Sie spriessen aus Ecken und Nischen. Sie bevölkern wilde Wegränder und drängen sich immer wieder in Garten und Siedlungsraum, als ob sie die Nähe des Menschen suchen würden, obwohl der sie nicht gerade zimperlich behandelt. Kaum jemand, der die Brennnessel und ihre Widerhaken nicht kennt: Dieses zähe Kraut, das mit Vorliebe gedeiht, wo Dung, Ausscheidungen und Abfälle hinterlassen wurden, etwa direkt neben dem «Güllenloch».

Brennnesseln können mit einem Zuviel an Harnsäure und Siff umgehen. Sie wachsen dort, wo der Boden nicht mehr bearbeitet wurde, auf Schuttplätzen, bei Kahlschlägen und zerfallenden Schuppen, zwischen verrosteter Giesskanne und morschen Brettern. Ihre besondere Fähigkeit ist es, an solchen «Unorten» harmonisierend und heilend auf die Bodenprozesse einzuwirken.

In kürzester Zeit bilden junge Brennnesseln ein flaches, weit verzweigtes Wurzelwerk, erschliessen die Erde für neue Humusbildung. Schon in ihren ersten Jahren kann eine Brennnessel mehr als einen Quadratmeter Boden durchwuchern – sofern man sie gewähren lässt.

Mantel aus Brennhaaren

Die Blätter der Brennessel sind umhüllt von einem Mantel aus glasartig spröden Brennhaaren, die bereits bei der kleinsten Berührung abbrechen, und wie kleine Injektions­nadeln in der Haut stecken bleiben. So werden den potenziellen Angreifern schlangen- und bienengiftartige Toxalbumine sowie Histamine und Ameisensäure unter die Haut gespritzt.

Kein Wunder, ist sie als Unkraut verrufen. So werden Brennnesseln oft rigoros aus Gärten und Siedlungsraum verbannt. Leider völlig zu Unrecht, denn diese zähe Pflanze ist ein wahres Kraftbündel mit einem erstaunlichen Potenzial und sollte in keinem Garten fehlen.

So können die Flavonoide der Brennnesseln zum Beispiel unseren Organismus dabei unterstützen, Eisen mit der Nahrung besser aufzunehmen. Um den besten Effekt zu erzielen, trinkt man den Frischsaft, der von Frühling bis Herbst aus den frisch gesammelten Blättern gewonnen werden kann. Brennnesselextrakt wirkt auch positiv auf Gelenke und Beweglichkeit, unterstützt bei chronischen Arthroseschmerzen, Hautproblemen und zahlreichen anderen Beschwerden.

Im Garten bereichern die abgestorbenen Brennnesseln den Boden mit ihrem hohen Gehalt an Mineralien. So wird ein Übermass an Stickstoff in der Erde umgewandelt: Pflanzt man Brennnesseln unter Obstbäume, tragen diese mehr Früchte. Als Nachbarn neben aromatischen Kräutern verstärken sie deren Duft und Aroma.

Wohlbekannt ist auch die – zugegeben etwas stinkende– Brennnessel-Jauche, die als Pflanzendünger und Pflanzenschutz prächtige Arbeit leistet. Sie stärkt die Abwehr der Pflanzen auf natürliche Weise, was allen Gartenorganismen zugutekommt.

Auch für unzählige Tiere ist die Brennnessel von hohem Wert. Nicht nur viele Käferarten und andere Kleintiere leben auf der Brennnessel, sondern auch rund fünfzig zum Teil gefährdete Schmetterlingsarten brauchen den grünen Kraftstrotz für ihre Eiablage und als Raupenfutterpflanze.

Der Liebling vieler Raupen

Einige der Arten sind sogar ausschliesslich auf Brennnesseln angewiesen, so etwa Admiral, Kleiner Fuchs, Tagpfauenauge, C-Falter und Landkärtchen. Dabei spielen Standort, Menge und Qualität eine wichtige Rolle, jede Art hat ihre besondere Brennnessel-Vorliebe entwickelt.

So bevorzugt der Kleine Fuchs etwa Brennnesseln in sonniger Lage. Tagpfauenaugen suchen eher halbschattige, windgeschützte Bestände auf. Der Admiral liebt vereinzelt wachsende, eher mickrige Brennnesseln und das Landkärtchen hält sich an grosse Brennnesselbestände, die im feuchten Schatten von Bäumen in der Nähe von Gewässern wachsen. Grundsätzlich werden von den Faltern windgeschützte Standorte bevorzugt.

Die meisten an Brennnesseln fressenden Schmetterlinge bilden mehrere Generationen pro Jahr aus. Um auch der zweiten Raupengeneration Futter zu bieten, kann man die Pflanzen Ende Mai bodeneben abmähen und nochmals aufwachsen lassen. Im Winter dürfen die Bestände stehen bleiben, die trockenen Stängel dienen verpuppten Raupen, Wildbienen und anderen Kleinlebewesen als Überwinterungsort.

In Nesseln gekleidet

Nesseln können noch mehr: Mit den Wurzeln und Blättern der Nessel kann man Wolle und Stoffe färben, und die zähen Fasern der Stängel können zu Stoffen verarbeitet werden. Zur Gewinnung von Chlorophyll wird bis heute hauptsächlich die Brennnessel verwendet.

Im alten Europa waren die Stängel Basismaterial für alles aus ­Faden und Stoff: Segeltücher, Taue, Seile und Kleider der Wikinger wurden aus Brennnesselfasern hergestellt, längst vor der Nutzung von Hanffasern. Im Ersten Weltkrieg hat man sich wieder darauf besonnen. 1916 wurden 2500 Tonnen Brennnesselstoff nach altem Wissen mit neuer industrieller Technik hergestellt.

Weitere Informationen zum Thema Schmetterlingsgarten:

 

Brennnessel helfen im Alltag

Fürs Wohlbefinden 

Für eine Frühlings- und/oder Herbstkur täglich vor dem Frühstück eine Tasse frischen Brennnessel-Tee trinken, im Laufe des Tages noch zwei weitere Tassen. Frische Blätter mit Wasser übergiessen, ziehen lassen, bis sich der Tee grün färbt.

In der Küche

  • Brennnessel-Salz: Getrocknete Brennnesseln zerkleinern und mit Meersalz mischen. 
  • Brennessel-Spinat: Grosszügige Mengen an Jungpflanzen (Frühling) oder Triebspitzen (Sommer) sammeln, die Blätter von den Stängeln zupfen und waschen. Beim Kochen verlieren die Nesseln ihre brennenden Eigenschaften. 
  • Brennnessel-Salat: Junge Blätter mit kochendem Wasser überbrühen, abseihen, klein schneiden und abkühlen lassen. Mit Sauce mischen.

Im Garten

Brennnessel-Jauche: Grossen Behälter (kein Metall verwenden) mit frischen Brennnesselpflanzen füllen. Regenwasser darübergiessen und das Ganze gären lassen. Ab und zu eine Handvoll Steinmehl beifügen, um den intensiven Geruch zu vermindern. Nach zwei bis drei Wochen wird die Jauche je nach Bedarf abgeseiht und 1:10 verdünnt. 

Mit der verdünnten Jauche begiesst man Gemüse- und Balkonpflanzen. Ein hervorragendes Mittel zur Pflanzenstärkung, Düngung und Schutz vor Schädlingen.

Über den Kompost gegossen, regt die Brennnessel-Jauche die Umsetzungsvorgänge an.