Die teilweise Inkraftsetzung der revidierten Jagdverordnung (JSV) hat im Winter 2023/2024 die ersten präventiven Abschüsse zur Wolfsregulation zugelassen (siehe Kasten unten). Nun geht die ganze Vorlage in die ordentliche Vernehmlassung, und sie ist umfangreich. In mehreren Punkten geht der Bundesrat mit seinen Vorschlägen auf die Anliegen von Seiten Landwirtschaft ein.
Immer einen Teil der Jungtiere entfernen
Die neue JSV führt eine «Basisregulation» fürs Wolfsrudel ein. Sobald auf dem Gebiet eines Kantons ein Wolfsrudel auftaucht, darf demnach maximal die Hälfte der diesjährigen Welpen geschossen werden. Sobald sich mehrere Rudel im Kanton ansiedeln, steigt die zulässige Abschussquote auf Zweidrittel der Welpen. «Das Rudel als Fortpflanzungseinheit darf dabei jedoch nicht zerstört werden», heisst es im erläuternden Bericht. So sind insbesondere die beiden Elterntiere geschützt. Das Ziel der neuen Basisregulation sei ein Bremsen sowohl der Entwicklung des regionalen Wolfsbestandes als auch der Nutztierschäden im Territorium der Rudel. Gleichzeitig erhofft man sich von den Abschüssen – die gezielt z. B. in der Nähe von Weiden erfolgen sollen – einen erzieherischen Effekt auf die verbleibenden Rudelwölfe.
Wegen dieses Lerneffekts soll die Basisregulation für jedes Rudel zulässig sein, egal ob in der Region die vorgeschriebene Mindestanzahl Wolfsrudel erreicht ist. In den definierten fünf «Wolfsregionen» (Jura, Nordostschweiz, Zentralschweiz, Westschweizer Alpen und Südostschweiz) ist der minimale Bestand mit zwei bis drei Rudeln je Gebiet festgelegt. Insgesamt müssen gemäss Bundesrat somit mindestens 12 Wolfsrudel in der Schweiz leben, um die Art hierzulande zu erhalten. Aktuell sind es mit rund 30 Rudeln gut doppelt so viele.
Spezialisierte Rudel oder Elterntiere abschiessen
Im Gegensatz zur Basisregulation sind für die Entfernung ganzer Rudel einige Voraussetzungen zu erfüllen. Zulässige Abschussgründe sind – sofern die Mindestanzahl Rudel in der Region erreicht ist – etwa das Reissen von Rindern oder Pferden, das Umgehen von konkreten Herdenschutzmassnahmen oder unerwünschtes Verhalten gegenüber Menschen oder Haushunden. Besonders schadenstiftende Elterntiere können ebenfalls zum Abschuss freigegeben werden, z. B. wenn sich die Entfernung eines ganzen Rudels nicht rechtfertigen liesse.
Wie im vergangenen Winter erstmals durchgeführt, soll es mit der neuen JSV auch künftig jedes Jahr eine proaktive Regulierung geben. Dies im Zeitraum vom 1. September bis 31. Januar, die Kantone stellen die entsprechenden Anträge an das Bundesamt für Umwelt (Bafu).
Kantone können Einzelabschüsse anordnen
Anders als bei proaktiven Regulierung oder dem Entfernen von Rudelwölfen sind die Kantone berechtigt, den Abschuss von Einzelwölfen (die nicht zu einem Rudel gehören) bei erheblichen Schäden an Nutztieren oder einer Gefährdung von Menschen anzuordnen. Weiterhin sind zumutbare Herdenschutzsmassnahmen die Voraussetzung dafür, dass Risse angerechnet werden dürfen. Als Gefährdung des Menschen gilt gemäss JSV nicht erst ein unmittelbarer Angriff, sondern auch dessen Vorstufen (z. B. aggressives Verhalten gegenüber Menschen wie Anknurren ohne zu weichen oder Beissen eines Haushunds an der Leine). «Wölfe, die Nutztiere innerhalb von Ställen oder von befestigten Laufhöfen auf einem Hofareal reissen, sind aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Menschen ebenfalls als gefährlich zu beurteilen», heisst es in den Erläuterungen. Solch problematische Einzelwölfe können also ohne vorgängiges Gesuch und die Bewilligung des Bafus geschossen werden.
Gefährdet ein Rudelwolf Menschen, gilt für dessen Abschuss dasselbe.
Sehr kleine Alpen «nicht zumutbar schützbar»
Die neue JSV präzisiert im Weiteren, unter welchen Umständen die Kantone eine Alp als «nicht zumutbar schützbar» bezeichnen können. Diese Möglichkeit bestehe z. B. im Fall sehr kleiner Alpen (weniger als 10 verfügte Normalstösse an Schafen und Ziegen), wenn keine Infrastruktur für das Alppersonal besteht (Unterkunft) und die Alp nur über einen mehrstündigen Fussweg zu erreichen ist. Als weitere Gründe für eine Bezeichnung als nicht zumutbar schützbar nennt der Bericht sehr steinige oder verkarstete Weideflächen oder eine spärliche Vegetationsdecke, die Weideschläge von deutlich über 20 ha bedinge. Die Nichtschützbarkeit soll sowohl das ganze Weidegebiet eines Sömmerungsbetriebs als auch nur einzelne Weideflächen umfassen können.
Notfallmassnahmen nach Angriffen
Für betroffene Betriebe muss der Kanton im Rahmen seiner einzelbetrieblichen Herdenschutzberatung sogenannte Notfallmassnahmen bestimmen. Tierhalter müssen diese umsetzen, sobald ein erster Wolfsangriff auf der Alp erfolgt ist.
Einzelne Weidefläche nicht zumutbar schützbar: Nutztiere auf eine schützbare Weide bringen.
Ganze Weidefläche der Alp nicht zumutbar schützbar: Kanton definiert Notfallmassnahmen nach ersten Grossraubtierschäden in Absprache mit dem Bafu. Kantons- bzw. Bundesbeiträge seien etwa möglich für eine vorzeitige Abalpung (Futtergeld und Sömmerungsbeiträge, aber keine Übernahme der Kosten der Alpabfahrt).
Mehr Autonomie bei der Wahl der Hunderassen
Nach Kritik seitens Kantone und eigener kantonaler Programme für Herdenschutzhunde will der Bundesrat die Wahl der für den Herdenschutz zugelassenen Hunderassen künftig den kantonalen Behörden überlassen. Weltweit stünden rund 50 Rassen zur Auswahl. Nach wie vor sind die Prüfung der Herdenschutzhunde sowie deren korrekte Haltung klar durch den Bund via JSV geregelt.
Sowohl die Beurteilung der Zumutbarkeit von Herdenschutzmassnahmen als auch ein Programm für Herdenschutzhunde gehören nach Meinung der Umweltverbände aber in die Hände des Bundes. Pro Natura, die Gruppe Wolf Schweiz, WWF und BirdLife befürchten einen kantonalen Flickenteppich mit Versorgungslücken und fordern in einem ersten Medienkommentar zur neuen JSV Nachbesserungen, denn die Vorlage sei zu einseitig auf Abschüsse gemünzt. Einmal mehr betonen sie ausserdem die Bedeutung des Herdenschutzes. Die Vernehmlassung zur neuen JSV läuft bis zum 3. Juli 2024, ihr Inkrafttreten ist für den 1. Februar 2025 vorgesehen.
«In Gebieten mit Wölfen bleibt guter Herdenschutz zentral», hält das Bafu fest. Der Bund werde entsprechende Massnahmen wie bis anhin unterstützen, für 2024 hat das Parlament dafür rund 7,5 Millionen Franken gesprochen.
Kein einziges Rudel erwischt
Die Bilanz des Bafus zur ersten präventiven Wolfsregulierung in der Schweiz fällt zahlenmässig eher ernüchternd aus. Das Bundesamt hatte dem Abschuss von 12 Rudeln sowie dem von zwei Dritteln der Jungwölfe in 6 weiteren Rudeln zugestimmt. «Zu Beginn der Regulierung gab es in der Schweiz über 30 Wolfrudel und mehr als 300 Wölfe», schreibt das Bafu, und weiter: «Heute sind es immer noch rund 30 Rudel und rund 250 Wölfe». Demnach gelang es nicht, eines der zum Abschuss freigegeben Rudel ganz zu entfernen. 38 Wölfe seien im vergangenen Winter im Rahmen der Regulierung erlegt worden. «Die Wirkung der Regulation wird sich erst im nächsten Alpsommer beurteilen lassen», so das Bafu. Klar sei, dass die Wolfsbestandsregulierung zur Daueraufgabe werde.