Am Anfang stand eine Liste. Auf der hielt Familie Ganter fest, was ein neuer Wohnort braucht, damit sich dort alle wohlfühlen. «So sind wir im Berner Oberland gelandet», erzählt Katrin Ganter. Denn ein Punkt war für sie und ihren Mann besonders wichtig: Praktisch von der Haustür aus wollten sie Skifahren und Gleitschirmfliegen.
Katrin und Andi Ganter lebten damals, vor 15 Jahren, mit Sohn Solomon im Schwarzwald, wo sie auch aufgewachsen sind. Fürs Gleitschirmfliegen mussten sie anderthalb Stunden weit fahren. Zudem darf in Deutschland nur an amtlich zugelassenen Plätzen gestartet und gelandet werden. Die begeisterten Paraglider suchten daher Alternativ-Wohnorte.
100 Prozent bei der Sache
Das Berner Oberland hatte die Familie allerdings nicht auf dem Radar. Zur Debatte stand eher Neuseeland, weil es dort Meer und Berge gibt. Meer hat die Schweiz nicht zu bieten.
Dafür lockte das kleine Spital in Zweisimmen die ausgebildete Hebamme mit einer Stelle – und Berge zum Abheben gab es rundum in allen Varianten. «Wir sind früher viel gereist. Doch hier haben wir nun Wurzeln geschlagen», sagt Katrin Ganter.
Die Freude am Gleitschirmfliegen ist geblieben. Im Alltag sei man oft mit den Gedanken ganz woanders», versucht die 44-Jährige ihre Begeisterung zu erklären.
«Beim Fliegen ist man 100 Prozent bei der Sache, denkt nur an den Augenblick. Dieses Erlebnis ist so schön, dass man es wiederholen möchte.» Dazu komme der immer wieder faszinierende Blick aus der Vogelperspektive auf die Natur.
Etwas, das schnell funktioniert
Seit dem Jahr 2008 arbeitet Katrin Ganter als selbstständige «Berghebamme» in St. Stephan. Sie betreut keine Geburten mehr, kümmert sich aber um die Nachsorge der frischgebackenen Mütter. Daneben hat sie sich ein zweites Standbein aufgebaut, die «Berghypnose.»
Es war der Schweizer Ballonfahrer und Psychiater Bertrand Piccard, der ihr Interesse an Hypnose geweckt hatte. «Nach Nachteinsätzen als Hebamme hatte ich oft Mühe, tagsüber Schlaf nachzuholen.
Piccard hatte sich mit Hilfe von Hypnose selbst beigebracht, sogar in grosser Höhe im Ballon zu schlafen. Ich wollte auch überall und jederzeit schlafen können.» Nach der erfolgreichen Selbsterfahrung entschied sich für eine umfassende Ausbildungam Zentrum für angewandte Hypnose in Mainz.
Ideen und Kinder gebären
«Berghebamme» und «Berghypnose» passen für Katrin Ganter gut zusammen «Als Hebamme steht man ganz im Dienst der Gebärenden, hilft Kinder auf die Welt zu bringen. Heute kümmere ich mich auch um die Geburt von Ideen.»
An der Hypnose habe sie fasziniert, dass mit ihrer Hilfe sehr effizient etwas verändert werden könne. «Das kenne ich wiederum aus der Hebammenarbeit. Da braucht man auch etwas, das schnell und einfach funktioniert.»
Ihr grösstes Hobby, das Gleitschirmfliegen, hat ebenfalls Einzug in Katrin Ganters Berufsalltag genommen: Sie arbeitet als Tandem-Pilotin, fliegt mit Passagieren über die Postkartenlandschaft des Simmentals.
Wenig Pilotinnen
Pilotinnen sind in der Gleitschirm-Flugszene deutlich in der Minderheit, machen gerade mal zehn Prozent aller Paraglider aus. Zudem hören viele der Frauen nach dem Brevet wieder mit dem Fliegen auf. Ein Grund dafür könnte sein, dass es an weiblichen Vorbilder mangle, vermutet Katrin Ganter.
Die Männer würden an den Start- und Landeplätzen gerne ein bisschen plagieren. Fliegerlatein statt Jägerlatein. «Frauen nehmen das eher ernst, solang sie es nicht durch die eigene Erfahrung besser wissen. Doch weil so viele wieder aufhören, kommen sie gar nie dazu, selbst zu entscheiden, was stimmt und was nicht.»
Ein Frauen-Gleitschirm-Fest
Damit sich Pilotinnen gegenseitig unterstützen können, organisiert Katrin Ganter im September das erste Frauen-Gleitschirm-Fest. «Sind ein paar Frauen zusammen, beginnen sie, sich aneinander zu orientieren, statt an den Männern.»
Tandem-Pilotinnen sind noch seltener in der Szene. Gefragt sind sie aber. Gerade für Touristinnen aus dem arabischen Raum kommt bei Tandemflügen oft nur ein weiblicher Gleitschirm-Pilot in Frage.
Nur an einigen dünnen Seilen hängend am Himmel herumkurven: Viele Laien halten Paragliding für hochriskant. Die Suva sieht das anders, Gleitschirmfliegen zählt nicht zu den Risikosportarten. Allerdings erfordert der Sport sehr viel Eigenverantwortung.
«Wenn ich die tragen kann, kann ich das Risiko handhaben.» Risiko und Können müssen zusammenspielen. Die Frage sei zudem: Was will man mit dem Risiko erleben, was erreichen? Für die richtige Antwort muss man sich mit sich selber auseinandersetzen.
Ängste in der Luft
Katrin Ganter arbeitet regelmässig als Mentalcoach und Mentaltrainerin für Paraglider und führt Weiterbildungs-Workshops durch. «Fliegen wirkt wie ein Vergrösserungsglas», erklärt sie. «Dabei werden die eigenen Stärken und Schwächen besonders deutlich.»
Es zeigt zum Beispiel, wann man sich gestresst fühlt. Wann man sich gut fühlt. Wann man glaubt, ans Limit zu kommen. Wann man sich überfordert fühlt, alle Entscheidungen allein zu treffen. Oder ob man in der Lage ist, ein Ding nach dem anderen zu machen.
«Nicht beim Hochfahren schon ans Landen denken, das lernt man beim Fliegen. Es ist auch eine Konzentrationsschulung.»
Das Piloten-Brevet ist keine Garantie dafür, dass man sich nicht plötzlich beim Fliegen unwohl fühlen kann. Sich fragt, ob die Karabiner halten. Oder Höhenangst bekommt. Katrin Ganter arbeitet in solchen Fällen bei Bedarf auch mit Hypnose, weil dies ein schneller Weg sei.
Kein Kontrollverlust
Mit völligem Kontrollverlost, wie es manchmal in Filmen gezeigt wird, hat moderne Hypnose nichts zu tun. Im Gegenteil: Bei der «selbstorganisatorischen Hypnose» begibt sich der Klient bewusst in eine leichte Trance, um mit seinem Unterbewusstsein in Kontakt zu treten.
Das geschieht im Gespräch mit dem Therapeuten, über Fragen und Antworten. Dabei lässt man sich auf die oft sehr bildhafte Sprache des Unterbewussten ein. Diese Bilder folgen nicht der Logik unseres Wachverstandes. «Man versteht nicht immer, wie es funktioniert, aber es funktioniert.»
Hilfreich kann Hypnose unter anderem sein, wenn man mit zielgerichteten Kopfdenken nicht weiter kommt, sich die Gedanken immer wieder im Kreis drehen. Wird das Unterbewusste miteinbezogen, zeigt sich ein Weg aus dem Kreisdenken hinaus.
Prozesse verstehen und begleiten
Ähnliche Trance-Zustände wie in der Hypnose kennt jeder aus dem Alltag: Immer dann, wenn der wache Verstand in Tagträume abdriftet. Laut Katrin Ganter kann man daher Tagträume auch bewusst für die Lösung eines Problems nutzen, ähnlich wie bei einer Gedankenreise.
Zum Beispiel, in dem man entspannt aus dem Fenster blickt, dem Regen zuschaut und sich bewusst vornimmt «ich suche einen Weg zur Lösung». «Wenn ich im Innern etwas bewege, hat das einen Effekt im Aussen.»
Der rote Faden
Hebamme. Gleitschirm-Tandempilotin. Hypnose-Therapeutin. Für Katrin Ganter sind die drei Berufsfelder keineswegs gegensätzlich. Auf die Frage nach dem roten Faden antwortet sie: «Vorher war nichts da, jetzt ist etwas da: Schwanger. Baby. Idee. Tat. Mich interessiert das, was dahinter steckt. Ich will den Entwicklungsprozess verstehen. Dafür habe ich ein Talent.»
Dem Gleitschirmfliegen will sie kommenden Sommer noch mehr Platz einräumen: Zusammen mit ihrem Mann wird sie eigenständig Tandem-Flüge in der Region anbieten.
Es gibt aber auch Tage, an denen Katrin Ganter mit den Füssen am Boden bleibt, sei das Wetter noch so gut. Etwa, wenn sie viel unterwegs war. «Dann tut es mir manchmal besser, erst mal in Ruhe die Wäsche zu waschen oder im Gemüsegarten zu werkeln.»
Weitere Informationen: