Die Pionierarbeit der Frieda Rüdin-Meili
Frauenarbeit während der letzten Jahrzehnte veränderte die Landwirtschaft entwicklungsgeschichtlich sehr stark. Frieda Rüdin-Meili hat in der Zeit dieses Umbruchs Pionierarbeit geleistet. Nathalie Kolb-Beck porträtierte Leben, Arbeit und Nachhaltigkeit der zukunftsorientierten Leistungen der Thurgauerin.
«Ohne Frauen funktioniert ein Bauernhof einfach nicht», sagt die Historikerin. Frieda habe als Bäuerin und Weiterbildnerin diese Tatsache gewissermassen zum Programm in der Landwirtschaft werden lassen. Die Pionierin wurde in Pfyn in eine Bauernfamilie hineingeboren. Nach Abschluss der Schuljahre besuchte sie einen Haushaltskurs und ein Jahr lang die damalige Bauernheimatschule.
Der Vater von Frieda war Landwirt, nebenamtlicher Bauernsekretär und von 1920-1943 Thurgauer BGB-Nationalrat. Frieda sei in einem Haushalt aufgewachsen, wo man sich schon früh Gedanken über die Situation der Bauernfamilien gemacht habe, resümiert Nathalie Kolb Beck.
In der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg herrschte grosse Not beim Bauernstand. Die erste von Frauen organisierte Ausstellung über Frauenarbeit (SAFFA) 1928 in Bern, war ein Signal für die Zukunft und hinterliess bei Frieda einen nachhaltigen Eindruck. Denn schon damals wurden das Frauenstimmrecht und die berufliche Ausbildung der Frauen gefordert.
Umbruch in der bäuerlichen Welt: Was haben Frauen in der Vergangenheit dazu beigetragen, und was können sie in der Zukunft erwarten? Diesem Thema war im Erzählcafé des Historischen Museums Thurgau auf Schloss Frauenfeld der dritte und letzte Teil der Serie «Frauen» gewidmet. Die Veranstaltung fand aus Anlass «50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz» in Kooperation mit dem ThurgauerFrauenArchiv statt. Das Erzählcafé ist ein beliebtes Publikumsformat. Fachleute, meistens Historikerinnen und Historiker, vermitteln geschichtliche Bezüge zu aktuellen Themen und ziehen die Zuhörerinnen und Zuhörer mit ein.
Das Erzähl-Quartett an diesem Nachmittag: Zwei Historikerinnen Nathalie Kolb Beck, Leiterin im ThurgauerFrauenArchiv, und Petra Hornung, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Museum Thurgau sowie Maria Lütolf, Thurgauer alt Bäuerin, und Regula Böhi-Zbinden, Präsidentin beim Thurgauer Landfrauenverband. Petra Hornung benützt für den Einstieg ins Thema eine populäre Fernseh-Show: «Bauer, ledig, sucht...» Das sei zwar eine Show, meint die Historikerin, gebe aber einen sehr guten Überblick über die Arbeit auf einem Bauernhof und die damit verbundenen Anforderungen an eine eheliche Partnerschaft.
Schwierige soziale Situation von Bauernfamilien
Auf dem Bauernsekretariat des Vaters, wo sie mitarbeitete, erhielt Frieda einen Einblick in die schwierige soziale Situation vieler Bauernfamilien während der 1920er Jahre. Aufgrund dieser Erfahrungen entschloss sie sich für eine Ausbildung in Sozialarbeit an der Sozialen Frauenschule in Zürich. «Mit diesem beruflichen Rüstzeug schliesslich wurde sie im Thurgau für die Entwicklung der Bäuerinnen zu einer sehr wichtigen Person», sagt Nathalie Kolb Beck. [IMG 2]
Erster Bäuerinnentag 1929
In dieser Zeit entstanden an verschiedenen Orten bereits kantonale Bäuerinnenverbände. Frieda befasste sich ebenfalls mit der Gründung eines solchen Verbandes. 1929 fand der erste Bäuerinnen-Tag im Thurgau statt. «Das war ein Paukenschlag», sagt Nathalie Kolb Beck. «Es nahmen zwischen 1'300 und 1'400 Bäuerinnen daran teil. Ein gewaltiger Erfolg für jene Zeit.»
Eines der Referate an der Tagung befasste sich mit dem Thema «Die Bauernfrau, ihr Anteil am Aufbau einer besseren Zukunft unseres Bauernstandes» und der Vater von Frieda, Bauernpolitiker Jakob Meili, sprach über die Vision eines sozial gefestigten Bauernstandes. Die Bäuerinnen-Tage wurden zur Institution und finden noch immer jährlich unter grosser Beteiligung der Thurgauer Bäuerinnen statt.
1934 wurde auf Drängen von Frieda im Landwirtschaftlichen Kantonalverband eine Frauenkommission gegründet. Die Kämpferin für die Bauernfrauen war während 30 Jahren die Präsidentin. Zu den frauenpolitischen Zielen der Kommission gehörten die Hilfe zur Selbsthilfe, die Verbesserung der Selbstversorgung, die Förderung der Weiterbildung, die Kulturpflege und die Ausbildung der Bauerntöchter.
Heroische Arbeit während des Krieges
1935 heiratete Frieda Martin Rüdin. Das Paar bezog einen Bauernhof in Pfyn. Bald gehörten auch drei Kinder zur Familie. Die Zeiten waren schwer. Der Zweite Weltkrieg brach aus und Martin wurde zum Aktivdienst eingezogen. Die Bäuerinnen mussten nun die Höfe alleine bewirtschaften und dazu meistens auch noch eine Schar Kinder aufziehen. Weil auch die Pferde grösstenteils «Aktivdienst» leisteten, ersetzten Ochsen ihre Arbeit auf den Feldern. Die Frauenarbeit in der Landwirtschaft in diesen schwierigen Zeiten darf man ohne Pathos als heroisch bezeichnen.
Abwanderung verhindern
Frieda war bestrebt auch in den Dörfern bäuerliche Frauenkommissionen ins Leben zu rufen. Zu den Errungenschaften der Kommissionen zählten unter anderem die Einführung des bäuerlichen Haushaltslehrjahres und die Berufsprüfungen für Bäuerinnen. Frieda war auch Initiantin von Ferienwochen für Bauerntöchter und Hausangelstellte sowie für die erholsamen Entlastungsurlaube, die abgearbeiteten Bäuerinnen zugutekamen. Die Verbesserung der Lebensperspektiven der Landbevölkerung war ein grosses Anliegen von Frieda. Damit sollten vor allem Bauerntöcher davon abgehalten werden, in die Städte abzuwandern.
Frieda war auch national in Bauernorganisationen tätig. Dabei setzte sie sich für eine gute Ausbildung der Bauerntöchter, aber auch für den Ausbau der Frauenrechte ein. Sie unterstützte 1959 die Forderung nach dem Frauenstimmrecht. In der Schweiz war das der erste Urnengang zu diesem Thema. Die Vorlage wurde aber wuchtig abgelehnt, im Kanton Thurgau gar mit über 80 Prozent der Stimmen. Die Kämpferin für die Sache der Bäuerinnen entdeckte die Wichtigkeit des Wortes zur Durchsetzung ihrer Anliegen und griff gerne zur Feder. Sie schrieb Zeitungsartikel, Beiträge für Bücher und Gedichte. Mit einem eindrücklichen Zitat belegt Nathalie Kolb Beck die tief empfundene Empathie von Frieda für die Bäuerinnen ihrer Zeit: «Weil eine Frau nie Erholung hat, auch über die Festtage nicht, ist es immer ein Gehen am Rande, so zwischen Durchhalten und Zusammensinken.»
[IMG 3]
«Ich konnte leider nie richtig in etwas hineinwachsen»
Der Hommage folgte eine alt Bäuerin – die 75jährige Maria Lütolf - im O-Ton. Sie liess ihr bewegtes Leben Revue passieren. Maria Lütolf wurde als ältestes von neun Kindern im Kanton Luzern geboren. «Wir wuchsen in einem uralten Bauernhaus auf, das keine Heizung hatte», erzählt sie. «Im Winter zog durch jede Ritze der kalte Wind. Die Küche war riesig. Wir hätten dort mit unseren Kolleginnen und Kollegen Tanzveranstaltungen durchführen können.» Aber dazu ist es nie gekommen. Stattdessen hat Maria Lütolf schon als Fünftklässlerin in diesem Küchensaal für 14 Personen gekocht. «Als Älteste wurde man halt für viele Arbeiten herangezogen», erinnert sie sich. «So wuchs ich schnell ins bäuerliche Leben und Arbeiten hinein.»
Nach dem Abschluss der Schuljahre absolvierte Maria Lütolf ihr Welschlandjahr, liess sich anschliessend zur Krankenschwester und später zur Intensivschwester ausbilden. Neben der Berufsausbildung, für die sie sich zuhause energisch einsetzen musste, nahm die junge Frau ihrer Mutter zu deren Entlastung viele Arbeiten ab. «Als 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt worden war, hatte ich von Politik keine Ahnung, weil wir daheim nie über Politik gesprochen hatten», sagt Maria Lütolf, «ich war total überfordert mit dem Abstimmen und Wählen.»
Schweine, Haushalt, Buchhaltung und mehr
1972 die Heirat. Maria Lütolf zog einmal mehr in ein sehr altes Bauernhaus. Ihr Ehemann, ein Einzelkind, hat es samt Bauernhof von den Eltern übernommen. Nach drei Jahren wurde wegen einer Strassensanierung ein neues Wohnhaus gebaut. Der Betrieb hatte 10 Hektaren Land und dazu etwas Wald. «Wir hielten 20 Kühe und 40 Mutterschweine», sagt Maria Lütolf. «Obwohl ich keine Landwirtschaftsschule besucht hatte, arbeitete ich neben dem Haushalt voll mit, versorgte selbständig die Schweine, erledigte die Buchhaltung und half meinem Mann draussen im Betrieb. Ich war das von zuhause aus ja gewohnt.» Maria Lütolf wurde Mutter von fünf Kindern, drei Söhnen und zwei Töchtern.
42 Hektaren im Thurgau
1995 zog die Familie in den Kanton Thurgau. Sie kaufte den Schlosshof Blidegg mit 42 Hektaren Land und vier Hektaren Wald. «Finanziell hat uns das sehr belastet», erinnert sich Maria Lütolf. Im Luzernischen betrieben die Lütolfs zwei kleine Höfe, die aber 16 Kilometer auseinander lagen. «Das war sehr unpraktisch. Deshalb suchten wir nach etwas Grösserem, das zudem zusammenhängend war», sagt Maria Lütolf. «Nach fünf Jahren wurden wir im Thurgau fündig. Wir verkauften die beiden Höfe im Luzernischen. Die Söhne waren aus der Schule und hatten ihre beruflichen Ausbildungen begonnen», erzählt Maria Lütolf weiter.
Am 29. und 30. Oktober 2021 findet in Bern die Frauensession statt. Organisiert wird sie von alliance F gemeinsam mit den Evangelischen Frauen Schweiz (EFS), dem Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV), dem Dachverband Schweizerischer Gemeinnütziger Frauen (SGF), dem Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF) und der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen (EKF).
Unterschrift vom Mann benötigt
Schwierige Zeiten folgten. Maria Lütolfs Ehemann fiel während des Umzugs in den Thurgau aus. Er musste wegen einer Diskushernie für zehn Wochen ins Paraplegikerzentrum. Diese Zeit war sehr stressig. «Im Thurgau musste ich etliche Sachen mit den Behörden regeln», erinnert sich die alt Bäuerin. «Da wurde mir so richtig vor Augen geführt, wie wenig eine Frau damals galt. Für jede Unterschrift bei den Ämtern musste ich zuerst ins Paraplegiker Zentrum reisen, um bei meinem Gatten die dafür nötige Vollmacht zu besorgen. Das nervte ungemein.»
2001 dann der nervliche Zusammenbruch. Maria Lütolf war während sechs Monaten in der Psychiatrie. Es musste so kommen. Sie war stets bis ans Limit gefordert. Sie habe keine Freizeit gekannt, sagt sie, immer nur hart gearbeitet, ohne dabei einen Lohn zu erhalten. Das sei auch gar nicht möglich gewesen, weil die Familie immer ums Überleben kämpfen musste, das Budget, das ihr zur Verfügung stand, war äusserst knapp. «Ich hatte zwar einige Hobbies, die ich aber nur oberflächlich pflegen konnte. Dazu gehörten Nähen, Töpfern und Backen», erzählt Maria Lütolf weiter. «Ich konnte leider nie richtig in etwas hineinwachsen. Das stimmt mich noch heute traurig.»
Dank der Therapien erholte sie sich nach dem Zusammenbruch sehr gut. «Ich arbeite heute wieder», sagt Maria Lütolf, «in einem Pflegeheim und in einem Kloster. Das macht mich sehr zufrieden.» Verschmitzt fügt sie bei: «Mit 54 Jahren habe ich sogar noch gelernt mit einem Computer umzugehen. Damit habe ich mir Zugang zur digitalen Welt verschafft.» Für die gebeutelte alt Bäuerin ein wirklicher Aufsteller.
Sohn führt den Hof
«Den Hof auf der Blidegg führt jetzt einer der Söhne», erzählt Maria Lütolf weiter. «Mit meinem Mann habe ich ein Einfamilienhaus bezogen. Wir haben 13 Enkelkinder, die grösstenteils im Luzernischen leben, uns aber immer wieder besuchen kommen.» Das Fazit, das die alt Bäuerin nach ihrem bewegten Leben zieht ist ein weiser Ratschlag an heutige Jungbäuerinnen: «Steigt nach der Heirat nicht aus eurem erlernten Beruf aus, das ist nie gut!»
Kein Lohn – kein Anspruch auf bezahlten Mutterschaftsurlaub
Regula Böhi-Zbinden, Bäuerin, Mutter von zwei Kindern und seit sechs Jahren Präsidentin des Thurgauer Landfrauenverbandes, greift nochmals das Wirken von Frieda Rüdin-Meili auf und streicht die Bedeutung dieser Bauernpionierin für die heutige Landfrauen-Bewegung heraus. «Neben den Landfrauentagen, die stärkend und unterstützend die Landfrauen in ihren Aktivitäten begleiten, gehen auch die heutige Hauspflege im Krankheitsfall und die Familienhilfe bei Überlastung auf Frieda zurück. Denn fällt eine Bäuerin aus, wo auch immer, entsteht eine grosse Lücke in einem Landwirtschaftsbetrieb», sagt Regula Böhi-Zbinden.
Wer sind die Landfrauen? Regula Böhi-Zbinden holt zu einer Begriffserklärung aus. In einigen Kantonen seien die Frauen noch in Bäuerinnenverbänden organisiert. Im Grunde genommen gebe es aber die Bäuerin als weibliche Form des Bauern nicht mehr. In der Landwirtschaft tätige Frauen seien heute Landwirtinnen. Sie absolvierten wie die Landwirte eine berufliche Fachausbildung. Im Thurgau seien Landfrauen auch nicht per se Bäuerinnen.
Nicht nur Bäuerinnen im Verband
Im Verband seien auch Nichtbäuerinnen Mitglieder, Frauen die beispielsweise in einem KMU-Betrieb tätig seien oder nur auf einem Bauernhof lebten, aber nicht auch dort arbeiteten, sagt die Präsidentin des Thurgauer Landfrauenverbandes. «Wir sind einfach Frauen vom Land. Unser Verband unterstützt unsere Mitglieder bei der Organisation von Anlässen, bei der Weiterbildung und im Kurswesen. Wir sind auch sehr bestrebt, die Aktivitäten der Landfrauen zu vernetzen und zu verlinken. Die Anforderungen an den Landfrauenverband steigen. Was uns zunehmend beschäftigt sind Vernehmlassungen zu den verschiedensten Fragen und die Öffentlichkeitsarbeit, das ist sehr wichtig für unsere Präsenz als Organisation», sagt Regula Böhi-Zbinden.
Fatale Folgen bei Scheidung
Ein wichtiges Anliegen für die Zukunftssicherung der Frauen in der Landwirtschaft ist heute die Lohnfrage. Meistens könnten die Landwirte ihren Frauen, die ebenfalls im Betrieb tätig seien, keinen Lohn bezahlen, weil das Einkommen dafür einfach nicht reiche, sagt Regula Böhi-Zbinden. «Das kann beispielsweise bei einer Scheidung für die Frau fatale Folgen haben. Sie steht vor dem Nichts, obwohl sie im Betrieb hart mitgearbeitet hat. Dieses Problem nimmt an Brisanz zu, weil die Scheidungsrate bei Ehen in der Landwirtschaft in der Tendenz steigend ist.»
Gibt es keinen Lohn, gibt es beispielsweise auch keinen bezahlten Mutterschaftsurlaub, weil dafür der Nachweis eines Gehalts verlangt wird. Eine gesicherte Zukunft für Frauen in der Landwirtschaft ist nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine mentale Herausforderung. «Auch wenn sie eine gute Berufsausbildung haben, brauchen junge Frauen heute in der Landwirtschaft viel Bestätigung und Stärkung», sagt Regula Böhi-Zbinden, «das ist sehr wichtig für ihr Selbstwertgefühl.»