und Tradition politisiert, mit prominenten Wappen auf der Packung wird der Kauf als patriotischer Akt dargestellt. Landestypische Landschaften, vorbildliche Einheimische und nationale Ikonen wirken für das Motiv unterstützend.
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«Fleisch schafft Gemeinschaft»: Vor allem zu Feiertagen aktuell
In allen untersuchten europäischen Ländern stehe Fleisch an Feiertagen wie etwa Weihnachten im Mittelpunkt, stellt Greenpeace fest. Basierend auf der Idee, dass der Mensch an der Spitze der Nahrungskette stehe, spielt Fleisch die Rolle des Einenden: Das haben alle Menschen gemeinsam. Motive wie das Zusammenkommen am Familientisch (Dänemark) oder ein gemeinsamer Ausflug (McDonald’s Schweiz) betonen die Beziehungsebene des Fleischkonsums.
«Fleisch macht frei»: Wahlfreiheit auskosten
Von der Fleisch-, hin zur Lifestyle-Marke bewege sich z. B. McDonald’s: Fleisch wird nur selten dargestellt, dafür steht das Erlebnis im Vordergrund, analysiert Greenpeace. Unter dem Motto «alles ist möglich, nichts muss» komme die Werbung unbeschwert daher und zeige gezielt auch mal unschöne Tischmanieren. Ausserdem werde die Möglichkeit zur Identifizierung geboten: Mit dem Besuch bei McDonald’s zeigt man sich weltoffen und tolerant, wird eine dänische Werbung interpretiert.
Unser Gehirn sei im Alltag einem grossen Mass an kognitiver Manipulation ausgesetzt, schlussfolgert Greenpeace. Weder Politik noch die Kreativbranche oder der Einzelhandel dürften die Glorifizierung von Fleisch und die Verbreitung manipulativer Mythen weiter zulassen, so der Appell der Umweltorganisation.