Für einen Gastrobetrieb oder einen Unverpackt-Laden ist es mit grösserem Aufwand verbunden, Produkte aus der Region und direkt vom Produzenten zu beziehen. Anders als bei der Bestellung via Händler ist kein Katalog mit der verfügbaren Ware einzusehen und einzelne Produkte müssen von verschiedenen Betrieben einzeln bestellt und der Transport organisiert werden. Landwirt(innen) gehen so potenziell wertvolle Abnehmer verloren und die Margen des Zwischenhandels schmälern die bäuerliche Wertschöpfung. Mit «Koopernikus» soll sich das ändern.
Abhängigkeiten aufbrechen
Der historische Kopernikus war Astronom und brachte eine Revolution des mittelalterlichen Weltbildes ins Rollen, indem er die Sonne anstelle der Erde ins Zentrum des Sonnensystems setzte. Der Horizont von Koopernikus ist sinnvollerweise um einiges enger: Es dreht sich alles um regionale Strukturen und – wie der Name es vermuten lässt – um Kooperation. Die Genossenschaft soll Akteure aus der gesamten Wertschöpfungskette vernetzen und die Abhängigkeit von Grossverteilen brechen. Das zentrale Werkzeug zur Vernetzung ist die digitale Marktplattform «Lightwave».
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Lightwave gehört den beteiligten Betrieben
«Wir wollen auf Bestehendem aufbauen», erklärt Johannes Kübel an einer Online-Inforveranstaltung. Er hat «Lightwave» ins Leben gerufen und ist mit seinem Team als IT-Dienstleister bei Koopernikus an vorderster Front dabei. «In Zusammenarbeit mit dem Gut Rheinau und dem Logistiker Pico organisieren wir via die Plattform Bestellungen sowie Transporte und bündeln sie», fährt Kübel fort. Im Gegensatz zu Online-Hofläden mit Lieferservice wie Farmy oder Magic Tomato gehört Lightwave den Akteur(innen) als Genossenschaft selbst, was ihnen die Möglichkeit gibt, mitzuentscheiden, mitzugestalten und die Plattform zu kontrollieren. Ausserdem richtet sich Lightwave nicht in erster Linie an private Einzelpersonen, sondern Verarbeiter wie z. B. Mühlen oder regionale Lebensmittelgeschäfte und Restaurants. So besteht das Potenzial für grössere Absatzmengen und eine stabile Zusammenarbeit zu fairen Bedingungen.
Weniger Food Waste und bessere Kundenbindung
Noch befindet sich das System im Aufbau, es läuft die Testphase mit dem Gut Rheinau. «Wir ernten möglichst nur, was wir auch verkaufen», sagt David Jacobsen, der für Vermarktung und Verkauf des Guts zuständig ist in einem Kampagnen-Video von Koopernikus. Das bringt der Kundschaft maximale Frische auf den Teller und vermeidet ausserdem Food Waste.
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Für die Produzenten hat diese neue Art der Vernetzung ausserdem den Vorteil von persönlichen Kontakten, sei es zu Abnehmerbetrieben oder zur Endkundschaft. «Im Gegensatz dazu, wenn wir in den Supermarkt liefern, ist das nicht völlig anonym», hält Beatrice Peter vom Grüthof in Wildensbuch ZH im Video fest. So könne man die Geschichten hinter den Produkten besser vermitteln, was letztlich zur Differenzierung und Kundenbindung beiträgt.
Es braucht Geld für den Aufbau
«Lightwave» ist das erste Projekt von Koopernikus. «Für die Erweiterung der Plattform und die gebündelte Bestellung von diversen Betrieben braucht es eine neue Software», so Johannes Kübel. Am Ende wird das für die beteiligten Betriebe – Lieferanten wie auch Abnehmer – einfacher und kosteneffizienter, für die IT-Arbeit braucht es aber entsprechende finanzielle Mittel. Über Genossenschaftsanteile, Spenden, Darlehen oder eine begrenzte Anzahl Aufbau-Nutzungsmitgliedschaften (für Lebensmittelbetriebe) wird Geld gesammelt. «Betriebe und Einzelpersonen können aktiv Verantwortung für die eigene Region übernehmen», so die Idee von Koopernikus. Man orientiert sich dafür an der «Regionalwert AG», einem in Deutschland erfolgreichen Modell:
Bürger(innen) finanzieren regionale Strukturen
Die Regionalwert AG im deutschen Freiburg vergibt regelmässig sogenannte «Bürgeraktien». Für 625 Euro gibt es eine Aktie, das Geld ist für Private oder Organisationen eine Investition in die gesamtwirtschaftliche Rendite. Konkret fördert man damit ein regionales Netzwerk mit Landwirtschaftsbetrieben, Verarbeitern und Restaurants. Bürger(innen) sollen mitgestalten können und sind dafür zu Versammlungen eingeladen. Heute gehören zur Regionalwert AG über 200 Partnerbetriebe und über 5000 Aktionär(innen).
Im Gegensatz zum deutschen Vorbild ist Koopernikus als Genossenschaft organisiert und setzt für eine Zusammenarbeit nicht explizit den biologischen Anbau voraus – auch wenn man sicher damit anfangen wolle.
Transparenz statt Bio als Voraussetzung
Zurzeit ist Koopernikus in der Region Zürich aktiv. 2024 sollen weitere Regionen dazukommen. Bedingung für die Beteiligung von Betrieben an der Plattform ist die transparente Darstellung von eigenen Nachhaltigkeits-Leistungen. «Wir müssen wegkommen von der Frage nach Bio oder nicht und stattdessen mit Transparenz bewusste Kaufentscheide ermöglichen», erklärt Johannes Kübel die Philosophie. Er ist überzeugt, dass damit mehr zu erreichen ist und Koopernikus so auch ausserhalb der «Bio-Bubble» Fuss fassen kann.
Vielleicht gelingt der Genossenschaft einmal etwas ähnlich Revolutionäres, wie ihrem historischen Namensvetter.