Zur Erfüllung zweier Postulate hat der Bundesrat einen Bericht erstellt, der Perspektiven für die künftige Agrarpolitik geben soll. Darin formuliert die Regierung ihre Vision der Land- und Ernährungswirtschaft im Jahr 2050 und erläutert, wie die Transformation dorthin vonstatten gehen soll. Die Reaktionen darauf sind mehrheitlich gemischt, ganz schlecht scheinen die Ideen aus Bundesbern aber bei keinem Verband anzukommen.
«Hilfreich für die Diskussion»
Der Bericht enthalte begrüssenswerte Ansätze, findet der Schweizer Bauernverband (SBV). Etwa dass die Regierung alle Akteure der Wertschöpfungskette in die Pflicht nehmen will und die Landwirtschaft weiterhin marktorientiert Lebensmittel produzieren soll. Dem SBV fehlen bei der Betrachtung des Grenzschutzes des Bundesrats aber die Vorteile, die das System insbesondere jetzt bei stark steigenden internationalen Preisen habe. Auch vermisst der Verband Massnahmen für eine Verbesserung der sozialen Situation in der Land- und Ernährungswirtschaft und die Bedeutung einer ausreichenden Inlandproduktion sei stärker zu gewichten. Insgesamt biete der Bericht für die Bauernfamilien positive Perspektiven, so das Fazit des SBV. Man werde die weiteren Schritte in der Agrarpolitik eng und Sinne der Bauernfamilien begleiten.
Klimaziele und Höfesterben angehen
Grundsätzlich begrüsse man die Stossrichtung des bundesrätlichen Postulatberichts, teilt die Kleinbauern-Vereinigung (VKMB) mit. Leider fehlten aber konkrete Massnahmen dazu, wie die Klimaziele 2030 zu erreichen sind. Weiter werde der Problematik des Höfesterbens und der schwindenden Strukturvielfalt nicht thematisiert. Gerade die Vielfalt unterschiedlicher Höfe und jene auf den Betrieben sei aber essenziell für eine resiliente Land- und Ernährungswirtschaft. Daher fordert die VKMB, dass in der Beratung zur AP 22+ im Parlament Massnahmen zu diesen drei Themen ergänzt werden. Weitere Schritte seien auch beim Tierwohl und für die Biodiversität nötig. «Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren», so der Appell der VKMB.
Branchenvereinbarungen in Angriff nehmen
Nach Ansicht des Konsumentenschutzes bringt der Bundesrat mit seinem Bericht Ordnung und Perspektive in die hochkomplexe Situation. Von den bäuerlichen Organisationen, aber insbesondere auch von Detailhandel und Gastronomie erwarte man eine konstruktive Mitarbeit an der ganzheitlichen Schweizer Agrar- und Ernährungspolitik. Die Verantwortung dürfe nicht allein den Konsument(innen) zugeschoben werden, sondern bei der Sortiments-und Preisgestaltung, der Kennzeichnung sowie der Produktplatzierung sei anzusetzen. Der Konsumentenschutz will Detailhandel und Gastronomie mit einer Branchenvereinbarung für mehr Transparenz und Kostenwahrheit in die Pflicht nehmen. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) solle sie unverzüglich an den Verhandlungstisch rufen.
«Nur ein Alibi-Umsetzungsplan»
Die Umweltverbände unterstützen das Zukunftsbild des Bundesrats, schreiben WWF, Pro Natura, BirdLife und Greenpeace in einer Mitteilung. Er male ein verlockendes Bild, aber die gesamte Strategie bleibe «sehr schwammig und unscharf». Das Ganze dauert den Umweltverbänden zu lange, obwohl der Wandel angesichts nicht erreichter Umweltziele, biodiversitätsschädigender Subventionen und zu intensiv bewirtschafteten Böden «dringend nötig» sei. Man könne nicht acht Jahre warten. Bäuerinnen und Bauern müssten in der notwendigen Transformation von der Politik aktiv unterstützt werden, heisst es weiter. Bereits heute solle die Politik auf die Vision 2050 ausgerichtet werden, damit der Bericht nicht zu einem zahnlosen Papiertiger zusammenschnurrt.
Keine Kompromisse beim Grenzschutz
Die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (Sals) bezeichnet die Arbeit des Bundesrats als «interessante Analyse». Sie nennt aber drei Punkte, die für eine kohärente Politik gestärkt werden müssten:
Selbstversorgung: Das Ziel müsse klarer sein. Die Sals sieht dank neuen Technologien 60 Prozent als realistisch an.
Fokus: Der Bericht konzentriere sich noch immer zu stark auf die Landwirtschaft. Um Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen zu ermöglichen, müssten sogar Aspekte des Gesundheitswesens berücksichtigt werden.
Grenzschutz: Dieser sei nach wie vor ein entscheidendes Instrument. In rein wirtschaftlicher Logik wäre ein Grossteil der landwirtschaftlichen Produktion ins Ausland verlegt worden, gibt die Sals zu bedenken. Sie sei aber für die Schweiz von strategischer Bedeutung und beim Grenzschütz dürften daher keine Kompromisse gemacht werden.
«Der Bundesrat muss nachbessern»
Wie die Umweltverbände ist die Agrarallianz laut einer Mitteilung mit der eigentlichen Vision des Bundesrats einverstanden, aber auch sie findet den Weg dahin zu schwammig vorgezeichnet. Man erwarte vom Parlament, die Beratung zur AP 22+ aufzunehmen – die Vorlage solle aber nicht entschlackt werden. Nachbessern muss der Bundesrat nach Meinung der Agrarallianz beim Klimaschutz und dem Tierwohl, aber auch bei Biodiversität und Tiergesundheit. Es werden folgende Vorschläge gemacht:
- Bund und Kantone sollen Innovationsnetzwerke fördern.
- Und Projekte zur Verbesserung der Nachhaltigkeit entlang der ganzen Wertschöpfungskette besser zugänglich machen.
- Pilotprojekte für den Ausbau von Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Bund und Produzentenorganisationen.
Die Verantwortung liege gleichermassen bei der Landwirtschaft, der Verarbeitungsindustrie, dem Lebensmittelhandwerk und dem Detailhandel.
«Die Verschnaufpause hat sich gelohnt»
Durchwegs positiv fällt das Urteil der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) aus. Man nehme den Postulatsbericht des Bundesrats wohlwollend zur Kenntnis und begrüsse insbesondere den ganzheitlichen Ansatz. Diese Betrachtungsweise sei notwendig, um die Wertschöpfung in den Berggebieten zu erhalten. Zusammenfassend könne gesagt werden, so die SAB, dass der Bericht mehr Vision und Kontinuität in die Agrarpolitik trage. Somit habe sich die politische Verschnaufpause in Form der Sisitierung der AP 22+ gelohnt.
«Und was ist mit Bio?»
Von Bio Suisse erntet der Bundesrat Lob für seinen Postulatsbericht. Er habe die Situation nüchtern und korrekt analysiert und liefere praktikable Vorschläge für die Beendigung des «agrarpolitischen Lockdowns». Besonders begrüssenswert seien das Klimapaket und die angestrebte Stärkung der Rolle von Branchen- und Labelorganisationen. Allerdings hätte sich Bio Suisse mehr Gewicht für en Biolandbau gewünscht, ähnlich wie das in der EU der Fall ist. Dort hat man sich nämlich einen Anteil von 25 Prozent Bio in Anbau und Konsum bis 2030 als Ziel gesetzt. «Für eine ganze Reihe von Problemen bietet der Biolandbau mit seinem gesamtbetrieblichen Systemansatz gute Lösungen an», begründet Bio Suisse.
Im Weiteren müssten nach Meinung des Verbands die Themen Klima, Tierwohl und Biodiversität analog zu den Absenkpfaden Pestizide und Nährstoffe geregelt werden. In jedem Fall sei die Debatte um die AP 22+ wiederaufzunehmen, um die vom Bundesrat festgestellte grosse Abweichung zwischen dem Ist-Zustand und den ökologischen sowie den ökonomischen Zielen angehen zu können.