Wenn Doris Herger malt, vergisst sie die Welt um sich herum. «Dann kann es durchaus vorkommen, dass mich die Kinder leicht vorwurfsvoll an die Essenszeiten erinnern», lacht die Urnerin. «Ich muss mir die Zeit fürs Malen oft regelrecht stehlen. Doch das ist es mir wert, Malen ist für mich mehr als ein Hobby.»
Im Hauptberuf ist Doris Herger Bäuerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Franz betreibt sie den Begegnungshof «byherger» in Altdorf UR. Kein Landwirtschaftsbetrieb wie jeder andere. Hier kommen täglich bis zu 100 Besucher vorbei, vor allem um sich mit legefrischen Eiern und Produkten aus dem Hofladen einzudecken.
Ausstellung "Uris Rindviehcher"
In den ersten Monaten dieses Jahres entschied sich Doris Herger, zugunsten der Kunst auf dem Betrieb etwas kürzerzutreten. Sie wurde angefragt, ob sie für die aktuelle Sommerausstellung «Uris Rindviecher und ihre Geschichte» im Historischen Museum Uri Kuh-Bilder malen würde. «Der Kurator liess mir völlig freie Hand. Das Thema musste einfach mit Kühen zu tun haben.»
Kühe seien für sie ganz spezielle Wesen. «Sie kommen auf die Welt, um zu arbeiten. Der Bauer entscheidet, was für ein Leben sie führen und wann es zu Ende ist. Sie verkörpern für mich Demut und Liebe.» Für die Ausstellung malte Doris in vier Monaten 19 Bilder, das grösste misst vier auf anderthalb Meter, das kleinste gerade mal 30 auf 40 Zentimeter.
Das Malen hat Doris Herger vor neun Jahren für sich entdeckt. In einer Zeit, in der es ihr nicht gut ging. «Ich hatte zwei Fehlgeburten», erzählt die dreifache Mutter. «Und mein Mann und ich gingen sehr unterschiedlich mit der Trauer um. Nach der sommerlichen Alpzeit habe ich dann von einem Tag auf den anderen mit Malen angefangen. Das hat mir geholfen.»
Lieber selber machen als zusehen
Sie entschied sich, ein Jahr lang einen Tag pro Woche eine private Kunstschule in Zürich zu besuchen, die verschiedenen Maltechniken kennenzulernen. Später belegte sie bei Schischi Krauer in Malters einen Skulpturenkurs und fertigt seither auch Bronzefiguren. Kunst habe sie schon immer interessiert, aber weniger der theoretische Ansatz als das Selbermachen. «Das gilt bei mir auch für andere Lebensbereiche. Ich mag mir zum Beispiel nie ein ganzes Fussballspiel ansehen. Aber zwischendurch mal begeistert mitspielen, das dann schon.»
Künstlerische Vorbilder? Nicht wirklich. Oder doch, ihr gefallen die farbenfrohen und emotionalen Werke des österreichischen Künstlers Voka und die von ihm erschaffene Stilrichtung «Spontanrealismus». Ein Malstil, bei dem nicht alles im Detail vorausgeplant, sondern viel aus der momentanen Gefühlslage heraus gearbeitet wird.
Kreative Landwirtschaftsideen
Auch auf dem Landwirtschaftsbetrieb sind Doris Herger und ihr Mann Franz ständig am Ausprobieren, Umbauen, Verschönern. Als das Paar den Hof vor siebzehn Jahren übernahm, stand die Milchwirtschaft noch im Zentrum. Heute macht sie weniger als die Hälfte des Betriebseinkommens aus. Zudem wollten sie «nicht nur produzieren.» «Wir wollten einen Begegnungshof für Stadt und Land und für Mensch und Tier schaffen. Bei uns gibt es Landwirtschaft, Natur und Kunst zum Anfassen. Das ist unser Beitrag gegen das manchmal etwas angekratzte Image der Landwirtschaft.»
Heute laden auf dem Hergerhof ein Garten und eine Lodge mit Blick auf Kuh- und Hühnerweide zum Verweilen ein. Ein Partyraum, der Hofladen und ein offener Bücherschrank ziehen Gäste an. In der Strohburg und der Bauernhof-Spielgruppe tollen die Kleinsten herum. Hauptattraktion sind aber die legefrischen Hühnereier, die Gross und Klein selbst sammeln dürfen. Entweder via Handkurbel und Förderband oder über eine Klappe direkt in den Stall, wo die Hühner ihre Eier in Weizenspreu-Nester legen.
1001 Ideen, 1001 Diskussionen
Konzept und Umsetzung stammen von Doris und Franz Herger. «Mein Mann und ich sind beide ausgesprochene Macher», sagt die 42-Jährige, die ursprünglich Schreinerin gelernt hat. «Wir haben 1001 Idee, die wir umsetzen möchten. Das ist jeweils ein Riesenprozess. Jeder schreibt seine Argumente nieder, darf sagen, was er denkt. Da wir auf dem Hof alles zusammen entscheiden und möglichst auch selbst realisieren, sind wir ständig am Diskutieren.»
Verliebt haben sich Franz und Doris Herger vor fast 19 Jahren während eines Alpsommers. «Wir kannten uns schon seit Kindheit, aber nur flüchtig. Ich hatte mir nach einer langen Beziehung mit einem anderen Mann eine Auszeit genommen. Franz und ich waren uns in jenem Sommer sehr schnell sicher, dass wir zusammengehören. Vier Monate später waren wir verlobt.»
Bed & Breakfast in den Bergen
Ab Mitte Juni zieht es die Hergers auch heute noch mit 28 Kühen in die Berge. Auf der Sittlisalp oberhalb von Unterschächen betreiben sie zudem den Sommer über ein Bed & Breakfast. Die drei Kinder Laura (17), Sven (16) und Nino (13) bleiben dieses Jahr erstmals alle in Altdorf. «Die beiden älteren sind schon in der Lehre, können nicht einfach weg. Und Nino ist im letzten Primarschuljahr, möchte beim Abschluss mit seinen Schulfreunden dabei sein und kommt erst anschliessend Zalp.»
Grosse Bedenken hatDoris Herger dabei nicht. «Uns ist es wichtig, die Kinder zur Selbstständigkeit zu erziehen. Sie können kochen und wissen sich auch sonst zu helfen. Zudem gibt es jeden Morgen ein Kontrolltelefon.» Soll eines der Kinder später den Hof übernehmen? «Das ist noch völlig offen. Mir ist es ein grosses Anliegen, dass jeder das Leben so leben darf, wie er mag. Jeder darf sein Ding durchziehen.»
Ihrer Kunst will Doris Herger in Zukunft mehr Platz einräumen. «Das ist für mich Berufung und eine Arbeit mit professionellem Anspruch. Daher wünsche ich mir, dass meine Bilder und Skulpturen auch finanziell etwas abwerfen, ich lasse über den Preis meiner Bilder kaum mit mir märten. Denn ich möchten auch damit einen Beitrag zu unserem Familienleben leisten.» Zudem sei es mit der Kunst wie mit der Landwirtschaft. «Man muss sich trauen, etwas für seine Produkte zu verlangen.»
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