Rinder sind an sich friedliche, gutmütige Zeitgenossen, die Gefahren in der Regel meiden, ja davor fliehen. Wenn Weidetiere Menschen angreifen, fühlen sie sich meist bedroht und fürchten um ihr eigenes Leben oder um das Leben ihrer Kälber. Dieser Instinkt und das daraus resultierende Verhalten kann tierindividuell sehr verschieden sein, auch die Rasse spielt dabei eine gewisse Rolle.
Deutlicher Mutterinstinkt
So zeigte Christian Manser, Berater Fachstelle Rindvieh am LZSG in Flawil SG auf, wie stressfreier Umgang mit Rindvieh in Alltagssituationen aussehen soll. So sei bei Mutterkuhrassen der Mutterinstinkt deutlich stärker ausgeprägt als bei Milchrassen. Mutterkühen soll man sich auf der Weide nur langsam annähern.
«Kühe brauchen Zeit um die Situation einzuschätzen», sagt Manser. Heftige Reaktionen mögen sie ganz und gar nicht. Dabei seien die Kälber einer Mutterkuhherde auch oft in Gruppen, sozusagen in einem Kindergarten, zusammen, um diese vor möglichen Attacken besser zu schützen.
Den Charakter einer ausgewachsenen Kuh könne man aber vor allem in ihren ersten drei Lebenswochen beeinflussen. «Wenn man das Neugeborene in dieser Zeit mit vielen Streicheleinheiten verwöhnt und mit ihm spricht, wirkt sich das später positiv auf ihr Verhalten aus», weiss Manser.
Nicht hinter dem Tier stehen
Spätestens beim ersten Abkalben und beim ersten Ansetzen der Melkmaschine kommt der wahre Charakter zum Vorschein. Und hier lässt sich mit kleinen Tricks viel Stress vermeiden. So können es Kühe überhaupt nicht leiden, wenn man direkt hinter ihnen steht. «Ist die Position des Melkers neben der Kuh, wirkt sie viel entspannter», hält Manser fest.
Überhaupt nehmen Rinder die Umgebung anders wahr als der Mensch. Augen, Nase aber auch die Ohren sind dabei die wichtigsten Hilfsmittel. Rinder hören vor allem hohe Töne sehr gut, die Frequenzauflösung und das Richtungshören sind allerdings schlechter ausgeprägt als beim Menschen. Der Geruchssinn ist gut ausgebildet und dient vor allem der Nahkommunikation. Für die Wahrnehmung der näheren bis weiteren Umgebung ist vor allem der Gesichtssinn verantwortlich. Rinder sehen Farben, leuchtende und grelle Farben machen sie jedoch nervös.
Kleine Tricks
Auch Tiertransporte oder das Klauenschneiden wird mit einigen Anpassungen leichter gemacht. «Die Kuh ist ein Herdentier und diese verlässt sie nicht gern freiwillig», sagt Christian Manser. So sei es ratsam, denn Klauenstand in Richtung Stalleingang zu stellen und nicht umgekehrt. «Die Kühe gehen so viel lieber in den Stand hinein als in umgekehrter Position.»
Auch beim Ein- und Ausladen in einen Transporter ist das Zeitmanagement ein sehr wichtiger Faktor. «Lassen sie den Tieren dabei Zeit. Geräusche, eine neue Umgebung und gestresste Bauern mag das Rindvieh gar nicht. Und wenn dabei noch ein ungewohntes Halfter zum Zuge kommt, wird ein Verladen zur echten Herausforderung.»
Peter Fankhauser