Appenzeller gelten als besonders witzig. Handelt es sich dabei um ein Klischee oder steckt mehr dahinter? Der Journalist und Mundartautor Peter Eggenberger (selbst ein Appenzeller) ist dem Thema nachgegangen. In seinem kürzlich erschienenen Buch «Der Appenzeller Witz – eine vergnügliche Spurensuche» macht er sich auf die Suche nach dessen Wurzeln.
Giftpfeile gegen Autoritäten
Laut Peter Eggenberger sind schlagfertige Reaktionen seitens der Appenzeller bereits im 15. Jahrhundert verbrieft. Eine Zeit, in der St. Galler Äbte als Eigentümer vieler Ländereien zwischen Bodensee und Säntis mit harter Hand regierten. «Der oft mit spitzen Giftpfeilen verglichene Witz holte Autoritäten, die über dem Fussvolk standen, von ihren Sockeln», so der Autor.
So richtig bekannt wurde der Appenzeller Witz jedoch erst ab 1750 mit dem Aufkommen des Tourismus. Schweizer und deutsche Reiseliteraten berichteten von der Region Appenzell als einer unberührten Landschaft mit freiheitsliebenden, stets gut gelaunten und witzigen «Leutchen». Die Schwärmereien wurden von einer breiten Leserschaft verschlungen und lösten eine Welle der Sympathie für das Appenzellerland aus.
Frohsinn und wacher Geist
Über die einheimische Bevölkerung schrieb der preussische Arzt und Schriftsteller Johann Gottfried Ebel (1764–1830): «Die Appenzeller stellen sich gerne einfältig und dumm. Wenn ihre Gegner, dadurch dreist gemacht, ihren Spöttereien freien Lauf lassen und sich schon triumphierend sehen, so ergreift der schlaue Appenzeller die scharfe Waffe seines Witzes und vernichtet seinen Feind, indem er ihn zum Gelächter der ganzen Gesellschaft macht.»
So unternimmt etwa ein Professor gemeinsam mit Begleitern eine Reise durchs Appenzellerland. Er kommt an ein Gatter, welches den Weg verschliesst. Der Junge, der dort steht, wird aufgefordert, für den Professor das Tor zu öffnen. «Was ist ein Professor?», fragt der Bub. «Jemand, der alles kann», lautet die Antwort. «Oh, da braucht ihr mich ja nicht, dann kann er das Gatter selber öffnen», tönt es schlagfertig zurück.
Reute ist immer einen Tag voraus
Die Witze der Region wurden verschiedentlich zusammengetragen. Als führender Witzologe gilt der Teufener Alfred Tobler (1845–1923). 1902 erschien sein Buch «Der Appenzeller Witz». Frohsinn und ein wacher Geist bildeten laut Tobler den Nährboden für die Witzigkeit. Dabei geht dieser auch auf die einst weitverbreiteten Spitznamen der Gemeinden ein.
Dazu ein Beispiel: «Die Gemeinde Reute galt vor Zeiten als nicht besonders fortschrittlich. So besass das ganze Dorf nur einen einzigen Kalender, und deshalb kamen viele Leute ausser der Tagesfolge. Da beschloss man, um Ordnung zu schaffen, der Hauptmann möge in seinem Hausgange sieben Kübel mit Wasser füllen und jeden Tag einen ausleeren, so dass jedermann den Tag an der Anzahl der vollen Eimer erkennen könne. Das ging eine Zeitlang ganz gut. Eines Tages aber soff eine Kuh einen Kübel leer, so dass seither Reute allen anderen Gemeinden um einen Tag voraus ist.»
Schlaue Werbestrategie für Heiden
Für die Verbreitung des Appenzeller Witzes sorgte besonders der Gesundheitstourismus. Rund um die Molken- und Heilbäder gibt es zahlreiche Sprüche und Geschichten. So etwa: Als höher gelegene Orte wie Davos oder St. Moritz an Bedeutung gewannen, dachte sich der Kurort Heiden eine witzig-schlaue Werbestrategie aus: Den Touristen aus deutschen Tiefgebieten wurde der Gesundheit zuliebe nahegelegt, in Heiden auf rund 800 m ü. M. vierwöchige Kuren zum Akklimatisieren einzulegen, bevor es in die Bündner Berge auf 2000 m ü. M. zum eigentlich geplanten Kuraufenthalt ging.[IMG 2]
Eine Bahnverbindung zwischen Rorschach und Heiden gibt es bereits seit 1875. Damals lautete der Werbeslogan: «Berlin–Heiden ohne Umsteigen!». Dabei wurden direktverkehrende Eisenbahnwaggons von Berlin, Warschau und Paris eingesetzt. Auch von einer einstigen Kuhstallduft-Therapie, «um die Lungenfunktion und den Allgemeinzustand zu verbessern», wird erzählt.
Zum Unesco-Kulturgut erklärt
Auch heutzutage kommt dem Appenzeller Witz grosse Ehre zu: Vor dreissig Jahren wurde ein acht Kilometer langer Witzwanderweg von Heiden nach Walzenhausen eröffnet. Und seit 2012 steht der Appenzeller Witz auf der Liste der «lebendigen Traditionen der Schweiz» und gilt als immaterielles Unesco-Kulturgut.
Peter Eggenberger trägt in seinem Buch zahlreiche Anekdoten zusammen, um den Hintergründen des Appenzeller Witzes auf unterhaltsame Weise auf den Grund zu gehen. Als Leser(in) angesprochen wird, wer Interesse an historischen Hintergründen hat. Wer sich dagegen nur eine pralle Witzsammlung erhofft, wird wohl enttäuscht.
Buch: «Der Appenzeller Witz. Eine vergnügliche Spurensuche.» Peter Eggenberger. Appenzeller Verlag, 2023. 184 Seiten. Fr. 29.90.
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