Im Grunde listet der Bundesrat in seinem Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» kaum etwas auf, was nicht zu erwarten gewesen wäre: Mehr Umweltschutz und Tierwohl, weniger Emissionen. Interessant sind aber die Details – speziell dazu, welche Massnahmen den Weg zur Vision der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft 2050 unserer Regierung ebnen sollen.
Basis ist die Bundesverfassung
Wie es sich für ein Zukunftsbild gehört, ist jenes des Bundesrats idealistisch und geht die bekannten Probleme wie Nährstoffüberschüsse, Treibhausgas-Emissionen und Food Waste an. Es baut auf den Artikeln 104a und 104b der Bundesverfassung auf, die den Auftrag für eine nachhaltige sowie marktorientierte Landwirtschaft bzw. die Gewährleistung der Ernährungssicherheit geben. In drei Bereichen wird die Vision skizziert, hier einige Auszüge:
Landwirtschaft: Netto soll die Inlandproduktion mehr als zur Hälfte zur Versorgung der inländischen Bevölkerung beitragen, dabei bodenabhängig oder -unabhängig aber standortangepasst arbeiten. Die Wertschöpfung pro Arbeitskraft soll gegenüber 2020 um 50 Prozent steigen, die Fruchtfolgeflächen sollen netto nicht zurückgehen und rund 1/6 der LN als BFF genutzt werden. Der Ackerbau sei auf Kulturen für die menschliche Ernährung auszurichten (Alternativen im Rahmen der Fruchtfolge ausgenommen). Wiederkäuer zur Nutzung des Dauergrünlandes und von Nebenprodukten aus der Lebensmittelherstellung.
Verarbeitung, Vermarktung und Handel: Chancen durch die direkte und regionale Vermarktung sollen genutzt und Schweizer Produkte unter Betonung von Nachhaltigkeit, Tierwohl und Gesundheit positioniert werden. Reduktion der Lebensmittelverluste um ¾ gegenüber 2020.
Nachfrage und Konsum: Kostenwahrheit und Transparenz zu den ökologischen und sozialen Auswirkungen von Lebensmitteln. Ernährung entsprechend der Schweizer Lebensmittelpyramide und Bevorzugung regionaler oder «zumindest» inländischer Produkte. Reduktion der Lebensmittelverluste um ¾ gegenüber 2020.
Innovation und Technologie: Die Digitalisierung soll die Produktion nicht nur ressourceneffizienter und standortangepasster machen, sondern auch die Vermarktung unterstützen. Dies mit besserer Transparenz und einfacheren Prozessen.
Grosser Unterschied zwischen «Ist» und «Soll»
Die bundesrätliche Vision ist demnach umfassend und geht über die bisherige Agrarpolitik hinaus, die sich auf die Produktion konzentriert hat. Der Unterschied zwischen diesem «Soll» und dem derzeitigen «Ist» sei allerdings gross, hält der Bundesrat fest. Entsprechend sei es auch der Handlungsbedarf. Dennoch sei man überzeugt, die Ziele innerhalb einer Generation erreichen zu können – «wenn sowohl private Akteure als auch die Politik ihre Verantwortung wahrnehmen und ihren Beitrag zur Zielerreichung leisten».
[IMG 2]
Klar ist für den Bundesrat, dass die Produktion und der Konsum parallel verändert werden müssen. So passen Angebot und Nachfrage zusammen und man vermeidet die Problemverlagerung via Importe ins Ausland. Neben einer besseren Information der Konsumentenschaft will man sich dafür Unterstützung in der Verhaltenswissenschaft holen.
Zielkonflikte bestehen primär kurzfristig
Passend zu ihrer umfassenden Perspektive scheint sich die Regierung auch unweigerlicher Zielkonflikte bewusst. Wie im Bericht ausgeführt wird, seien solche aber meist nur kurzfristig ein Problem und würden sich längerfristig sogar in Synergien umwandeln. So seien ökologische und ökonomische Ziele vereinbar, da eine erhöhte Zahlungsbereitschaft mit entsprechender Auslobung erreichbar wäre. Um mit einer auf die Umwelt Ziele Landwirtschaft ausgerichteten Landwirtschaft die Eigenversorgung hochzuhalten, betont man die Ressourceneffizienz. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Nutzung von Ackerfläche für die Produktion von Lebens- statt Futtermitteln, da hierbei keine Proteine durch die Umwandlung in Fleisch verloren gehen.
Ausgewogen essen und passend produzieren
Hierzulande isst man unausgewogen und in Bezug auf die Kalorienmenge zu viel. Im Sinne einer gesünderen und ökologischeren Ernährung sollten Schweizer(innen) gemäss Modellrechnungen rund 69 Prozent weniger Fleisch essen, dafür dreimal mehr Hülsenfrüchte und Nüsse. Würden die Ernährungsgewohnheiten auf die Lebensmittelpyramide und gleichzeitig auf eine minimale Umweltwirkung ausgerichtet, müssten zudem 17 Prozent mehr Milch, 72 Prozent mehr Getreide, 120 Prozent mehr Früchte und 190 Prozent mehr Gemüse konsumiert werden.
Berechnungen zufolge liesse sich der Selbstversorgungsgrad mit einem solchen Ernährungsmuster und entsprechend angepasster Produktion (weniger Tiere und Nebenprodukte statt Importfutter) auf netto 70 Prozent steigern. Zwischen einer ausgewogenen Ernährung und der nachhaltigen Lebensmittelproduktion gibt es demnach Synergien – wenn auch nicht nur, je nach Intensität des Obst- und Gemüsebaus.
Mit weniger tierischer Produktion profitabel bleiben
Nun ist es aber so, dass die Wertschöpfung pro Fläche in der Tierhaltung heute tendenziell höher ist als in der Pflanzenproduktion. Es tut sich hier also ein weiterer Zielkonflikt auf. Der Bundesrat schlägt vor, sich daher auf den Obst- und Gemüsebau sowie proteinreiche Kulturen zu konzentrieren. Das seien wertschöpfungsstarke Segmente. Im Weiteren würden Labels, eine effiziente Direktvermarktung, Aktivitäten im Bereich der Energieproduktion und Differenzierung z. B. mit Agrotourismus-Angeboten helfen.
[IMG 3]
In drei Etappen zum Ziel
Der vorliegende Bericht erfüllt zwei Postulate, die nach der künftigen Ausrichtung der Agrarpolitik in der Schweiz fragten. Das Parlament hat letztes Jahr beschlossen, mit der Weiterbehandlung der AP 22+ bis zum Erscheinen dieser Perspektive zu warten. Der Bundesrat weist der AP 22+ auf dem Weg zu seiner Vision für 2050 in der zweiten von drei Etappen eine Rolle zu:
- Etappe: Umsetzung der Parlamentarischen Initiative 19.475 zu den Absenkpfaden Pestizide und Nährstoffe.
- Etappe: Umsetzung der AP 22+ in Teilen. Konkret geht es um einen Teil der Änderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich der Direktzahlungen. Der Bundesrat empfiehlt, hier auf Anpassungen im Gewässerschutz zu verzichten und das Bäuerliche Bodenrecht separat zu behandeln.
- Etappe: Nach einer Standortbestimmung 2025/26 sollen weitere Massnahmen vorgeschlagen werden. Dabei will man die nächste Reform an den Zahlungsrahmen koppeln, was frühestens 2030-33 möglich sein wird. Bereits vor 2030 wären Anpassungen auf Ebene Verordnung umsetzbar.
Wirtschafts- und sozialverträglich transformieren
Innerhalb einer Generation, also 30 Jahren will der Bundesrat die Schweizer Landwirtschaft umbauen. Dies im Gleichschritt mit dem Konsum. Während das für Konsument(innen) vor allem neue Gewohnheiten und im besten Fall ein gesundheitlicher Nutzen bedeutet, ist die Transformation für Landwirt(innen) mit Investitionen und (wirtschaftlichen) Unsicherheiten verbunden. «Das agrarpolitische Instrumentarium soll so weiterentwickelt werden, dass unter den aktuellen Rahmenbedingungen getätigte Investitionen im ursprünglich vorgesehenen Zeitraum amortisiert werden können», heisst es im Bericht. Auch die in diesem Zusammenhang geleistete Arbeit soll entschädigt werden können.
Mit seinem Vorschlag, was das konkret heissen könnte, entspricht der Bundesrat einer Idee von Pro Natura: «Auf Ebene des Landwirtschaftsbetriebs sollen grössere strukturelle Veränderungen dann erfolgen, wenn Investitionen das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben, idealerweise zum Zeitpunkt der Hofübergabe.»