Amina Lamprecht sitzt hinter dem Lenker ihrer «Ape»,  steckt den Schlüssel ein, dreht ihn – und es passiert genau gar nichts.

«Typisch Italiener!» lacht sie über den Dreiräder des toskanischen Herstellers Piaggio. Sie dreht den Schlüssel geduldig noch einmal und noch einmal. Es zündet!

Dreirad-Biene

Das italienische Wort «Ape» bedeutet Biene. Doch nun beginnt das Gefährt wie eine grosse Nähmaschine zu rattern: Taktaktaktaktak.

Vom Volumen her tönt es mehr nach Ramazzotti als nach Pavarotti, aber es ist ja auch nur ein Kasten auf drei Rädern mit Töfflimotor, Kippschaltern, Hebeln, und Bremspedal. Der Tacho zeigt nur bis 80 km/h. 

Amina Lamprecht schaltet in den ersten Gang, es ruckelt, die Ape setzt sich bienenfleissig in Bewegung. Zweiter Gang, dritter, vierter – sie nimmt vom Hof in Eglisau Fahrt auf.

Mobile Bar

Die flache Landschaft durchs Rafzerfeld, in der die Obsthalle der Lamprechts und die startenden und landenden Flugzeuge im nahen Kloten ins Auge stechen, zieht in Zeitlupe vorbei. 

Bei den Obstplantagen offenbart der Klassiker, der seit 1948 produziert wird, seine innere Schönheit. Amina Lamprecht klappt die Seitenwand mit dem Logo nach oben, hängt eine Tischplatte ein, öffnet Schubladen, stellt Gläser und Weinflaschen auf, zaubert mit wenigen Handgriffen eine Bar aus dem ausgeklügelten Innenleben ihrer Ape.

Dolce far niente inmitten der eben erwachten Kirschblütenwelt, mietbar für alle, die sich eine Oase zum Anstossen gönnen wollen, egal ob am Fluss, am Waldrand oder bei einem Schloss.  

Eine Idee nimmt Fahrt auf

«In einem sehr guten Weinjahr, als viele Flaschen im Keller lagerten, überlegten mein Mann und ich uns neue Vermarktungskanäle», erzählt Amina Lamprecht später in der urigen Küche des Bauernhofs, der einen Steinwurf entfernt liegt.

Im Internet,der Ideenbörse des digitalen Zeitalters, wurden sie fündig. Der «Aperovino» war geboren. 

«Mami, Mami, dä Ballon flügt in Strom!», ruft Sohn Ben erschrocken durch die Küche. «Da isch nöt schlimm, gang zur Gromi», beruhigt Amina Lamprecht den Kindergärtler, der nun Grossmutter Christine sucht. Alltag in einer Bauernfamilie mit drei Generationen. 

Vom Zirkus auf den Bauernhof

Dem jüngeren Paar gehört der Hof seit einem Jahr. Amina Lamprecht schloss 2016 an der Bäuerinnen-schule Strickhof ab, widmete ihre Diplomarbeit «Wein auf drei Rädern – Ausbau der Direktvermarktung» der Ape.

Als Kind wollte sie etwas mit Tieren machen, wie Vater Ali Oulouda, der 45 Jahre beim Zirkus Knie als Pferdepfleger arbeitete: «Ich sollte aber nicht in seine Fussstapfen treten. Aus mir, so sagte er, sollte einmal eine Tierärztin werden.» 

Doch die Schule machte ihr einen Strich durch die Rechnung: «Also entschied ich mich für Mutters Schiene, dem Gastgewerbe, in der Hoffnung, viel reisen zu können.»

Mutter Annemarie Oulouda führte Restaurants in Schwyz und in Altendorf, bot als weltoffene Köchin regelmässig marokkanische Gerichte aus der Heimat ihres Mannes an. Die Lust, fremde Länder zu entdecken, kam durch die Reisen der Familie nach Marokko, Ägypten, Kenia und Namibia. 

Arbeiten und reisen, ihr Leben 

Diese Reiselust war es auch, die sie ihre Lehre durchhalten liess. Sie arbeitete als Gastronomiefachassistentin im Viersternehaus Waldhaus, dem kleinen Bruder des noblen Dolder am Zürichberg.

Mit den «Mehrbesseren vom Zürichberg» durfte sie, die kleine Angestellte, nicht sprechen. Das durften nur die Gouvernanten: «Ich war der Gang-Go.» Dafür bereiste sie Barcelona und Miami, fühlte sich «wie der King vom Häfeli.» Was sie nicht realisierte, war: «Dass im Service nur der Anfangslohn hoch ist.»

Knochenharter Job auf dem Schiff

Sie hielt durch, heuerte auf der MS Astoria an. Als Bar- und Winekeeperin schenkte sie 24/7 bis in die Früh am Morgen aus, bei 500 Passagieren blieb manch einer am Glas hängen.

Ein knochenharter Job ohne Schlaf: «Den ich am liebsten hingeschmissen hätte.» Dafür sah sie das Mittelmeer, die Nord- und Ostsee. Und lernte ihren ersten Freund kennen.

Zusammen ging es ins Davoser Steigenberger. Als Chef de Rang löschte es Amina Lamprecht ab: «Jetzt war ich es, die am Gast war und mein Commis durfte nicht mit ihm sprechen.»

Doch das Gefühl, nur der Gang-Go zu sein, blieb. Sie wollte weg, kündigte, lernte Französisch auf Guadeloupe. Zurück in der Schweiz, folgte aufgrund mangelnder Alternativen wieder ein Fünfsternehotel, das Kempinski in Vevey. 

Praktikum im 7-Sterne-Hotel

Eine Veränderung musste her, sie begann die Hotelfachschule in Luzern, doch die Mehrbesseren, die wurde sie nicht los. Im dritten Praktikum durfte sie ins Emirates Palace in Abu Dhabi, damals das erste Siebensternehaus der Welt: «Kaffee mit Goldstaub, alles mit Gigi, Riesenzimmer, mehr geht nicht.» Zumindest vorneherum. 

Hintenrum sah es so aus, dass die Mitarbeiter, Pakistani und Inder, oft gar nichts taten. «No, madame, its too hot today», «Nein Madam, es ist  zu heiss heute», habe sie oft gehört. Bei 50 Grad arbeiten – wer könnte es ihnen verdenken?

Essen hinterm Vorhang

Eines Tages besuchte Amina Lamprecht ein Restaurant, wurde unfreundlich an einen Tisch gesetzt. «Es machte Tuf-Tuf-Tuf-Tuf», sie zeichnet mit dem Finger ein Viereck in die Luft, «und ich war von einem Vorhang umhüllt.»

Weil das Chicken Masala ihr gut geschmeckt hatte, ging sie wieder hin. «Der Chef schaute mich böse an, ich fragte, was das Problem sei?» In dieser muslimischen Welt war es ihr Frausein. Sie handelte aus, das feine Essen jeweils mitzunehmen: «So waren beide zufrieden.»

Das Leben als Bäuerin beginnt

Wieder zurück, jetzt Hotelière und solo, jobbte sie, bis sie eine Stelle halb im Büro, halb im Service der «Giesserei» in Oerlikon antrat. Hier arbeitet sie auch heute noch Teilzeit, hat sich zur Personalfachfrau weitergebildet.

Im Ausgang lernte sie ihren Christoph kennen. Er hatte in Zürich ein Vorstandsessen mit dem Turnverein Eglisau, es funkte sofort. Vor neun Jahren war das. Sie heirateten, bekamen zwei Kinder, Ben und Leo, entschieden sich für ein bäuerliches Leben.

Beim Hinausgehen aus der Küche, überrascht Amina Lamprecht in der alten Scheune mit Fachwerkmauern mit einer neuen Idee: «Hier soll eine gemütliche Weinlounge entstehen.»

Dabei haben die Lamprechts mit der Produktion von Obst, Wein, Spargeln, Erdbeeren, Kirschen, Zwetschgen, Fleischprodukten sowie Christbäumen eigentlich genug Arbeit. Doch die umtriebige Bäuerin meint gelassen: «Wir lieben halt die Abwechslung». Die Ape, das war nur der Anfang.

Weitere Informationen:

www.lamprecht-obstbau.ch