«Die proaktive Regulierung ist nicht umstritten», stellte François Turrain, BirdLife, an einem Hintergrundgespräch mit Medienschaffenden fest. «Die Frage ist, wann und wie sie umgesetzt wird – darum geht es in der Vernehmlassung zur Jagdgesetzverordnung». Ziel des Gesprächs war eine erste Einordnung der revidierten Jagdgesetzverordnung (JSV) seitens der Umweltverbände. Birdlife, Pro Natura, WWF und die Gruppe Wolf Schweiz hatten auch einen Juristen beigezogen, der in einem Faktenblatt die Rechtslage im geltenden Jagdgesetz auseinandergenommen hatte.
Wolf bleibt «nicht jagdbar»
Zuallererst handle es ich bei der proaktiven Regulierung nicht um eine «Wolfsjagd», denn der Wolf bleibe eine geschützte und somit nicht jagdbare Art. «Abschüsse von Wölfen sind immer behördlich verfügte Regulationseingriffe im Zusammenhang mit Schäden oder Gefahren», so Rechtsanwalt Gregori Werder. Mit dem neuen Jagdgesetz sei aber ein grundsätzlicher Wechsel im Umgang mit dem Wolf erfolgt, führte Sarah Wehrli, Pro Natura, aus. Denn zuvor waren nur reaktive sowie Einzelabschüsse möglich gewesen. Zusammenfassend gebe es heute mit dem geltenden JSG folgende drei Eingriffsmöglichkeiten gegen Wölfe:
- Einzeltierabschuss (ganzjährig)
- Reaktive Regulierung (Juni bis August)
- Proaktive Regulierung (September bis Januar). Kantone müssen solche Eingriffe gegenüber dem Bund begründen, um eine Bewilligung für Abschüsse zu erhalten.
Der einzige Unterschied
«Nicht jeder beliebige potenzielle Schaden durch Wölfe kann ein Regulierungsgrund sein», betonte Sarah Wehrli weiter. Zur Einhaltung der Berner Konvention müsse es um die Verhinderung eines grossen Schadens respektive um eine konkrete Gefährdung von Menschen gehen. Das sei auch der Wille des Parlaments. «Der Unterschied zur reaktiven Regulierung besteht nur darin, dass bei der proaktiven Regulierung dieser Schaden oder die Gefährdung drohen, aber noch nicht eingetroffen sein muss», erläutert Gegori Werder. Das Schadens- oder Gefährdungspotenzial eines bestimmten Wolfsrudels sei zu ermitteln, wozu konkrete Hinweise – wie etwa mehrere Nutztierrisse in der Vergangenheit – vonnöten seien.
«Der drohende Schaden bzw. die Gefährdung muss plausibel aufgezeigt werden können», sagt der Jurist. Rudel, die keinen oder einen kleinen Schaden (oder eine ebensolche Gefährdung) verursachten, dürften nicht proaktiv reguliert werden. Ausserdem bleibe der zumutbare Herdenschutz eine Voraussetzung dafür, dass Schäden an Nutztieren überhaupt «zählen» würden.
Drei Möglichkeiten zur Begründung
Wie passt das zu der «Basisregulation», von der im erläuternden Bericht zur JSV die Rede ist? Die Kantone müssen gegenüber dem Bund dafür begründen, inwiefern eine solche Regulierung nötig sei, etwa zur
- Verhütung von Schäden an landwirtschaftlichen Nutztieren bei Tierhaltungen, welche die zumutbaren Herdenschutzmassnahmen gemäss der kantonalen landwirtschaftlichen Beratung umgesetzt haben
- Verhütung einer Gefährdung des Menschen, oder
- Verhütung einer übermässigen Senkung des regionalen Bestandes an wildlebenden Paarhufern (eine Regulierung ist nicht zulässig, solange die Bestände an wildlebenden Paarhufern die natürliche Verjüngung des Waldes im Streifgebiet so stark hemmen, dass Konzepte zur Verhütung von Wildschäden nach Artikel 31 Waldverordnung vom 30. November 1992 notwendig sind).
Nur unter dieser Voraussetzung darf gemäss revidierter JSV eine «Basisregulation» – also der Abschuss eines Anteils der diesjährigen Welpen eines Rudels – erfolgen. Auch dürfe der Wolfsbestand durch einen solchen Eingriff nicht gefährdet werden.
Unklare Bedingungen
Diese Formulierungen lassen allerdings Fragen offen dazu, welche genauen Umstände den nun zu proaktiven Abschuss berechtigen sollen; z. B. bezüglich der genauen Bemessung der Schäden an geschützten Tieren. «Die Umsetzung proaktiver Eingriffe ist in der JSV ungenügend geklärt», so das Fazit von Sarah Wehrli. «Man sollte nicht durch wahlloses Abschiessen die Erwartung fördern, dass die Schäden durch das Kleinhalten des Wolfsbestands abnehmen.» Denn das Ausmass der Schäden verhalte sich nicht proportional zur Anzahl Wölfe. David Gerke von der Gruppe Wolf Schweiz führt diesen Umstand auf den Herdenschutz zurück, der in der Schweiz gut funktioniere und weder im Ausbau noch in seiner Wirksamkeit hierzulande bisher an Grenzen stosse. «Da gibt es noch viel Potenzial», ist Gerke überzeugt.
Für die Balance zwischen Wolfsregulierung und Artenschutz sowie im Interesse der ökologischen Leistungen des Wolfs (Stichwort Waldverjüngung) seien Nachbesserungen in der JSV dringend nötig, schlussfolgern die Umweltverbände. Sie wollen sich gegen Ende der Vernehmlassung noch ausführlicher dazu äussern.