«Am Fels» ist die erste Erzählung des gleichnamigen Buches der Bündner Bergbäuerin Regula Caviezel, das kürzlich erschienen ist: Käthe zieht als Fremde in ein Bergdorf. Sie hat sich soeben befreit von ihrem Ehemann, der beruflich durch die Welt jettet und von dem sie sich mehr und mehr entfremdet hat. Nach einem Eklat beginnt sie ihr eigenes Leben in einer Hütte oberhalb des Dorfes und bringt sich selbst von Grund auf das Weben bei. Sogar den Flachs für die Leinenfäden hat sie selbst angepflanzt.
Die Gefahr komm von oben
Das Dorf jedoch ist geprägt von traditionellen Vorstellungen. Eine unkonventionelle und unabhängige Frau wie Käthe wirkt bedrohlich und wird abgelehnt. Als diese Hilfe benötigt, kann sie sich nur auf den stotternden Dorftrottel Franz, genannt Firlefanz, verlassen. So unbedarft ist dieser jedoch gar nicht, im Geheimen setzt er als Theaterregisseur seine selbst geschnitzten Figuren in Szene. Derweilen droht Gefahr von der Felswand, die weit oben über der ganzen Szenerie thront. Das Dorf ist im Begriff, sich neu zu ordnen.
Die zweite Geschichte «Grasland» ist ebenfalls in einem Bergdorf angesiedelt. Sie handelt von Aline und Jakob, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie laut und intensiv und am liebsten im Freien, er leise und zurückhaltend, ein Zahlenmensch. Jung ein Paar geworden, gründeten sie einst eine Familie. In der Zwischenzeit ist der Sohn erwachsen und lebt in Amerika, die Eltern sind beinahe im Pensionsalter.
Eine Reise durchs Grasland
Jakob hält nun nichts mehr in der Beziehung, eines Tages macht er sich davon. Und Aline macht sich auf die Suche, will ihn zurück und begibt sich auf eine Reise durchs Grasland, das direkt hinter ihrem Haus beginnt, bis hinauf zu den Felswänden.
Charakteristisch für die Erzählweise der Autorin ist das Tempo: Langsam zu lesen ist fast nicht möglich; wer beginnt, wird sofort mitten ins Geschehen hineinkatapultiert. Reale Szenen wechseln sich ab mit Erinnerungen und Traumsequenzen, dazwischen auch mit Surrealem. Immer spielt die Natur eine grosse Rolle, das Werden und Vergehen, der Witterung ausgesetzt.
Im Thurgau aufgewachsen
Regula Caviezel ist auf einem Bauernhof im Kanton Thurgau aufgewachsen. Als Kindergärtnerin kam sie vor über 50 Jahren nach Graubünden. Sie zog nach Urmein am Heinzenberg, wo sie mit ihrem Mann drei Kinder grosszog und bis zur Pensionierung einen Landwirtschaftsbetrieb führte. Sie ist seit ihrer Kindheit an der Literatur interessiert. Mit dem Schreiben hat die 73-Jährige jedoch spät begonnen. Ihre ersten beiden veröffentlichten Romane waren «Die Silberne» (2020) und «Blutweiderich» (2021).
«Am Fels». Regula Caviezel. Antium-Verlag, 2024. 239 Seiten. Fr. 29.–
Interview: «Weben hat mit Leben zu tun»
In Ihren Erzählungen, die oft von Beziehungen und vom einfachen Leben mit der Natur handeln, passiert immer sehr viel auf einmal. Planen Sie eine Geschichte jeweils von A bis Z?
Regula Caviezel: Nein, gar nicht. Meistens beginne ich einfach, ohne eine Ahnung zu haben, wohin es mich führt. Inhaltlich zeigt sich dies, indem sich alles unmittelbar abspielt, ohne gedankliche Distanz zum Geschehen. Dennoch möchte ich, dass die Geschichte am Schluss aufgeht, und mache mich vorzeitig auf die Suche nach einem passenden Ende.[IMG 2]
Sie erzählen unter anderem von einem Felssturz. Hat Sie der Bergsturz von Brienz/Brinzauls dazu inspiriert?
Nein, die Geschichte habe ich schon vor diesem Ereignis geschrieben. Vielmehr ist es der Piz Beverin, den ich täglich von unserem Haus aus sehe. Sein Gestein ist extrem brüchig, mit vielen Geröllhalden. Beim Felssturz, der sich schliesslich ereignet, mischt auch das Wetter mit seinen Extremen mit.
In beiden Geschichten spielt das Weben eine Rolle. Welche Bedeutung hat das Handwerk für Sie, das Sie selbst schon in jungen Jahren erlernt haben?
Weben hat mit viel mit Leben zu tun. Bei dieser Tätigkeit bleibt das Gewebe links und rechts offen. Es kommt mir vor wie eine Freiheit, ein offener Ausgang, vieles ist möglich. Auch der Takt, der sich aus dem Webmuster ergibt, ist wichtig. Er trägt einen, macht eins mit der Tätigkeit. Dagegen ist man heutzutage im Alltag häufig nicht mehr im Takt.
Die Verlosung ist beendet,
der Teilnahmeschluss war am 31. Oktober um Mitternacht.
Die Gewinnerinnen und/oder Gewinner werden direkt kontaktiert.