Jede und jeder kennt Momente der Einsamkeit. Da wir als Menschen soziale Wesen sind und eigentlich gerne einer Gesellschaftsform zugehören, spüren wir jedoch eine Diskrepanz zwischen unseren Wünschen, Vorstellungen und der Realität. Fühlen wir uns ausgeschlossen, bemühen wir uns manchmal sogar um eine Aufnahme in Kreise, die wir vielleicht gar nicht ernsthaft möchten. So bekommt etwa bei einem Auslandaufenthalt eine Begegnung mit jemandem aus der Heimat einen anderen Stellenwert als zu Hause.
In der Landwirtschaft fühlen sich die Bäuerinnen und Bauern oft mit den an sie gestellten Forderungen alleingelassen. Ausserdem tragen sie die Verantwortung für ihr Tun auch noch ganz allein. Diese Form des Alleingelassenseins kennen wahrscheinlich auch andere Berufsgruppen. Jedoch stehen die in der Landwirtschaft tätigen Menschen momentan im Fokus der ganzen Gesellschaft.
Um die Partnerschaft und die Familie damit nicht überzubelasten, bieten ausserlandwirtschaftliche Tätigkeiten, Vereine und Treffen zu Kaffee und Kuchen eine Ablenkung. Solche Treffen und eine gemeinsame Tätigkeit bieten Begegnungen, neue Impulse und etwas Boden für den Alltag. Das Fokussieren auf eine Tätigkeit relativiert manchmal ein anhaltendes Ohnmachtsgefühl.
Eine ganz besondere Form der Einsamkeit erlebte Margrit Schenkel. Die Einsamkeit der Isolation. Im Oktober 2017 hatten bewaffnete Männer die damals 71-jährige Entwicklungshelferin im Sudan entführt. Im Sudan bekämpfen sich seit 2003 Rebellengruppen und Regierungstruppen. Dieser Bürgerkrieg tobt bis heute. Er hat Tausende Leben gekostet, Millionen Menschen hungern und laut UN-Flüchtlingshilfswerk wurden mehr als vier Millionen Menschen zur Flucht gezwungen.
Im Sudan engagiert
Margrit Schenkel hatte sich seit Mitte der 1970er-Jahre im Sudan engagiert. Die gelernte Pflegefachfrau leitete in Darfur eine Kinderstation, eine Hebammenschule und ein Ernährungszentrum. 2017 war sie nochmals in den Sudan gereist, um die Arbeit ihrer Nachfolgerin zu übergeben. Dann wollte sie sich in Bonstetten ZH zur Ruhe setzen. Erst nach über zwei Monaten Gefangenschaft konnte die Schweizerin befreit werden.
In den nachfolgenden Zeilen erzählt Margrit Schenkel selbst über Einsamkeit und ihre Gefangenschaft: «Einsam? Nein, das bin ich nicht. Ich habe, wenn auch in kleinem Rahmen, Familie, Bekannte, Freunde und Gemeinde. Ich bin angenommen, geliebt und umsorgt. Aber die bittere Einsamkeit kenne ich trotzdem sehr wohl.
Über 40 Jahre arbeitete ich in der arabisch-muslimischen Welt. Ich fühle mich berufen, für die Frauen und Kinder dort da zu sein. Mein Beruf als Pflegefachfrau ist dabei sehr hilfreich. Ich liebe diese Frauen und ihre fröhliche Art, ihre Sprache, die Umgebung und den Umgang, den sie innerhalb ihrer Familie pflegen. Von der einzigartigen Gastfreundschaft konnte ich viel lernen.
Gekidnappt und angekettet
Kurz bevor ich altershalber in die Schweiz zurückkehren sollte, wurde ich von einer der gefürchtetsten Milizen in ganz Afrika gekidnappt. Sie wollten mit meiner Entführung die Regierung unter Druck setzen, da ich sowohl bei der Regierung als auch bei der Bevölkerung bekannt und geschätzt war. Eines Abends wurde ich vor meinem Haus in ein Auto gezerrt, mit einem Tuch zugedeckt und in rasender Geschwindigkeit in die Wüste gefahren. Nach vielen Stunden wurde ich in eine Strohhütte geworfen, angekettet und angeschrien, dass ich schweigen und ja nicht versuchen solle zu fliehen. Ansonsten würden sie mich gleich erschiessen.
Die Angst vor dem Ungewissen, die Hitze am Tag und die Kälte in der Nacht machten die belastende Einsamkeit schier unerträglich. Ich hatte kein Buch oder eine Handarbeit und niemanden zum Reden, kein freundliches Lächeln, keine vertrauten Laute. Zum Essen gab es nur gekochte Teigwaren mit viel Zucker.
Jede Nacht hinausgezerrt
Weil ich angekettet war, waren Katzen, Igel und andere Kleintiere immer irgendwo um mich herum und bedienten sich vom Essen schon einmal vorab. In der Nacht wurde ich immer wieder hinausgezerrt. Ich wusste nie, ob es nun meine letzten Stunden waren, auch, wenn ich nie körperlich gequält worden bin. Immer wieder kam ich in neue Verstecke und sah jeweils nur Augen, die prüfend durch die Strohhalme der Hütte blickten. In dieser Zeit schien mir Gott in weite Ferne gerückt zu sein.
[IMG 2] In einem Bergkessel war ich im Frauenzelt eingesperrt. Hier durften die Soldaten nicht eintreten. In der Nacht kam eine Frau und brachte die Kinder zum Übernachten. Als alle schliefen, machte sie uns ein kleines Essen und wir sprachen ganz leise miteinander. Endlich ein lieber Mensch, der mich verstand!
Sie erzählte mir von ihren Sorgen. Sie hätte schon sieben Söhne geboren und keine Tochter. So müsse sie alle Arbeit allein verrichten. Und die Söhne hätten keine Ausbildung, nur Gewehre. Sie habe bei Stammesfehden schon zwei von ihnen verloren. Sie weinte bitterlich. Aus einer Entfernung von zwei Stunden holte mir diese Frau Wasser, damit ich mich endlich waschen konnte.
Mithilfe der Regierung und der Armee, ohne Schusswechsel und sogar von der ganzen Sippe begleitet, wurde ich in die Freiheit entlassen.
Das Schönste ist, dass mich die Verantwortlichen der Miliz unter Tränen um Vergebung baten. Und ich war so glücklich, wieder unter meinen Leuten sein zu können, dass ich das auch getan habe. Wenn ich ihnen nicht vergeben hätte, wäre ich wohl eine Gefangene meiner Gefühle geblieben. So bin ich jetzt frei und liebe meine Frauen und Kinder noch viel mehr.»