In Sichtweite zu einem Miststock zu leben, sei Lebensqualität, habe ich mal aufgeschnappt. Stimmt! Denn das heisst: Verbundenheit mit der Natur, Geborgenheit, das Glück, mal einer Kuh in der Nachbarschaft zu begegnen oder vom Surren einer Melkmaschine geweckt zu werden. Grossartig!
Zugegeben: Die Kuh- bzw. Stall- und Miststocknähe ist als anzustrebendes Wohnprinzip heute nicht mehr ganz so einfach zu realisieren. Und doch habe ich das vor über 20 Jahren bei unserem Umzug direkt von Basel nach Haldenstein geschafft: Noch fünf Miststöcke bzw. Landwirtschaftsbetriebe waren im Dorfkern anzutreffen. Kuhmist auf der Strasse bzw. auf dem Weg zum Einkauf oder zur Arbeit zu finden: ein Glück! Mitten im Dorf auf der Terrasse der Dorfbeiz den Kühen und Kälbern im Auslauf des benachbarten Stalles zuzusehen, lässt das Bier noch besser schmecken. Mal warten müssen, weil Kühe auf die Weide getrieben werden: Entschleunigung!
Kommt die Anerkennung zuwenig an?
Nun, ich weiss, ich bin ein Sozialromantiker. Für mich ist selbstverständlich, dass der Werkplatz Landwirtschaft zu unserem ländlichen Raum gehört. Einachsergeknatter, Druckfassgedröhne oder eben Chueplütter auf der Strasse sind Begleiterscheinungen eines real existierenden Wirtschaftssektors, auch Primärsektor genannt. Ein Wirtschaftszweig, dem in der Schweiz und auch hier in Graubünden viel Anerkennung, Aufmerksamkeit und Finanzen zukommt. Warum kommt diese Anerkennung zu wenig im Gemüt der Bäuerinnen und Bauern an? Ein grosses, komplexes Thema, das weit über agrarpolitische Fragestellungen hinausreicht.
Vier der fünf Landwirtschaftsbetriebe sind seit meiner Ankunft in Haldenstein aus dem Dorfkern ausgesiedelt. Einer ist geblieben, ein Hobbybetrieb dazugekommen. Ausgesiedelt wirtschaften ist betrieblich viel einfacher, klar. Die Milchtransporter müssen sich nicht mehr durch die Gassen zwängen. Und Haldensteiner(innen), die sich immer über ein paar verunreinigte Gassen ereifern konnten, fühlen sich jetzt wohl besser. Verschwinden aber die Miststöcke, geht etwas verloren. Die Unmittelbarkeit, das direkte Wahrnehmen von Werkplätzen wie der Landwirtschaft ist eine bereichernde Sinneserfahrung jenseits von Smartphone und Tiktok.
Fragen rund um die Miststöcke
Für den Erhalt der Miststöcke im Dorf finde ich keine Allianzen, ich weiss. Leben im Dorf behalten ist trotzdem wichtig. Das heisst, in Haldenstein wie vielerorts sonst. Engagement für den Erhalt des einzigen Restaurants oder des Dorfladens. Da bin ich dabei. Ein Dorf ganz ohne Bauern bzw. Kühe, Beiz und Laden geht gar nicht. Blaise Hofmann, Winzer und Schriftsteller aus der Romandie, hat einen Essay zur Landwirtschaft verfasst. Unter dem Titel «Die Kuh im Dorf lassen» wird das Buch in Kürze auf Deutsch erscheinen. Ich verspreche mir Antworten auf Fragen rund um Miststöcke im Dorf, die latente Unzufriedenheit und die Wertschätzung des Bauern.
Zur Person
Christof Dietler ist Agronom und Mitinhaber der Agentur pluswert (Chur und Basel). Er schreibt für die Rubrik «Arena» im Regionalteil Ostschweiz/Zürich der BauernZeitung.